Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit). Wilhelm Raabe

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Else von der Tanne (Historischer Roman für die Weihnachtszeit) - Wilhelm  Raabe


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übriggelassen habe. Der fremde Mann jedoch erwiderte den frommen Gruß nicht, er sah nicht auf von seiner Arbeit, und die langen wüsten Haare verhingen ihm das Gesicht. Nur das schwarze Roß sah auf den Pastor, und drei von den greulichen Hunden richteten sich empor, reckten sich, knurrten und wiesen ihre weißen Zähne und blutroten Zungen. Der vierte, auf dessen struppigem Leibe das Köpfchen des schlafenden Kindes lag, blieb liegen; aber auch er murrte und wies die Zähne; der Pfarrer wußte nicht, was er ferner sagen und tun sollte; er stand zweifelnd und sah zu, wie unter den kunstfertigen Händen des Fremden die Hütte aus Gestrüpp und Gezweig sich erhob; er sah auf das zweiräderige Fuhrwerk und auf das niederglimmende Feuer neben der hohen Tanne. Vor allem aber sah er auf das schlafende Mägdlein, welches plötzlich ein Strahl der abendlichen Sonne, in rötlichem Glanz um den Stamm einer uralten Eiche schießend, traf und welches nunmehr in diesem Glanz und Blenden die Augen aufschlug. Es reckte sich auch und richtete sich empor, und in demselben Augenblick schoß der Wolfshund, dessen Leib ihm zum Kopfkissen gedient hatte, auf und fuhr mit Geheul gegen den Pfarrer.

      Da rief das Kind, lieblich erschreckt:

      »Marschalck! Marschalck! Zurück! Laß ab!«

      Und Marschalck nahm die Vorderpfoten von der Brust des Pfarrherrn und ging zu den drei bösen Genossen; das Mägdlein erhob sich aber von der Erde, lächelte und trat auf Ehrn Friedemann Leutenbacher zu und sagte:

      »Einen fröhlichen Abend wünsch ich dir! Er hat dich wohl schwer erschreckt, der arme Marschalck? Zürn ihm nicht, ich bitt dich.«

      Sie wollte noch mehr sagen, und der Pastor von Wallrode im Elend wollte ihr antworten; da schritt aber der bärtige Mann mit seiner Axt her, faßte den Arm des Kindes, stellte sich dräuend vor den Pfarrherrn und schob ihn mit dem Stiel der Axt zurück und wies in den Wald, als wolle er sagen: Geh deines Weges, ich will nichts zu schaffen haben mit dir; ich will dein Lächeln und deine freundlichen Worte nicht! Geh hin, woher du gekommen bist und warne dein Volk, daß es uns nicht in den Weg komme.

      Die Augen des Mannes leuchteten noch viel schrecklicher als die des zornigen Hundes, als dieser sich vor der Brust Friedemanns aufrichtete; und als der Pfarrherr noch ein gut Wörtlein sagen wollte, da erhob der Fremde so dräuend das blanke Beil, daß jener erschreckt zurückwich, um dem Schlage auszuweichen.

      Das kleine Mädchen schrie auf und bedeckte die Augen mit den Händchen, und Ehrn Friedemann Leutenbacher, als er sah, daß sein guter Wille also verachtet werde, schritt seines Weges durch den Forst zurück, in tiefen Gedanken, und sprach daheim seinem Völklein zu: man möge den Fremden in Frieden gewähren und ziehen lassen; es sei eine Zeit Gottes, in welcher der Herr der Menschen Sinnen und Gedanken, Tun und Treiben arg durcheinanderwürfele auf seiner Tenne, eine Zeit, in welcher ein jeglicher, es sei Mann oder Weib, so viel mit sich selber zu tun habe, daß ein jeglicher wohltue, für sein armes Teil Frieden zu halten und jedem armen Bruder seinen Weg offenzulassen.

      Die Gemeinde schüttelte die Köpfe; aber sie mußte wohl dem Wort ihres geistlichen Beraters folgen; fürchtete sich auch wohl ein wenig vor den vier starken Hunden und dem Feuergewehr des wilden Fremdlings; vermeinte auch, daß der letztere mit allem, was er mit sich führe, gehen werde, wie er gekommen sei, sintemalen er doch nicht hausen könne unter der hohen Tanne im Elend.

      Als aber am andern Tage neugierige Seelen wieder zur hohen Tanne schlichen, da fanden sie das Wesen noch am alten Ort; sie hörten die Hunde in der Ferne bellen und vernahmen einen Büchsenkrach und sahen den unheimlichen Mann mit einem erlegten Rehbock aus dem Gebüsch kommen, das Kind sahen sie nicht; und darnach regnete es wohl zwei Wochen, und niemand kam so weit in den Wald; in der dritten Woche jedoch stieg der Fremdling mit seiner Büchse auf der Schulter, begleitet von einem der Hunde, in das Dorf hinab und setzte sich vor dem verbrannten Gemeindehaus auf einen Haufen verkohlter Balken. Da dauerte es nicht lange, daß das Volk aus den Hütten sich in einem weiten Kreis um ihn her versammelt hatte, und ein Knab’ lief zum Pfarrherrn, um ihm anzuzeigen, was sich begeben habe und wie der Mann von der hohen Tanne gleich einem Tauben und Stummen vor dem Rathaus sitze. Mit Wunder erhub sich nun auch der Pastor von seiner Arbeit, trat auf die Gasse und ging mit dem Boten zum Gemeindeplatz, fand auch, daß es so war, wie ihm mit fliegendem Atem berichtet wurde.

      Als der Fremde seiner ansichtig wurde, stand er schnell auf, schritt dem Pfarrherrn entgegen und lüftete ein wenig den Filzhut, bot sodann ganz höflich die Zeit und sprach auf lateinisch:

      »Domine, mich verlangt, dir zu sagen, daß es mir leid ist um den Tag, an welchem wir zuerst uns sahen. Die Zeit sprach aus mir und mein Schicksal; verzeihe mir. Non sum impostor, nec proditor, nec erro, nec magus, nec thraso, ich bin kein Betrüger oder Verräter, kein Landstreicher oder Schwarzkünstler, kein Schnarchhans. Ich bin ein Sohn deines Volkes und wie das Vaterland im Elend. Ich komme aus der Ferne und will bei Euch wohnen; will eine Hütte im Walde bauen für mein Kind – hilf mir, daß es so geschehe, ich will es auch den Leuten deines Dorfes lohnen.«

      Staunend über solche Rede, hub der junge Pfarrherr die Hände; diese Sprache hatte er nicht erwarten können. Sie trug den Fremden so hoch hinaus über die armen Menschen, unter welchen der Prediger bis jetzt seine Tage verbringen mußte, daß Ehrn Friedemann fast die Antwort vergaß und sich erst besann, als ihn der Fremde recht ungeduldig ansah. Nun redete auch er in lateinischer Zunge zu dem Fremden und meinte: hocherfreulich müsse ihm die Ankunft und Absicht eines solchen Mannes sein; doch verwunderlich erscheine letztere ihm auch. Der Winter sei vor der Tür; und hart, rauh und langdauernd sei er in diesem Lande, und es sei doch wohl nicht gut und barmherzig, ein zart klein Kind allen Gefahren und Beschwerden der Wildnis auszusetzen. Das Dorf sei arm, sprach der Pfarrherr, und habe arg und viel gelitten von der langen, schrecklichen Kriegesnot, doch biete es zuletzt immer noch einen bessern Schutz und Zufluchtsort als der wilde Forst; es stehe mehr denn eine Hütte leer, deren solle der Herr die Wahl haben, und er – Friedemann Leutenbacher – wolle in allem helfen und zu Rat und Handen sein, wo und wie er könne.

      Auf diese Rede schüttelte der Fremde nur den Kopf und antwortete: er sei dankbar, doch sein Entschluß stehe fest; sein Sinn sei nicht angetan, unter den Menschen zu wohnen, sein Kind aber müsse bei ihm wohnen im Wald und könne es auch.

      Ganz verdutzt hatten die Bauern von Wallrode während dieses Zwiegesprächs gestanden. Ihre Blicke wanderten zwischen ihrem Pfarrherrn und dem Fremden hin und her, sie kratzten sich hinter den Ohren und stießen einander in die Seiten und schlossen ihren Kreis immer enger. Jetzt aber setzte ihnen Ehrn Friedemann Leutenbacher auseinander, was der fremde Mann wünsche und verlange, und nun erhob sich ein Gemurmel in der Gemeinde, welches allmählich zum lauten Geschrei wurde.

      Die einen sagten, man müsse dem ausländischen Herrn helfen, da er Geld biete und wenig verlange; die andern vermeinten, dem Ding sei nicht zu trauen und das Wesen gefalle ihnen gar nicht. Letztere hatten den Kopf voll von allerlei unheimlichen Bedenken und meinten: sie traueten niemanden mehr, nicht dem Nachbar, nicht dem Verwandten, ja kaum noch dem Herrgott. Sie fluchten, wenn sie an die erduldeten Leiden und das gegenwärtige Elend dachten, und sie waren leider so im Recht, daß sie niemand darum strafen konnte.

      Man könne nicht wissen, sagten sie, welchem neuen Unheil dieser fremde Mensch mit seiner seltsamlichen Begleitung vorangehe. Die Welt sei nun einmal wie ausgewechselt und so falsch, schlecht und blutig, daß ein jeglicher sich hüten solle und daß keiner mehr auf sich lade, als er müsse.

      Sie redeten noch mancherlei und erhitzten sich immer mehr, bis sie wieder vor den begütigenden Worten des Pfarrherrn still wurden. Das Ende vom Widerstreit aber war, daß man den Fremden aufforderte, seinen Namen, Stand und früheren Wohnort anzugeben und darzutun, in welcher Weise er imstande sei, den guten Willen und die Hilfleistung des Dorfes Wallrode im Elend zu erkaufen.

      Da sprach der Mann, er wolle sich nennen der Magister Konradus, mehr aber sei nicht zu wissen nötig, und werde er auch nichts weiter sagen. Was aber den zweiten Punkt anbelange, so solle man angeben, was man fordere für das, was er wünsche; nämlich eine Hütte und Frieden.

      Als er bei diesen Worten in die Ledertasche an seiner Seite griff und vier Goldstücke hervorzog und sie in der hohlen Hand zeigte, da stießen die Bauern die Köpfe zusammen und berieten von neuem. Die Vorsichtigen, die Furchtsamen und die Schreier wurden überstimmt; es wurde beschlossen, dem Magister Konradus die erbetene Hilfe zu leisten und ihn an der hohen


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