Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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Kleidung in der Mitte eines frohen, lärmenden Haufens nach der Tür gedrängt wurde, dem Vater entgegen, der nach Hause kam, begleitet von einem Mann, der mit Weihnachtsgeschenken bepackt war. Aber nun das Gejubel und das Gedränge und der Sturm auf den wehrlosen Träger! Wie sie auf Stühlen an ihm emporkletterten, in seine Taschen lugten, die Papierpaketchen raubten, an seiner Halsbinde zupften, ihm auf den Rücken trommelten und an die Beine stießen – alles in unbändiger Freude! Dann diese Ausrufe der Bewunderung und des Vergnügens, mit denen der Inhalt jedes Päckchens begrüßt wurde! Der Schrecken bei der Überraschung dabei, daß das Wickelkind die Bratpfanne der Puppe in den Mund steckte, oder wohl gar das hölzerne Huhn samt der Schüssel verschluckt habe! Die große Befriedigung, wenn sie feststellten, daß es eine unbegründete Sorge gewesen! Welche Freude und welche Dankbarkeit und welches Beglücktsein! Das alles war über alle Begriffe. Es muß genügen, zu wissen, daß die Kinder samt ihrem Jubel endlich aus dem Zimmer kamen und zusammen eine Treppe hinaufgingen, wo sie zu Bett gebracht wurden.

      Und als jetzt Scrooge aufmerksamer als früher sah, wie der Herr des Hauses, die Tochter liebkosend ihm zur Seite, sich mit ihr und ihrer Mutter an seinem eigenen Kamin niedersetzte; und wie er sich ausmalte, daß ein ebenso liebliches und vielversprechendes Wesen ihn hätte Vater nennen und gleichsam zu einem Frühling in dem öden Winter seines Lebens hätte werden können, da wurden seine Augen recht trübe.

      »Bella«, sagte der Mann, sich lächelnd zu seiner Frau wendend, »ich sah heute nachmittag einen alten Freund von dir.«

      »Wen denn?«

      »Rate.«

      »Wie kann ich das? Doch, jetzt weiß ich«, fügte sie sogleich hinzu, lachend, wie er lachte. »Mr. Scrooge.«

      »Ja, Mr. Scrooge. Ich ging an seinem Kontorfenster vorüber; und da kein Laden davor war, und Licht drin angezündet war, konnte ich ihn beinahe sehen. Sein Kompagnon liegt im Sterben, hörte ich, und er saß allein dort. Ganz allein in der Welt, glaube ich.«

      »Geist«, sagte Scrooge mit bebender Stimme, »führe mich fort von hier!«

      »Ich sagte dir, daß dieses Schatten gewesener Dinge seien«, sagte der Geist. »Gib mir nicht die Schuld, daß sie so sind, wie sie sind.«

      »Führe mich weg«, rief Scrooge. »Ich kann es nicht ertragen.«

      Er wandte sich an den Geist, und als er sah, daß er ihn mit einem Gesicht anblickte, in dem sich auf eine seltsame Weise einzelne Züge all der Gesichter zeigten, die er gesehen hatte, rang er mit ihm.

      »Laß’ mich, führ’ mich fort. Umspenstere mich nicht länger.«

      In dem Kampfe, wenn das ein Kampf genannt werden kann, in dem der Geist ohne wahrnehmbaren Widerstand seinerseits durch Anstrengungen seines Gegners nicht gestört war, bemerkte Scrooge, daß das Licht auf seinem Haupte hoch und hell brannte. In einem dunklen Instinkt brachte er jenes Licht mit des Geistes Einfluß auf sich in Zusammenhang und ergriff den Lichtauslöscher und stülpte ihn auf des Geistes Haupt.

      Der Geist sank darunter zusammen, so daß der Lichtauslöscher seine ganze Gestalt bedeckte; aber obgleich Scrooge ihn mit ganzer Kraft niederdrückte, konnte er das Licht nicht verbergen, das darunter hervorströmte und mit hellem Schimmer den Boden überflutete.

      Er fühlte sich sehr erschöpft und von einer unwiderstehlichen Müdigkeit befallen, und er war sich bewußt, daß er in seinem eigenen Schlafzimmer war. Er gab dem Lichtauslöscher noch einen Druck zum Abschied und fand kaum Zeit, in das Bett zu wanken, als er auch schon in tiefen Schlaf sank.

      Drittes Kapitel.

       Der zweite der drei Geister

       Inhaltsverzeichnis

      Als Scrooge mitten in einem tüchtigen Geschnarch aufwachte, richtete er sich im Bett empor, um seine Gedanken zu sammeln. Diesmal brauchte ihm niemand erst zu sagen, daß die Glocke zum Schlage eins ausholen wollte. Er fühlte, daß er gerade zu der rechten Zeit und zu dem ausdrücklichen Zweck erwacht sei, um eine Unterredung mit dem zweiten an ihn durch Jakob Marleys Vermittlung abgesandten Boten zu führen. Aber bei dem Gedanken, welche von den Bettgardinen das neue Gespenst wohl zurückziehen würde, überlief es ihn kalt, und er schlug sie eigenhändig zurück. Dann legte er sich wieder nieder und beschloß, rund um das Bett scharfe Ausschau zu halten. Er wollte den Geist im Augenblick seiner Erscheinung anreden und wünschte nicht, überrascht und nervös gemacht zu werden.

      Leute von freier und leichter Natur, die sich schmeicheln, es schon mit etwas aufnehmen zu können und immer auf dem Platze zu sein, betonen ihre weitreichenden Fähigkeiten dadurch, daß sie erklären, sie wären zu allem imstande, vom Brotessen bis zum Menschenverschlingen, zwischen welchen beiden Extremen ohne Zweifel ziemlich viel Gelegenheit zum Erweisen ihrer Kräfte liegt. Ohne gerade zu behaupten, daß Scrooge es soweit gebracht hätte, muß ich doch den Leser ersuchen, mir zu glauben, daß er auf eine recht stattliche Auswahl von Erscheinungen gefaßt war, und daß nichts von einem Säugling bis zu einem Rhinozeros ihn sehr in Erstaunen gesetzt haben würde.

      Aber weil er auf alles gefaßt war, war er nicht vorbereitet, nichts zu sehen; und als die Glocke ein Uhr schlug und keine Gestalt erschien, überkam ihn ein heftiges Zittern. Fünf Minuten, zehn Minuten, eine Viertelstunde vergingen, aber es erfolgte nichts. All die Zeit über lag er auf seinem Bett, mitten in einer Flut rötlichen Lichts, das sich über ihn ergoß, als die Glocke die Stunde verkündete; und dies wirkte, weil es nur Licht war, viel beunruhigender als ein Dutzend Geister, denn er konnte unmöglich erraten, was dies bedeute oder was das heißen sollte. Ja, er fürchtete mitunter, er bilde in diesem Augenblick einen interessanten Fall von halluzinatorischem Eigenleuchten, ohne den Trost zu haben, dessen auch gewiß zu sein. Endlich jedoch begann er zu glauben, daß die Quelle jenes geisterhaften Lichts sich in dem anstoßenden Zimmer befinden möge, aus dem es bei näherem Nachsehen zu fluten schien. Als dieser Gedanke in ihm Platz genommen hatte, stand er leise auf und schlürfte in Pantoffeln nach der Tür.

      Im gleichen Augenblick, da sich Scrooges Hand auf die Türklinke legte, rief ihn eine fremde Stimme beim Namen und befahl ihm einzutreten. Er gehorchte.

      Es war sein eigenes Zimmer. Daran war nicht zu zweifeln. Aber eine überraschende Veränderung war damit vorgegangen. Wände und Decke waren ganz mit frischem Grün umkleidet, daß es aussah wie eine Laube, in der überall prächtige Beeren schimmerten. Die glänzenden steifen Blätter der Stechpalme, der Mistel und des Efeus spiegelten das Licht wider und sahen daher selbst aus wie lauter kleine Spiegel. Ein so gewaltiges Feuer loderte im Kamin, wie dieser fossile Überrest einer ehemaligen Feuerstätte ihn seit vielen, vielen Wintern nicht erfahren hatte. Auf dem Boden aber lagen um eine Art von Thron Truthähne, Gänse, Wildbret, große Braten, Spanferkel, lange Reihen von Würsten, Pasteten, Plumpuddings, Fäßchen voll Austern, leckere Kastanien, rotbäckige Apfel, saftige Orangen, Birnen, ungeheuere Christstollen und dampfende Punschbowlen aufgehäuft, die das Zimmer mit köstlichem Duft erfüllten. Auf diesem Throne aber saß behaglich und mit fröhlichem Antlitz ein Riese, ergötzlich anzuschauen. In der Hand hielt er eine brennende Fackel, fast wie ein Füllhorn gestaltet, hob sie hoch empor, um Scrooge damit zu beleuchten, als er scheu in das Zimmer blinzelte.

      »Nur herein«, rief der Geist. »Nur herein, Mann, und lerne mich kennen.«

      Scrooge trat schüchtern ein und neigte das Haupt vor dem Geist. Er war nicht mehr der hartherzige Scrooge, der er gewesen, aber obgleich des Geistes Augen hell und mild glänzten, hatte er doch keine Neigung, ihnen zu begegnen.

      »Ich bin der Geist der diesmaligen Weihnacht«, sagte die Gestalt. »Sieh mich an.«

      Scrooge gehorchte mit ehrfurchtsvollem Blick. Der Geist trug ein schlichtes, dunkelgrünes Gewand, mit weißem Pelz besetzt. Die mächtige Brust war entblößt, als verschmähe sie, sich künstlich zu verbergen. Auch die Füße waren nackt und schauten unter den weiten Falten des Gewandes hervor. Auf dem Kopf aber trug er nichts anderes als einen


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