Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin

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Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter  Benjamin


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war es zu sehen, wie John, der Fuhrmann, auf einige Worte, die Dot bezüglich vorerwähnten Kindes sagte, seine Hand in demselben Augenblick zurückzog, als er es berühren wollte, als hätte er Furcht, es zu zerdrücken, und sich damit begnügte, es mit vorgeneigtem Oberkörper aus der Ferne zu betrachten, und zwar mit einer Mischung von Stolz und Verlegenheit – wie wohl ein liebenswürdiger Bullenbeißer dreingeschaut hätte, wenn er eines schönen Tages herausgefunden hätte, daß er Vater eines jungen Kanarienvogels sei.

      »Ist er nicht hübsch, John? Sieht er nicht reizend aus, wenn er schläft?«

      »Ganz reizend«, sagte John. »Ja, ja, ganz reizend. Er schläft wohl überhaupt die meiste Zeit, nicht wahr?«

      »Aber mein Gott, John! Bewahre, nein!«

      »Oh!« sagte John nachdenklich. – »Ich dachte, er hätte seine Augen meistens geschlossen. Halloh!«

      »Du lieber Gott, John, wie du einen erschreckst!«

      »Es ist nicht gut, daß er die Augen so verdreht!« sagte der erschreckte Fuhrmann. »Nicht wahr? Sieh, wie er mit beiden zugleich blinzelt! Und sieh nur den kleinen Mund an! Wie er schnappt, – gerade wie ein Goldfisch!«

      »Du verdienst garnicht, Vater zu sein, durchaus nicht«, sagte Dot mit der ganzen Würde einer erfahrenen Matrone. »Aber wie solltest du auch wissen, John, wieviel kleine Schmerzen so ein Kindchen leiden muß! Du weißt nicht einmal ihren Namen, du dummer Mann!«

      Und nachdem sie das Kind auf den linken Arm genommen und ihm als eine Art Herzstärkung den Rücken geklopft hatte, zupfte sie lachend ihren Mann am Ohr.

      »Nein«, sagte John, indem er seinen Überrock auszog. »Du hast Recht, Dot, ich verstehe mich nicht besonders auf dergleichen. Ich weiß nur, daß ich heut abend tüchtig mit dem Wind habe kämpfen müssen. Er kam von Nordost gerade in den Wagen herein, auf dem ganzen Heimweg.«

      »Ach ja, mein armer, guter Mann!« rief Mrs. Peerybingle und wurde sofort außerordentlich beweglich. »Da, nimm den kostbaren Schatz, Tilly, während ich etwas Nützliches tue. Du lieber Gott, ich glaube, ich könnt’ ihn schier totküssen! Kusch dich, gutes Tier. Kusch dich, Boxer! Erst sollst du deinen Tee haben, John, und dann will ich dir bei den Paketen helfen, wie eine fleißige Biene: ›Wie das kleine Bienchen‹ – und so weiter: du weißt ja, John. Hast du je ›Wie das kleine Bienchen‹ gelernt, John, als du in die Schule gingst?«

      »Nicht alle Verse«, antwortete John. »Ich war einmal sehr nahe daran, sie alle zu lernen. Aber ich hätte es doch nur verdorben.«

      »Ha, ha, ha!« lachte Dot. Es war das lustigste Lachen von der Welt. »Was für ein guter, lieber, alter Dummkopf du doch bist, John!«

      Ohne auf diese Behauptung irgend etwas einzuwenden, ging John hinaus, um nach dem Jungen mit der Laterne zu sehen, die wie ein Irrlicht vor Tür und Fenster hin und her hüpfte, ob er auch ordentlich für das Pferd sorge – und dieses Pferd war dicker und fetter, als ihr glauben würdet, wenn ich euch seinen Umfang angäbe, und so alt, daß sein Geburtstag sich in der grauen, dunklen Vorzeit verlor. Boxer, welcher wußte, daß die ganze Familie auf seine Aufmerksamkeit Anspruch hatte, und diese unparteiisch unter die einzelnen Mitglieder derselben verteilen wollte, stürmte überall beunruhigend ein und aus – bald bellte er rund um das Pferd herum, während dieses an der Stalltür gestriegelt wurde, bald stellte er sich, als wolle er sich wie toll auf seine Herrin stürzen, und machte dann plötzlich in ergötzlicher Weise halt, dann wieder der Tilly Tolpatsch, die auf einem Schemel am Feuer saß, einen Schrei entlockte, indem er ihr mit seiner feuchten Schnauze unvermutet im Gesicht herumfuchtelte; bald ein aufdringliches Interesse für das Wickelkind zeigte; bald rund um den Herd ging und sich niederlegte, als wolle er sich für die Nacht niederlassen; bald wieder aufstand und sein bißchen Schwanz in die Nacht hinaustrug, als habe er sich gerade eines Stelldicheins erinnert, und fort war er im raschen Trabe, um es nicht zu versäumen.

      »Da, da ist der Tee, die Kanne steht auf dem Herdrand«, sagte Dot mit der ernsten Geschäftigkeit eines Kindes, das Hausfrau spielt. »Und da ist der kalte Schinken und da Butter und da Brot und all das andere! Hier ist ein Waschkorb für die kleinen Pakete, John, wenn du welche hast – aber wo bist du denn, John? Tu, was du tust, aber laß das liebe Kind nicht auf den Rost fallen, Tilly!«

      Es muß hier bemerkt werden, daß Fräulein Tolpatsch trotz des Protestes, den sie gegen diese Möglichkeit einlegte, ein seltenes und ganz überraschendes Talent dafür besaß, das Wickelkind in allerlei Gefahren zu bringen, und mehr als einmal sein junges Leben mit einer nur ihr eigentümlichen Kaltblütigkeit aufs Spiel gesetzt hatte. Sie war von schmächtiger, hoher Gestalt, diese junge Dame, so, daß ihre Kleider in beständiger Gefahr zu sein schienen, von ihren spitzen Schultern, an denen sie nur lose hingen, herabzugleiten. An ihrem Kostüm war das Merkwürdige, daß es an allen möglichen Stellen gewisse Stückchen Flanell sehen ließ, und in der Gegend des Rückens ein Korsett von verschossenem Grün sichtbar wurde. Da Fräulein Tolpatsch stets in einem Zustande war, wo sie alles Denkbare begaffte und bewunderte und zudem in fortwährende Betrachtung der Vollkommenheiten ihrer Herrin und des Wickelkindes versunken war, so kann man wohl sagen, daß die kleinen Irrtümer ihres Verstandes ebensosehr ihrem Kopfe wie ihrem Herzen Ehre machten; und obgleich sie dem Köpfchen des Wickelkindes weniger Ehre machten, das sie gelegentlich in Berührung brachten mit Türkanten, Tischecken, Treppengeländern, Bettpfosten und andern fremdartigen Gegenständen, so waren sie doch nur das ehrliche Resultat von Tillys beständigem Erstaunen darüber, daß man sie so freundlich behandelte und sie in einem so behaglichen Hause untergebracht war. Denn die Tolpatsch, Vater und Mutter, waren der Fama beide gleich unbekannt. Tilly war durch öffentliche Barmherzigkeit aufgezogen worden, da sie ein Findling war, und dieses Wort, obgleich es grad so viel Buchstaben besitzt wie Liebling, hat doch einen ganz anderen Sinn und bezeichnet etwas durchaus anderes. –

      Dot liebkost ihren Mann.

      Es würde euch fast ebensosehr ergötzt haben wie John, wenn ihr selbst die kleine Mrs. Peerybingle mit ihrem Manne hättet zurückkommen sehen, wie sie an dem Waschkorbe zog und die tapfersten Anstrengungen machte, nichts zu tun – denn er trug ihn ja. Und soviel ich weiß, amüsierte es auch das Heimchen, wenigstens fing es jetzt mit einer gewissen Heftigkeit wieder zu zirpen an.

      »Hallo!« sagte John in seiner langsamen Weise, »‘s ist heut abend lustiger als je, scheint mir.«

      »Und es bringt uns sicherlich Glück, John! Das hat’s immer getan. Ein Heimchen am Herd zu haben, ist das größte Glück von der Welt!«

      John sah sie an, als wäre er nahe daran, auf den Gedanken zu kommen, sie sei sein Oberheimchen, und war vollständig mit ihr einverstanden. Aber es war vermutlich wieder eine jener Gelegenheiten, wo er nahe daran war, einen Witz zu machen, denn er sagte nichts.

      »Das erstemal, daß ich seinen munteren lieben Gesang hörte, das war an jenem Abend, John, da du mich in dein Haus – in mein neues Heim brachtest, als seine kleine Herrin. Es ist nahezu ein Jahr her. Du erinnerst dich doch, John!«

      O ja, John erinnerte sich! »Das sollt’ ich meinen!«

      »Sein Zirpen war mir ein so lieblicher Willkommensgruß! Es schien so voller Verheißung und Ermutigung! Es war, als wolle es mir sagen, du würdest gut und freundlich gegen mich sein und nicht erwarten – das fürchtete ich damals, John – einen alten Kopf auf den Schultern deiner dummen kleinen Frau zu finden.«

      John klopfte nachdenklich eine dieser Schultern und streichelte dann ihren Kopf, als wollte er sagen: »Nein, nein, ich hatte so etwas nicht erwartet; ich bin mit diesem Kopf und diesen Schultern ganz zufrieden.« Und er hatte durchaus recht: sie waren allerliebst.

      »Es sagte die Wahrheit, John, als es zu sprechen schien; denn du bist mir immer der beste, der nachsichtigste, der liebevollste Gatte gewesen. Du hast mir dieses Haus zu einem glücklichen Heim gemacht, John, und ich liebe das Heimchen darum.«

      »Na, dann ich auch«, sagte der Fuhrmann. »Dann ich auch, Dot.«

      »Ich liebe es, weil ich es so oft gehört habe und wegen der vielen guten Gedanken, die seine unschuldige Musik in mir angeregt hat. Wenn ich mich abends in der Dämmerung bisweilen ein


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