Leni Behrendt 6 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Inhalt
Wo du bist, kann ich nicht sein
Ein frostklarer Wintertag. Der Schnee knirschte unter den Füßen der Menschen, die mit eiligen Schritten durch die Anlagen gingen. Trotz der Sonne, die vom Himmel lachte, war es an diesem Januartag empfindlich kalt. Daher beeilte sich jeder, in die warme Stube zu kommen.
Nur das junge Paar nicht, das soeben auftauchte. Gemächlich wanderte es durch den knirschenden Schnee dahin. Beide trugen Reitdreß mit pelzgefütterter Jacke, darunter flauschige Pullover. Sie hielten die Zügel der Pferde in der Hand, die ungeduldig hinter ihnen tänzelten. Schnaubend stießen die Tiere den Atem durch die Nüstern, der wie weißer Dampf in die kalte Luft stieg.
Das Mädchen, groß, schlank, mit einem stolzen, fast hochmütigen Gesicht, hörte mit gelangweilter Miene auf die eindringlichen Worte des Mannes, der in seiner nach neuester Mode gewählten Kleidung stutzerhaft wirkte.
»Also darf ich hoffen?« fragte er mit selbstgefälligem Lächeln. »Nein«, war die unerwartete Antwort. Gerald Burden, dessen Vater das größte Bankhaus am Ort besaß, war verblüfft. Gewiß, die junge Dame war wohlhabend, aber an seinem Reichtum gemessen war das, was sie besaß, nur ein Bettel. Also konnte er sich eine solche Behandlung unmöglich bieten lassen!
Aber wiederum konnte er auf das Mädchen auch nicht verzichten, zumal er im Freundeskreis damit geprahlt hatte, recht bald seine Verlobung mit der Stolzen, die schon verschiedene Körbe ausgeteilt hatte, zu feiern. Sogar eine Wette hatte er abgeschlossen, die er schon allein um der Schadenfreude willen nicht verlieren durfte.
So fand er denn seine Selbstherrlichkeit rasch wieder und meinte mit nachsichtigem Lächeln: »Sie werden sich wohl noch besinnen, gnädiges Fräulein. Ihr Verhalten an Ihrem Geburtstag vor zwei Tagen hat mir gezeigt, daß ich Ihnen durchaus nicht so gleichgültig bin, wie Sie jetzt tun.«
»Dann kennen Sie mich besser als ich«, entgegnete sie mit einem Gleichmut, der ihn wieder ärgerte. »Gnädiges Fräulein, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß ich nicht irgendwer bin! Ich lasse nicht mit mir spielen –«
»Ach, seien Sie doch friedlich«, schnitt sie ihm lachend das Wort ab. »Ich denke gar nicht daran, mit Ihnen zu spielen. Sie sind ein netter Kerl, den ich gern mag – aber zu mehr langt es nun mal nicht.«
Ärgerlich biß er sich auf die Lippen, und sein grollender Blick ging über sie hin. Wenn sie nicht so verteufelt hübsch wäre, würde er sie einfach laufen lassen. Doch dieses Haar mit dem satten Goldton war einmalig. Dazu dieses stolzgeschnittene Gesicht mit dem leuchtendblauen Augenpaar, die rassige Gestalt – mit dieser Schwiegertochter würden selbst seine sehr anspruchsvollen Eltern zufrieden sein.
Und je länger er das eigenartige Mädchen betrachtete, um so heißer wurde ihm das Herz. Er brachte seinen Kopf dem ihren ganz nahe und flüsterte: »Ich liebe Sie.«
»Bilden Sie sich nur ein«, entgegnete sie trocken – und da wurde er böse. »Sie haben kein Herz«, stieß er zornbebend hervor, worauf sie bekräftigend nickte.
»Das nehme auch ich an. Und daher ist es gut, daß ich Ihre Frau nicht werde.« Ja, nun wußte er tatsächlich nicht mehr, was er sagen sollte. Während sie Seite an Seite weitergingen, zerbrach er sich angestrengt den Kopf, wie er diesem eigenwilligen Geschöpf beikommen könnte.
Unterdessen bogen sie von dem Anlagenweg ab, überquerten eine Straße und hielten gleich darauf vor einem Haus, das trotz seiner schlichten Bauart einen vornehmen Eindruck machte.
Ein breites Tor führte zum Hof. Das Mädchen öffnete die schwere Tür, stieß einen schrillen Pfiff aus, worauf ein Mann erschien, die Zügel ergriff und das Pferd abführte. Vor dem Portal reichte das Mädchen dem jungen Mann, der es bitterböse ansah, die Hand.
»Wann sehen wir uns wieder?« fragte er kurz.
»Wenn Sie vernünftig geworden sind«, entgegnete die junge Dame gelassen, indem sie den Ring hochhob, der durch ein Löwenmaul aus Bronze gezogen war. Die Tür öffnete sich mit leisem Schnarren, und ehe der Mann noch etwas sagen konnte, war sie im Hause verschwunden. Er ballte die Hände in ohnmächtiger Wut, warf sich auf das Pferd und ritt davon.
In der weiten Diele schüttelte sich das Mädchen, eilte dann die Treppe zum oberen Stockwerk empor, durchschritt zwei Zimmer und machte im nächsten halt, wo eine Dame am Tisch saß und Patience legte.
»Nun, Almut, schon zurück?« fragte sie, ohne sich stören zu lassen.
»Wie du siehst«, erwiderte die Gefragte kurz, hieb mit der Reitgerte zornig durch die Luft, schleuderte sie in die Gegend und ließ sich dann in einen Sessel fallen, die gestiefelten Beine weit von sich streckend.
»Ich hab’s satt –«, rief sie verdrießlich.
»Schon wieder mal?« kam es vom Tisch her, wo die Dame gleichmütig eine Karte neben die andere legte.
»Möpschen«, nannte das junge Mädchen die mollige Dame mittleren Alters und hatte mit dieser Bezeichnung sozusagen den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn das Gesicht hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit dem erwähnten Tierchen. Die mehr als rundliche Gestalt mit den kurzen, dicken Beinen vertiefte den Eindruck.
Nein, schön war »Möpschen« ganz bestimmt nicht, aber dafür herzensgut, allzeit gemütlich, von trockenem Humor und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.
Und das war gut für den Posten, den sie als Gesellschaftsdame der Almut Fahrenroth innehatte. Denn diese war so ungefähr das, was man exzentrisch nennt. Kam auf die sonderbarsten Einfälle und tat meist das, was ihr gerade einfiel. Vernunftsgründen war sie unzugänglich, ließ sich von keinem dreinreden – außer von »Möpschen« alias Fräulein Adele Aldermann.
Diese war in das Fahrenrothsche Haus gekommen, als Almut sechs Jahre zählte. Schnell hatte das eigenwillige Kind eine tiefe Zuneigung zu seiner Erzieherin gefaßt – und damit hatte diese alles gewonnen. Sofort erkannte sie, daß das kleine Mädchen sich vereinsamt fühlte. Daß es bei den Eltern die Liebe nicht fand, die es sich ersehnte.
Der um zehn Jahre ältere Bruder, korrekt und kühl, stand dem eigenwilligen Schwesterlein hilflos gegenüber. So blieb Almut bis zum sechsten Lebensjahr eigentlich sich selbst überlassen. Eltern, der Bruder und auch die Pflegerinnen, die sehr oft wechselten, ließen dem herrischen Persönchen jeden Willen, um nur ihre Ruhe zu haben.
Und dieses kleine Ungeheuer sollte Fräulein Adele, damals fünfundzwanzig Jahre alt, unterrichten und erziehen. Keine dankbare Aufgabe, die jedoch ihre Schrecken verlor, da sie das bildschöne Kind vom ersten Augenblick an liebte und dieses sie auch. Alles Gute und Schöne in dem Kinderleben war fortan »Möpschen« – ein Kosename, von Almut geprägt und als eigenstes Eigentum gehütet.
Vier Jahre unterrichtete »Möpschen« Almut, dann kam diese zur Schule und brauchte daher ihre Hauslehrerin nicht mehr. Als sie traurig von hinnen ziehen wollte, verhinderte Frau Fahrenroth es. Sie fürchtete nämlich, daß sie sich dann selbst um ihre Tochter kümmern müßte, was ihr absolut nicht zusagte – und dem Gatten noch weniger.
Also blieb Fräulein Aldermann – und blieb gern. Da sie gezwungen war, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, konnte es ihr ja nirgends besser gehen als in dem großzügigen Hause, wo sich keiner um