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hundert andere Veranstaltungen ähnlicher Art. Gar nichts Romantisches ereignete sich, es sei denn, daß der Koch Howhannes das Mahl auf einem offenen, großen Feuer bereitete. Übrigens hatte Missak, der verwegene Bursche, sich vor einigen Tagen nach Antiochia gewagt und dort bei einem befreundeten Militärlieferanten eine ganze Maultierladung englischer Konserven erstanden, die man heute ausprobierte. Während des Essens stand Stephan mehrmals auf, um der hungernden Sato, die sich jenseits des Feuerscheins versteckt hielt, einen Teil seiner Mahlzeit, in einem Brot vergraben, mitzubringen. Man saß, wie es sich gehörte, neben dem Feuer auf Decken. Missak hatte über eine glatte Stelle ein Tischtuch gebreitet, auf dem die Schüsseln standen. Der Abend war wohlig frisch. Der Mond ging seinem dritten Viertel entgegen. Das Feuer flackerte schwächer. Man trank Wein und den starken Maulbeerschnaps, den die Bauern der Dörfer brannten. Dennoch wollte kein Behagen und keine trauliche Lust an diesem Abenteuer aufkommen. Juliette machte dem Zusammensein sehr früh ein Ende. Sie fühlte sich so eigentümlich beklommen. Nun erst verstand sie Iskuhis Widerstreben. Überall umlauerte sie die wilde, unbewohnte Erde mit ihrem furchtbaren Ernst. Vielleicht war's wirklich von Gabriel ein lästerliches Spiel. Sie und Iskuhi zogen sich ins Zelt zurück. Auch die andern sagten einander gute Nacht. Oskanian schritt erhobenen Hauptes von dannen, um in der nächsten Nähe des Dienerlagers seine Wichtigtuerei durch eine verfrorene Nacht zu büßen. Gabriel teilte noch den Wachdienst ein. Zwei Mann hatten gemeinsam jeweils drei Stunden lang den Schutz der Zelte zu übernehmen. Bagradian übergab ihnen Gewehre und scharfe Patronen. Kristaphor und Missak waren Jagdbegleiter des Verstorbenen gewesen und verstanden es gut, mit Waffen umzugehn. Zuletzt legte sich Gabriel hin. Aber ebensowenig wie Iskuhi vermochte er zu schlafen. Das Mädchen lag starr und rührte kein Glied, um Juliette nicht zu wecken. Gabriel hingegen warf sich hin und her, stundenlang. Der Kampfer- und Modergeruch des Zeltes erstickte ihn. Endlich kleidete er sich wieder an und trat hinaus. Es war vielleicht eine halbe Stunde vor Mitternacht. Die Wächter, Missak und den Koch, schickte er schlafen. Dann ging er als einziger Beschützer des Dreizeltplatzes langsam auf und ab. Manchmal knipste er seine Taschenlampe an, aber sie erhellte nur einen winzigen Kreis. Diese Nacht hatte gar nichts Gefährliches an sich. Nicht einer von den wilden Hunden, die unten das nächtliche Tal unsicher machten, war mit seinen glühenden Lichtern der Gesellschaft gefolgt. Auch sonst kein unheimlicher Laut. Fledermäuse durchzuckten die Finsternis. Wenn eine Wolke den meerwärts verschwindenden Mond freigab, begann eine Nachtigall zu singen, so quellend und energisch in der Totenstille, daß Bagradian erschüttert war. Er versuchte darüber nachzudenken, wie es kam, daß seine innersten Gedanken schon so klare Gestalt angenommen hatten. Als drei Zelte zeichneten sie sich gegen den Nachthimmel. Wie war das? Er konnte jetzt nicht denken. Seine Seele war viel zu voll. Als Gabriel sich eine neue Zigarette anzündete, stand unweit von ihm ein Gespenst, das sich ebenfalls eine Zigarette anzündete. Das Gespenst trug die Lammfellmütze türkischer Soldaten und stützte sich auf ein Infanteriegewehr. Das Gesicht konnte er nicht sehn, aber es mußte ein ganz abgemagertes Gesicht sein, das in der Zigarettenglut schwach aufleuchtete. Gabriel rief das Gespenst an. Auch beim zweiten und dritten Anruf rührte es sich nicht. Gabriel zog die Armeepistole, die er mitgenommen hatte, und spannte hörbar den Verschluß. Es war nur eine leere Förmlichkeit, denn er spürte genau, der Schatten werde nichts gegen ihn unternehmen. Dieser blieb noch eine Weile unbewegt, dann gluckste ein sonderbar langsames und blasiertes Lachen herüber, die Zigarette verschwand und mit ihr der Mann. Gabriel schüttelte Kristaphor aus dem Schlaf:

      »Es sind irgendwelche Leute hier. Ich glaube Deserteure.«

      Der Verwalter zeigte sich weiter nicht erstaunt:

      »Nun ja, es werden Deserteure sein. Die armen Burschen tun sich nicht leicht.«

      »Ich habe nur einen gesehen.«

      »War's vielleicht der Sarkis Kilikian?«

      »Wer ist Sarkis Kilikian?«

      »Asdwaz im! Barmherziger Gott!« Kristaphor machte eine matte Handbewegung, als lasse es sich gar nicht ausdrücken, wer Sarkis Kilikian sei. Bagradian aber befahl seinen Leuten, die jetzt alle erwacht waren:

      »Geht und sucht diesen Kilikian! Bringt ihm etwas zum Essen. Der Mensch hat Hunger.«

      Kristaphor und Missak machten sich mit ein paar Konservenbüchsen und einer Laterne auf den Weg, kamen aber nach einer Weile unverrichteterdinge zurück. Wahrscheinlich hatten sie es doch im letzten Augenblick mit der Angst gekriegt.

      Hatte der Abend Beklommenheit gebracht, so enttäuschte der Morgen. Die Welt war dunstig. Unruhe erfüllte die Gemüter. Der Sonnenaufgang vollzog sich unsichtbar. Dennoch erstieg man eine der nackten Kuppen, von der aus, langsam aus dem Nebel wachsend, Meer und Land den Blicken sich darboten. Bagradian drehte sich um seine Achse:

      »Ein paar Wochen könnte man es hier aushalten.«

      Er sagte das so, als wolle er die Schönheit des Musa Dagh gegen ungerechte Schmähungen verteidigen. Krikor, voll ausgeglichener Ruhe, äugte auf das recht bewegte Meer hinaus:

      »Früher, zu meiner Zeit, konnte man hier an schönen Tagen bis nach Zypern sehn.«

      Keiner lachte über diese Redewendung und fragte, ob etwa die Insel Zypern dort im Südwesten, seitdem die Engländer sie zu ihrem Flottenstützpunkt gemacht hatten, weiter ins Mittelmeer hinausgeschwommen sei. Auch Gabriel Bagradian sann nach Zypern hinüber:

      »Das Kap Andreas liegt keine vierzig Seemeilen weit von der Orontesmündung. Und doch ist, seitdem ich hier bin, noch kein einziges englisches oder französisches Kriegsschiff von der Küste gesehen worden.«

      »Immerhin, sie sitzen in Zypern.«

      Mit diesen Worten unerschütterlicher Beruhigung wandte Krikor Zypern den Rücken, um das endlose Land im Süden und Osten, das er seit Jahrzehnten nicht mehr zur Kenntnis genommen hatte, gleichmütig zu betrachten. Die Bogen der römischen Wasserleitung von Seleucia traten scharf aus dem zerrinnenden Dunst. Über den mageren Bergen östlich des Damlajiks hing eine vollgesogene rostfarbige Sonne. Die Hügel verwellten grau und braun gegen Antakje zu. Unbegreiflich, daß in diesen leeren Falten, auf diesen unerweckten Flächen Hunderttausende von Menschen leben sollten. Das friedlich-öde Bild bewog den Apotheker, auf Dinge hinzuweisen, die er sonst absichtsvoll unerwähnt ließ. Sein greisenhafter Zeigefinger schwebte im Leeren:

      »Da seht! Alles wie immer! Unter Abdul Hamid, da brannte oft der ganze Horizont. Und wir sind dennoch alt geworden.«

      Gonzague Maris hatte von allen Teilnehmern dieser Partie zweifellos am besten geschlafen, so frisch und straff sah er aus. Er deutete auf die große Spiritusfabrik bei Suedja, deren Schlot schon zu qualmen begann. Die Fabrik gehöre einer ausländischen Gesellschaft, erzählte er, und der Direktor sei ein Grieche, den er aus Alexandrette kenne. Er habe ihn erst vor zwei Tagen gesprochen und nicht unwichtige Neuigkeiten erfahren. Die erste: Ein gemeinsamer Friedensversuch des amerikanischen Präsidenten und des römischen Papstes sei im besten Zuge. Die zweite: Was die armenische Umsiedlung betreffe, so gelte sie nur für die anatolischen Vilajets, nicht aber für Syrien. Er, Gonzague, könne die Stichhaltigkeit dieser Nachrichten nicht prüfen, doch jener Fabrikdirektor sei ein angesehener Mann, der allmonatlich mit dem Wali von Aleppo persönlich über Staatslieferungen verhandle. In diesem Augenblick erfüllte Gabriel ein aufflutender Glaube, alle Gefahr sei überwunden und das Nahende entferne sich ins Unsichtbare. Ihm war, als habe er selbst das Schicksal in die Flucht geschlagen. Dankbar strömte es aus ihm:

      »Sagt selbst! Ist es nicht schön hier!?«

      Juliette drängte zur Heimkehr. Sie haßte es, frühmorgens in Gesellschaft zu sein und noch dazu in männlicher. Am Morgen sehen nur häßliche Frauen gut aus, meinte sie, und um sechs Uhr früh gebe es keine Damen. Auch wollte sie sich vor der Messe noch wenigstens eine halbe Stunde lang ausruhen. Als Katholikin hatte sie Gabriel zuliebe vor ihrer Trauung das gregorianische Bekenntnis angenommen. Dies war eines ihrer Opfer, auf welches sie bei den gewissen Zwistigkeiten hinzuweisen pflegte. Nach ihrer Art mäkelte sie auch an der armenischen Kirche herum. Sie war ihr zu glanz- und schmucklos. Den Vorhalt, daß die Volkskirche alles überflüssige Geld für das Schulwerk verwende, lehnte sie als vernünftlerisch ab. In der Hauptsache tadelte es Juliette, daß die gregorianischen Priester Barte trugen und meist noch sehr lange. Bärtige Männer


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