Griechische Mythologie. Ludwig Preller
Читать онлайн книгу.rel="nofollow" href="#ulink_2d0ee2b5-f590-52b1-95b2-a2a3afd4e1d9">765, desgleichen in Korinth. Als Göttin der himmlischen Erscheinungen und ihrer Gesetze war sie zugleich eine Göttin des Schicksals und seiner Fügungen, daher eine Inschrift in Athen sie die älteste der Moeren nannte766 und in andern Gegenden in ihrem Dienste auch geweissagt wurde. Ihre Natur dachte man sich oft jungfräulich wie die der Athena und aus demselben Grunde, daher sie in Karthago Virgo Caelestis, die himmlische Jungfrau schlechthin hieß, aber freilich auch Iuno und Venus Caelestis, denn sie war und blieb auch in dieser Auffassung eine Göttin der weiblichen Fruchtbarkeit und der Geschlechtslust, welcher ihre Hierodulen zu Korinth und auf dem Eryx dienten. So führte in Sikyon, wo ihren Priesterinnen Keuschheit vorgeschrieben war, das von Kanachos gearbeitete Bild auf dem Haupte einen Polos als Sinnbild des Himmelsgewölbes und in den Händen Mohn und Apfel als Sinnbilder der Fruchtbarkeit und der Liebe (Paus. 2, 10, 4). Endlich in Elis, wo man Aphrodite Urania eine Tochter des Himmels und der Tageshelle nannte, hatte das von Phidias gearbeitete Bild den einen Fuß auf eine Schildkröte gestellt, das Sinnbild einer sittigen Häuslichkeit, während ein daneben stehendes Bild des Skopas, welches man Aphrodite Pandemos nannte, die Göttin auf dem geilen Bocke sitzend zeigte767. Zuletzt d. h. in der hellenistischen und römischen Periode wurde bei den Ueberlieferungen von dieser Göttin vorzüglich an der Vorstellung der ehelichen Liebe und Fruchtbarkeit und der siegreichen Wehrhaftigkeit festgehalten. In jener Hinsicht ist Venus Urania nun sogar im Gegensatze zur Pandemos eine Göttin des Kindersegens768; in welchem Sinne auch die Venus der Aeneaden Genetrix ist d. h. eine Göttin des Geschlechts und der Zeugung, als Stammmutter und ideale Hausfrau, daher bekleidet, wie die älteren Bilder der Aphrodite überhaupt gewöhnlich bekleidet waren. Oder sie ist bewaffnet und Siegesgöttin, νικηφόρος, unter welchem Beinamen Aphrodite in Pergamum, in Smyrna, in Argos, in Samnium verehrt wurde769, oder mit den Waffen des Ares beschäftigt, wie die bekannten Statuen der Venus von Capua und die nach dieser zu ergänzende der Venus von Milo sie vergegenwärtigen770.
Das andere Gebiet der Aphrodite ist das Meer, wo sie so gut herrscht und heimisch ist wie in dem Himmel771, daher sie als ποντία, πελαγία, ϑαλασσία und εὔπλοια weit und breit verehrt wurde, natürlich besonders in den Häfen und an den Küsten, wie immer die Wege des Handels und der Schifffahrt von Ort zu Ort führten. So auf Kypros, wo das Orakel zu Paphos auch über die Schicksale der Schifffahrt befragt wurde772, und in dem Dienste der idaeischen Aphrodite von Troas, welche sowohl den Paris als den Aeneas auf ihren Fahrten über See behütete. Auch wird die hin und wieder, vorzüglich in der Bucht von Salonichi, ferner auf Zante, auf Leukas, auf dem Vorgebirge Action, an der Küste gegenüber Corfu, endlich in Sicilien neben der erycinischen Venus verehrte Aphrodite Αἰνειὰς oder des Aeneas, welche die Sage von diesem Heroen auf denselben Wegen verbreitete und zuletzt bis an die latinische Küste getragen hat773, gleichfalls am besten als Pelagia d. h. als die Göttin des Seeverkehres aufgefaßt werden, wie wir derselben bereits in Knidos774, in Ancona, in Dyrrhachium und in andern Häfen begegnet sind. Und zwar ist die Wirkung der Aphrodite auch in diesem Naturgebiete gewöhnlich eine besänftigende, Winde und Wogen beschwichtigende775, wie die der Ino Leukothea, ihrer nahen Verwandten. Daher sie als eine Göttin des heitern Meeres (γαληναίη) und der glücklichen Fahrt und des sichernden Hafens unter entsprechenden Beinamen verehrt wurde, oft neben Poseidon776 und zwar neben dem stürmischen als die besänftigende Gewalt des Meeres. Sehr bezeichnend ist in dieser Hinsicht eine Feier des Poseidon und der Aphrodite λιμνησία und γαληναία auf Aegina, wo erst dem Poseidon zu Ehren geopfert und geschmaust wurde, aber mit Erinnerung an die auf dem Meere Gebliebenen, zuletzt eine Feier der Aphrodite mit ausgelassener Fröhlichkeit nachfolgte777. Eben deshalb pflegten die Künstler die schönste Geburt des feuchten Abgrundes am liebsten mit jenen grotesken Gestalten und Dämonen des Meeres zusammenzustellen, an denen die griechische Mythologie so reich ist, um in diesem Contraste die Macht der Liebesgöttin auch über die unbändige und wechselvolle Natur des Meeres recht ausdrücklich hervorzuheben, in der Begleitung von Nereiden und Eroten von Tritonen und andern Ungeheuern über das Meer getragen778. Auch die Fischer verehrten diese meergeborne und meerbeherrschende Aphrodite779. Und wie die Griechen überall Wellen und Rosse, Schiffe und Wogen zusammendachten, so wurde auch Aphrodite auf diesem Wege eine ἔφιππος und ἱπποδάμεια, obwohl diese Eigenschaft nur selten bei ihr erwähnt wird780.
Weit anregender für die Phantasie und der gewöhnlichen Vorstellung zugänglicher mußte sich drittens die Aphrodite des Erdelebens bewähren, sowohl für die Symbolik des Cultus als für die Sagendichtung. Es ist die Göttin der Gärten, der Blumen, der Lusthaine, die reizende Göttin des Frühlings und der Frühlingslust, die Göttin des sinnlichen Reizes und der Liebe, kurz die Venus an welche Jeder bei diesem Namen zunächst denkt. Ihr besonders war der Frühling geweiht, in Italien der Monat April, sammt allen Blumen und Blüthen welche der Frühling bringt, vorzüglich die schönen und zarten Blumen und Gewächse, wie Myrten und Rosen, sammt anderen Pflanzungen die man in Gärten und feuchten Gründen zu ziehen pflegte. Daher die heiligen Gärten (ἱεροκηπὶς) zu Alt-Paphos, die Urania ἐν κήποις in Athen, eine A. ἐν καλάμοις oder ἐν ἕλει, d. h. im Sumpf, im Röhricht, zu Samos und ihre Verehrung in feuchten Hainen und Gärten gleich der Artemis und den Nymphen781. Anderswo wurde sie im Schmucke der Blumen als ἄνϑεια verehrt782 und immer ist sie mit Blumen bekränzt, die durch sie gedeihen und blühen, vor allen mit Myrten und Rosen, den Blumen der schönsten Jahreszeit. Und immer ist es der feuchte Erdboden und die feuchte Jahreszeit in denen sich Aphrodite am meisten offenbart, wenn der Zephyr wieder zu wehen anfängt, Zeus und Hera ihre Vermählung feiern, diese geziert mit dem Gürtel der Charis den Aphrodite ihr gegeben, wenn der Himmel sich in brünstigen Regenschauern über die Erde ergießt und wie sonst die Dichter diese Bilder ausführen; denn es war von jeher ein Lieblingsthema der Dichter, die Macht der Liebe wie sie sich im Frühlinge offenbart zu schildern. Aphrodite selbst heißt deshalb ζείδωρος, ἠπιόδωρος, εὔκαρπος und δωρῖτις d. h. die Gabenreiche, die Fruchtbare. Und schnell pflanzt sich der neue Trieb des Jahres auf die anderen Geschöpfe fort und vor allen empfindet ihn die Göttin selbst und erfreut sich ihrer Geliebten, des Adonis auf Kypros, des Hephaestos auf Lemnos, des Ares zu Theben, des Anchises in dem idaeischen Waldgebirge, wie davon der Homerische Hymnus singt. Im Frühlinge schreitet sie durch die Waldung zum geliebten Manne und wo sie sich blicken läßt folgen ihr schmeichelnd die Thiere des Gebirges und huldigen dem süßen Triebe (H. in Ven. 69 ff.). Daher auch die Hauptfeste der Venus, welche in den Frühling fielen783, ganz in diesem Sinne gefeiert wurden, größtentheils bei nächtlicher Weile in Gärten und blühenden Lauben, unter Reigen und Tänzen und in ungezügelter Hingebung an Lust und Liebe, zumal auf Cypern, der sehr fruchtbaren, an allen Blumen und Blüthen überschwenglich reichen und in ihren Wohlgerüchen duftenden Insel, wo die Myrte, die Rose, die Anemone, die Granate, die Tamariske der Sage nach durch sie entstanden waren784.