Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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      Irimbert schien dieses flüsternde Gespräch nicht zu hören. Er lag mit geschlossenen Augen und atmete ruhig.

      Ein Mittag; die Sonne mild und in den linden Frühlingslüften kein Hauch.

      Fast senkrecht fielen die goldenen Strahlen in den kleinen Klostergarten, den der Kreuzgang mit seinen zierlichen Doppelsäulen im Viereck umgab; ein Gärtl, das sich ansah wie ein Spielzeug. Zwei schmale, weiß besandete Wege kreuzten sich zwischen vier Rasenbeeten. In der Mitte eines jeden Beetes stand ein junger Kirschbaum, noch ohne Laub, die Zweige schon übersät mit Blütenknospen. Neben den Wegen blühten die ersten Blumen des Frühlings, Veilchen, Primeln, Lilien und duftende Bergaurikeln; der Bruder Gärtner hatte diese Blumen so gepflanzt, daß sie Figuren bildeten: ein Kreuz, einen Kelch, ein brennendes Herz und die Initialen heiliger Namen.

      Flimmernd spielte die Sonne um den Kreuzgang, und hineinleuchtend unter die Bogen der kleinen Doppelsäulen, umschimmerte sie einen frischen Grabstein. Schon viele Steine, welche die Namen und Wappen der heimgegangenen Chorherren zeigten, waren zwischen die Fliesen des Kreuzganges eingelassen oder in die Wände gemauert. Mit einer großen, kunstvoll aus rotem Marmor gemeißelten Platte, unter welcher Eberwein, der erste Propst von Berchtesgaden, seit hundert Jahren schlummerte, begann die lange Reihe und endete mit dem jungen Stein, unter dem der alte Scharsach seine Ruhe gefunden.

      An diesem Stein hingen mit sinnendem Blick die Augen des Genesenden. Zwischen den Säulen saß er auf der niederen Brüstung in der Sonne, das Gesicht von Schatten überhaucht, die Schulter und das weiße Haar von Glanz umleuchtet. Still lagen ihm die welken Hände im Schoß, während sein Blick vom letzten der Steine hinglitt über die anderen. Was mochte unter diesen Steinen alles begraben liegen an Kraft und freudigem Schaffen, an Schwäche und gärendem Unzweck, an frommem Glauben und nagenden Zweifeln, an Haß und Liebe, an halber Erkenntnis und zufriedener Torheit, an Menschenfreude und Menschenweh? Und alles zur Ruhe gekommen, eines dem anderen gleich geworden, das Bittere wie das Süße!

      »Schauet, Herr«, sagte Bruder Eligius, der zu Immhofs Füßen saß, »da ist in der linden Sonn ein Buttervögelein ausgekrochen!«

      Irimbert betrachtete den gelben Falter, der eben erst aus der Puppe geschlüpft war; seine Flügel waren noch runzlig und kraftlos, während er langsam über den Stengel einer Lilie hinaufkribbelte; in der Sonne glätteten sich die Schwingen, und ihre zarten Rippen streckten sich. Immhof lächelte. »Die Raupe machte aus ihrer häßlichen Wahrheit einen schönen Traum und wurde ein Schmetterling!«

      Wieder saßen die beiden schweigend, bis Eligius sich erhob. »Die Sonn geht über die Dächer. Kommet, Herr, ich führ Euch hinauf!« –

      Nach einigen Tagen bedurfte Irimbert, wenn er in das sonnige Gärtl hinunterstieg, keines Führers mehr. Als ihm die Chorherren, die vom Refektorium kamen, zum erstenmal im Kreuzgang begegneten, gingen die einen mit ruhigem Gruß an ihm vorüber, die anderen sprachen ihn an und schwatzten von der schönen Frühlingszeit, als sprächen sie zu einem fügsam gewordenen Kind, das man an die überstandene Strafe nicht erinnern will. Immhof ließ sich ihr Gerede schweigend gefallen. Je mehr er sich verschloß vor ihnen, um so freundlicher wurden sie. Ihr Wohlwollen nahm eine Form an, die ihn reizte. Immer wieder drängte sich ihm die Frage auf: »Welche Wahrheit verbirgt sich hinter ihren Masken, welche Absicht verstecken sie vor mir?«

      Einmal sagte er’s ihnen ins Gesicht: »Seid ihr andere Menschen geworden? Dann ist ein Wunder geschehen, und ihr habt Ursach, euren Gott zu preisen. Seid ihr die gleichen geblieben, die ihr wart, wozu die Heuchelei? Laßt mich in Ruhe!«

      In Nachsicht lächelten sie zu diesem schroffen Wort. Nur Herr Pabo erwiderte mit frommem Ernst: »Gott und die Kirche haben in Gnade an dir gehandelt. Du hättest Grund, dich zu erniedrigen und dankbare Demut zu zeigen.«

      »Erniedrigung? Die mag dir geziemen, Pabo, der du sie predigst. Mir laß meinen Stolz! Er muß eine Tugend sein, weil er dir mißfällt.«

      Dem Kaplan stieg das Blut zu Kopf, er wollte heftig antworten; da fiel der Eschelberger mit heiterem Lachen ein: »Den Immhof solltet ihr predigen lassen am nächsten Bußtag! Er wird den Bauern von der Kanzel zurufen: ›Hebt die gescherten Köpfe, seid stark und stolz, es gibt keine schönere Tugend!‹ Solches Evangelium möcht ihnen besser gefallen als Pabos fromme Christenlehre: ›Beuget euch und ducket in Ergebung die Köpfe, bedenkt, daß ihr schwache Menschen seid und daß die Schwäche des einen der Schwäche des anderen hilfreich sein muß in christlicher Liebe!‹ So hat Herr Pabo am Ostertag geredet. Sag, Immhof, wie hättest du gepredigt?«

      Irimbert richtete sich auf, als ränne durch seinen müden Körper eine Welle frischen Blutes. »Ich hätte unter den Schwachen einen Starken gesucht. Diesem einen hätt ich zugerufen: ›Fühle die Kraft deines Lebens und nütze sie, sei wie ein Baum, dann wirst du Schatten geben, in dem sich die Schwachen nach heißer Mühsal kühlen!‹ Euch aber sag ich: Der Wille eines einzigen, der stark war, hat auf Erden des Guten mehr getan als die schwache Liebe, die ihr predigt und die in euren Seelen wohnt wie die Elster in ihrem Horst.«

      Es wäre zu einem bösen Auftritt gekommen, hätte sich nicht Herr Konrad von Bergheim, der Kellermeister, der schon durch die Fülle seiner Erscheinung beruhigend wirkte, ins Mittel gelegt. »Haltet Frieden, ihr Herren! Ihr habt ihm Galle zu trinken gegeben. Wundert euch nicht, wenn er Essig in eure Becher gießt. Bedenket, er ist ein Kranker, noch allweil ist ihm der Wein verboten. Die Wasserschlemmerei versäuert das Gemüt. Und bedenkt, wie jung er noch ist! In einem Jüngling ist alles unreif und töricht.«

      »Auch Jesus von Nazareth war ein Jüngling. Willst du ihn unreif und töricht nennen? Ein Glück, daß Bruder Medardus nicht hier ist. Er würde schreien: ›Du hast Gott gelästert, in die Mauer mit dir!‹« Irimbert kehrte den Chorherren den Rücken und verließ den Kreuzgang.

      Herr Pabo lief zum Dekan, um gegen Immhof zu klagen. Da fand er üblen Empfang. »Der Schuldige bist du! Ich hab euch befohlen, jede seiner Launen zu dulden. Denke deines Eides, Pabo, und gehorche!«

      Der Kaplan gehorchte. Schon am folgenden Tage war er unter den Freundlichen gegen Irimbert der Freundlichste. Aber es fehlte ihm bald an Gelegenheit, den Eifer seines Wohlwollens zu betätigen. Immhof ging den Chorherren aus dem Weg und blieb in seiner Zelle, versunken in ein Buch, das ihm der Propst gegeben hatte. Es war der Titurel des Wolfram von Eschenbach.

      Täglich kam Herr Friedrich, um eine Stunde bei dem Schweigsamen zu verplaudern. Auch dem Propste gegenüber blieb Irimbert wortkarg und verschlossen. Nur wenn die Rede auf das Werk des Wolfram kam, öffnete die Begeisterung seine Lippen. »Wie konnte solch ein reines und schönes Werk entstehen in einer Zeit wie der unsrigen?«

      Herr Friedrich lächelte. »Die schönsten Blumen wachsen immer, wo Mist gefahren wurde. In Zeiten, die erträglich sind, schreibt man keine Bücher oder schlechte. Ein tiefes Kunstwerk ist immer steingewordenes Herzblut, das dem Künstler aus schmerzender Wunde floß.«

      Mit dem Propste kamen manchmal auch Saaleck und Pütrich. Der Gast, der sich am häufigsten einstellte, war der bucklige Isengrimm. Irimbert schien zu fühlen, daß es dieser boshafte Spötter gut mit ihm meinte, und so ließ er es gern geschehen, wenn ihm der Bucklige mit seinen derben Späßen den schwermütigen Ernst zu verscheuchen suchte.

      Die sonnigen Morgenstunden und die milden Abende verbrachte Immhof in einem der kleinen Mauergärten, die hinter den Wänden des Kapitelsaales auf engem Raum hinausgebaut waren über die steilen Felsen, mit denen der Priesterstein sich hinuntersenkte in das Tal der Ache. Da saß er oft lange Stunden regungslos an die Brüstung der Mauer gelehnt, während sein Blick emporspähte über die Gehänge des Hohen Göhl, dessen Kuppen noch bedeckt waren von tiefem Schnee. Wo dort oben der knospende Buchenwald mit den dunklen Fichtenwäldern zusammenfloß, dort sah man über den Kamm der Wipfel etwas hervorragen wie einen grauen Reisigstrauß, die noch blätterlose Ulme im Gotteslehen mit dem Sparrenwerk des Lugaus in ihrer Krone.

      Eines späten Nachmittags, am Vorabend des ersten Mai, saß Immhof einsam in dem kleinen Garten. Seine dürstenden Augen hingen an der grauen Stelle über den Wäldern. Nichts anderes sah er, nicht den Zauber des erwachenden Frühlings, nicht den reinen Glanz der Lüfte. Er hörte nicht die Stimmen, die


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