Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer

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Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig  Ganghofer


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wenn es sich um ein Nannerl oder um eine Stasie gehandelt hätte. Wenn Menschen in der Einsamkeit nebeneinander hausen, müssen sie füreinander einstehen in Not und Gefahr, jedes ist verantwortlich für das Wohl und Wehe des anderen. Und da sitzt nun solch ein junges, bildsauberes, dummes Ding in der unbewachten Sennhütte, ist an nichts anderes gewöhnt als an den gefahrlosen Verkehr mit »so unfürmigen Lümmeln«, wie der Praxmaler-Pepperl einer war – und da kommt nun so ein Pikfeiner aus der Stadt, mit silbernen Schnallen auf den Schuhen, mit seidenen Strümpfen und mit süßen Redensarten wie »Main scheenes Gindd!« – ja du lieber Herrgott, da ist doch ein Unglück geschehen, eh man sich umschaut! Und da sollte Pepperl nicht die heilige Pflicht haben, das zu verhindern? Der Burgi zulieb? Gott bewahr! Aber nun hatte das arme Mädel doch schon die Mutter verloren, und ihr alter Vater stand auch nur noch ein Katzensprüngl vom Grab entfernt! Freilich hatte Pepperl sich in den vergangenen Jahren sehr wenig um den alten Brenntlinger gekümmert. Jetzt aber war der gewissenhafte, unter Verantwortungsdruck und selbstlosem Pflichtgefühl heftig schwitzende Praxmaler-Pepperl in seinen Gedanken plötzlich ein Herz und eine Seele mit dem »guten, braven Mannderl«. Wohl hatte der alte Brenntlinger eine bedenkliche Vorliebe für den Doppeltgebrannten, aber er trug doch auch ein richtiges Vaterherz in seiner Brust! Und was wird er sagen, wenn er's einmal erfahren muß – das ganze schreckliche Unglück der Burgi!

      Bei dieser Vorstellung krampfte sich Pepperls Herz in stechender Qual zusammen, wie sich ein Igel wollt, wenn der Hund ihn apportieren will. Er dachte mit keinem Gedanken an die Burgi, Gott behüt, nur an den armen, alten, braven Vater! Er sah ihn durch den Wald einherkommen, wankend und gebeugt, wie zu Boden gedrückt durch die Last dieses Kummers. Und nun stand der Unglückselige vor dem Praxmaler-Pepperl, schaute ihn todestraurig mit den rot geränderten Säuferaugen an, in denen das Wasser glitzerte, und sagte mit seiner Stotterstimme: »Aber, Pepepepepperl, hörst, das hätt ich mir doch net denkt von dir, daß d' mir gar net aufpassen tust aufs Madl! Und jetzt schschschau dir dös Unglück an!«

      Dem Pepperl wurde fürchterlich weh um die selbstlose Menschenseele. »Himmelkreuzteufi noch amal!« Er streckte drohend die Arme in die Finsternis. »Zerreißen und schlitzen tu ich den Kerl in der Luft, wann er 's Madl net in Ruh laßt!« Schnaufend schob er die wollene Decke von der Brust. »Herrgott, so was von Hitz! Da steh ich schon lieber auf. Schlafen kann ich eh nimmer.«

      Achtsam, um den schnarchenden Bettkameraden nicht zu wecken, erhob er sich, strich ein Zündholz an und sah nach der Uhr. Ein paar Minuten fehlten noch bis drei. »No also, is ja eh schon Pirschzeit!« Sinnend stand er in der finsteren Stube und starrte das Zündholz an, das sich im Erlöschen krümmte wie ein feuriger Wurm. Dann packte er mit der einen Hand seine Joppe und die Schuhe, mit der anderen den Hut, die Büchse und den Rucksack.

      Lautlos zog er hinter sich die Tür zu und machte sich unter freiem Himmel zum Pirschgang fertig.

      Schon begann im Ostern ein mattes Dämmern, und die Sterne wollten erlöschen. Schwarzgrau dehnte sich das betaute Almfeld, der Brunnen plätscherte, und halblaut bimmelte die Glocke eines Rindes, das irgendwo im Grase lag. Ganz deutlich unterschied man schon im Zwielicht die grobe Mauer der Sennhütte und in dem trüben Morgengrauen das schwarze Fensterchen.

      Dieses Fenster betrachtete Pepperl unter angestrengtestem Nachdenken. Das heilige Pflichtgefühl, die Verantwortung, die er dem alten Brenntlinger gegenüber zu tragen hatte, war ihm in solcher Heftigkeit »eingeschossen«, daß er ganz unmöglich zur Morgenpirsche ausziehen durfte, ohne dem »dalketen Madl« eine ernste Warnung zu erteilen.

      Mit langen Sprüngen rannte er über das Almfeld hinunter, wie einer, der gestohlen hat. Da hörte er im nahen Hegerhäuschen den rasselnden Wecker gehen. Erschrocken hielt Pepperl inne. »Dös braucht ja keiner z'wissen, daß ich ihr a bißl predigen muß!« Und just, als hinter den trüben Scheiben des Jägerstübchens der Lichtschein aufging und Mazeggers Silhouette im hellen Fenster erschien, drückte Pepperl sich um die Ecke der Almhütte. Die verriegelte Tür verursachte dem Tugendwächter mit den Kreuzerschneckerln nicht das geringste Kopfzerbrechen. Er kannte den primitiven Mechanismus dieses Schlosses. Mit dem Messer fuhr er durch eine Spalte der Bretter und hob innen ohne Mühe den Riegel auf. In der Sennstube herrschte rabenschwarze Finsternis. Da war der Weg zu Burgis Kammertür ohne einiges Stolpern und Gepolter nicht zu finden.

      Hätte die junge Sennerin auch den Schlaf einer alten Bärin gehabt, sie hätte bei diesem Spektakel erwachen müssen. »Mar und Joseph! Was is denn?« klang die schlaftrunkene Stimme des Mädels aus der Kammer.

      »Nix is 's! Gar nix! Na, na! Bloß ich bin's!« flüsterte Pepperl durch die Klumsen der Kammertür, sanft und freundlich, wie ein guter Hirte zu seinem Schäflein reden muß. »A bißl was sagen muß ich dir! Ganz ebbes Wichtigs! Geh, sei gscheit und komm a bißl aussi!«

      »Fahr ab, du da draußen! Und laß mich schlafen!«

      Diese widerspenstige Antwort brachte dem Praxmaler-Pepperl die bittere Erkenntnis bei, welch eine undankbare Aufgabe es ist, den Menschen das Gute zu predigen. Einige Sekunden blieb er lautlos vor der schwarzen Tür stehen. Dann pochte er schüchtern mit dem Knöchel an die Bretter und flüsterte: »Schau, Burgerl, tu net trutzen! Sei gscheit und mach a bißl auf! Ich mein' dir's gut. Soviel sorgen tu ich mich um deintwegen.«

      »Schlafen laß mich!«

      »Na, Burgerl! Heut därf ich dich net schlafen lassen! Ich muß dir a paar Wörtln sagen. Ich hab die Verpflichtung.«

      »Was? Verpflichtung? Ja, freilich«, klang es gereizt aus der Kammer, »die Verpflichtung hast, daß dich niederlegst auf deine Ohrwaschln und dein Dampus verschlafst!«

      »Auf Ehr und Seligkeit, Madl, ich bin so nüchtern wie der Pfarr vor der Fruhmeß!«

      »Laß die heiligen Sachen aus'm Spiel! So was vertrag ich net. Z'mittelst in der Nacht schon gar net!«

      »Madl, ich sag dir's im guten, tu mich net abweisen! Dein Glück ich am Spiel. Mach auf, sag ich! Oder es reut dich noch amal, daß d' ein' abgwiesen hast, der's ehrlich mit dir gmeint hat.«

      »Jetzt wird's mir aber z' dumm!« Heißere Unmut bebte in der Stimme der Sennerin. »Bis um zwölfe hab ich enker rauschige Metten in der Hütten leiden müssen. In der Fruh muß ich wieder frisch bei der Arbeit sein. Und da soll ich net amal die paar Stündln schlafen können? Fahr ab! Mit dir bin ich fertig! Verstehst? Dös is 's letzte Wörtl gwesen. Gut Nacht!«

      Pepperls Geduld war zu Ende. Er sah es ein: bei dieser verstockten Seele war in Güte nichts auszurichten. Dem heiligen Zweck zuliebe mußte er »sanfte Gewalt« gebrauchen. Also faßte er mit beiden Fäusten die Klinke und rüttelte an der Kammertür, daß die Bretter rasselten. »Mach auf! Ob d' willst oder net. Anhören mußt mich! In meiner Verpflichtigung steh ich da, als ob ich dein armer, alter Vater wäre. Oder als ob d' an Bruder hättst an mir, der sich in Kümmernis um d' Schwester sorgen tut! Zum letztenmal sag ich dir's: mach auf!«

      Das wirkte. Noch ehe Pepperl völlig ausgesprochen hatte, öffnete sich die Kammertür, freilich nur um einen schmalen Spalt. Aus diesem Spalt, in welchem undeutlich etwas Weißes schimmerte, kam etwas Schwarzes herausgeflogen, wie eine Nachteule aus ihrem finsteren Felsenschlupf. Dieser sonderbare, aber sehr gewichtige Vogel flog dem Praxmaler-Pepperl grob in die Kreuzerschneckerln, fuhr ihm wie mit scharfen Klauen übers Ohr und klatschte zu Boden. Im gleichen Augenblick schloß sich die Kammertür wieder, und der Riegel klirrte.

      »Da hört sich aber die Gemütlichkeit auf!« brummte Pepperl, weniger beleidigt als verblüfft. In begreiflicher Neugier bückte er sich, tappte mit den Händen auf dem Boden herum – und als er den merkwürdigen Vogel haschte, zeigte es sich, daß er keine Flügel hatte, sondern sich anfühlte wie ein Pantoffel mit genagelter Sohle. Bei dieser Entdeckung schoß dem Praxmaler-Pepperl eine »gache Hitz« bis unter die zerzausten Schneckerln hinauf, wie überschürtes Feuer in den Schornstein fährt. »So also? So dankst mir du?« Seine Stimme klang, als wäre ihm die Kehle zugeschnürt. »Meinetwegen!« Dabei schleuderte er den Pantoffel gegen die Kammertür, daß es krachte wie ein Schuß. »So renn halt ins Verderben, wie 's Hehndl in' Fuchsbau! Dir sag ich nix mehr!«

      Er griff nach seiner Büchse und stürmte zur Hüttentür hinaus. Da vernahm


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