Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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Gesammelte Werke von Gustave Flaubert - Гюстав Флобер


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Frühlingsnachmittage nicht, an dem sie voneinander Abschied genommen. Sie hatte am Fenster gestanden, und draußen war leiser Regen auf die Blätter gefallen. Aber rasch besann sie sich auf das, was die jetzige Situation und die Konvenienz erheischten. Mit aller Kraft schüttelte sie den alten Bann und die alten Erinnerungen von sich ab und begann ein paar hastige Redensarten zu stammeln:

      »Ach, guten Tag! Wie? Sie hier?«

      »Ruhe!« ertönte eine Stimme im Parkett. Inzwischen hatte nämlich der dritte Akt begonnen.

      »So sind Sie also in Rouen?«

      »Ja, gnädige Frau!«

      »Und seit wann?«

      »Hinaus! Hinaus!«

      Alles drehte sich nach ihnen um. Sie verstummten.

      Von diesem Augenblick war es mit Emmas Aufmerksamkeit vorbei. Der Chor der Hochzeitsgäste, die Szene zwischen Ashton und seinem Diener, das große Duett in D-Dur, alles das spielte sich für sie wie in großer Entfernung ab. Es war ihr, als klänge das Orchester nur noch gedämpft, als sängen die Personen ihr weit entrückt. Sie dachte zurück an die Spielabende im Hause des Apothekers, an den Gang zu der Amme ihres Kindes, an das Vorlesen in der Laube, an die Plauderstunden zu zweit am Kamin, an alle Einzelheiten dieser armen Liebe, die so friedsam, so traulich und so zart gewesen war und die sie längst vergessen hatte. Warum war er wieder da? Welches Zusammentreffen von besonderen Umständen ließ ihn von neuem ihren Lebenspfad kreuzen?

      Er stand hinter ihr, die Schulter an die Logenwand gelehnt. Von Zeit zu Zeit schauerte Emma zusammen, wenn sie den warmen Hauch seiner Atemzüge auf ihrem Haar spürte.

      »Macht Ihnen denn das Spaß?« fragte er sie, indem er sich über sie beugte, so daß die Spitze seines Schnurrbarts ihre Wange streifte.

      »Nein, nicht besonders!« entgegnete sie leichthin.

      Daraufhin machte er den Vorschlag, das Theater zu verlassen und irgendwo eine Portion Eis zu essen.

      »Ach nein! Noch nicht! Bleiben wir!« sagte Bovary. »Sie hat aufgelöstes Haar! Es scheint also tragisch zu werden!«

      Aber die Wahnsinnsszene interessierte Emma gar nicht. Das Spiel der Sängerin schien ihr übertrieben.

      »Sie schreit zu sehr!« meinte sie, zu Karl gewandt, der aufmerksam zuhörte.

      »Möglich! Jawohl! Ein wenig!« gab er zur Antwort. Eigentlich gefiel ihm die Sängerin, aber die Meinung seiner Frau, die er immer zu respektieren pflegte, machte ihn unschlüssig.

      Leo stöhnte:

      »Ist das eine Hitze!«

      »Tatsächlich! Nicht zum Aushalten!« sagte Emma.

      »Verträgst dus nicht mehr?« fragte Bovary.

      »Ich ersticke! Wir wollen gehen!«

      Leo legte ihr behutsam den langen Spitzenschal um. Dann schlenderten sie alle drei nach dem Hafen, wo sie vor einem Kaffeehause im Freien Platz nahmen.

      Anfangs unterhielten sie sich von Emmas Krankheit. Sie versuchte mehrfach, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, indem sie die Bemerkung machte, sie fürchte, Herrn Leo könne das langweilen. Darauf erzählte dieser, er müsse sich in Rouen zwei Jahre tüchtig auf die Hosen setzen, um sich in die hiesige Rechtspflege einzuarbeiten. In der Normandie mache man alles anders als in Paris. Dann erkundigte er sich nach der kleinen Berta, nach der Familie Homais, nach der Löwenwirtin. Mehr konnten sie sich in Karls Gegenwart nicht sagen, und so stockte die Unterhaltung.

      Aus der Oper kommende Leute gingen vorüber, laut pfeifend und trällernd:

      ‘O Engel reiner Liebe’

      Leo kehrte den Kunstkenner heraus und begann über Musik zu sprechen. Er habe Tamburini, Rubini, Persiani, Crisi gehört. Im Vergleich mit denen sei Lagardy trotz seiner großen Erfolge gar nichts.

      Karl, der sein Sorbett mit Rum in ganz kleinen Dosen vertilgte, unterbrach ihn:

      »Aber im letzten Akt, da soll er ganz wunderbar sein! Ich bedaure, daß ich nicht bis zu Ende drin geblieben bin. Es fing mir grade an zu gefallen!«

      »Demnächst gibts ja eine Wiederholung!« tröstete ihn Leo.

      Karl erwiderte, daß sie am nächsten Tage wieder nach Hause müßten. »Es sei denn,« meinte er, zu Emma gewandt, »du bliebst allein hier, mein Herzchen?«

      Bei dieser unerwarteten Aussicht, die sich seiner Begehrlichkeit bot, änderte der junge Mann seine Taktik. Nun lobte er das Finale des Sängers. Er sei da köstlich, großartig!

      Von neuem redete Karl seiner Frau zu:

      »Du kannst ja am Sonntag zurückfahren. Entschließe dich nur! Es wäre unrecht von dir, wenn du es nicht tätest, sofern du dir auch nur ein wenig Vergnügen davon versprichst!«

      Inzwischen waren die Nachbartische leer geworden. Der Kellner stand fortwährend in ihrer nächsten Nähe herum. Karl begriff und zog seine Börse. Leo kam ihm zuvor und gab obendrein zwei Silberstücke Trinkgeld, die er auf der Marmorplatte klirren ließ.

      »Es ist mir wirklich nicht recht,« murmelte Bovary, »daß Sie für uns Geld….«

      Der andere machte die aufrichtig gemeinte Geste der Nebensächlichkeit und ergriff seinen Hut.

      »Es bleibt dabei! Morgen um sechs Uhr!«

      Karl beteuerte nochmals, daß er unmöglich so lange bleiben könne. Emma indessen sei durch nichts gehindert.

      »Es ist nur …«, stotterte sie, verlegen lächelnd, »… ich weiß nicht recht….«

      »Na, überleg dirs noch! Wir können ja noch mal darüber reden, wenn dus beschlafen hast!« Und zu Leo gewandt, der sie begleitete, sagte er: »Wo Sie jetzt wieder in unserer Gegend sind, hoffe ich, daß Sie sich ab und zu bei uns zu Tisch ansagen!«

      Der Adjunkt versicherte, er werde nicht verfehlen; da er ohnehin demnächst in Yonville beruflich zu tun habe.

      Als man sich vor dem Durchgang Saint-Herbland voneinander verabschiedete, schlug die Uhr der Kathedrale halb zwölf.

      Drittes Buch

       Inhaltsverzeichnis

      Erstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Leo hatte während seiner Pariser Studienzeit die Ballsäle fleißig besucht und daselbst recht hübsche Erfolge bei den Grisetten gehabt. Sie hatten gefunden, er sähe sehr schick aus. Übrigens war er der mäßigste Student. Er trug das Haar weder zu kurz noch zu lang, verjuchheite nicht gleich am Ersten des Monats sein ganzes Geld und stand sich mit seinen Professoren vortrefflich. Von wirklichen Ausschweifungen hatte er sich allezeit fern gehalten, aus Ängstlichkeit und weil ihm das wüste Leben zu grob war.

      Oft, wenn er des Abends in seinem Zimmer las oder unter den Linden des Luxemburggartens saß, glitt ihm sein Code-Napoléon aus den Händen. Dann kam ihm Emma in den Sinn. Aber allmählich verblaßte diese Erinnerung, und allerlei Liebeleien überwucherten sie, ohne sie freilich ganz zu ersticken. Denn er hatte noch nicht alle Hoffnung verloren, und ein vages Versprechen winkte ihm in der Zukunft wie eine goldne Frucht an einem Wunderbaume.

      Als er sie jetzt nach dreijähriger Trennung wiedersah, erwachte seine alte Leidenschaft wieder. Er sagte sich, jetzt gälte es, sich fest zu entschließen, wenn er sie besitzen wollte. Seine ehemalige Schüchternheit hatte er übrigens im Verkehr mit leichtfertiger Gesellschaft abgelegt. Er war in die Provinz zurückgekehrt mit einer gewissen Verachtung aller derer, die nicht schon ein paar Lackschuhe auf dem Asphalt der Großstadt abgetreten hatten. Vor einer Pariserin in Spitzen, im Salon eines berühmten


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