Gesammelte Erzählungen von Klabund. Klabund

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Gesammelte Erzählungen von Klabund - Klabund


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Landsturmbataillon in der Schlacht bei Tannenberg »erbeutet«. Da man sich mit ihm nicht zu verständigen vermochte, gab man ihn an die Russen zurück und internierte ihn im Lager von C. Aber auch die Russen wußten mit ihm nichts anzufangen: er hörte weder auf Russisch noch auf Polnisch. Bis ein Jude, Kaufmann aus Lodz, auf den Gedanken kam, jiddisch mit ihm zu reden. Der Hund sprang, halb irrsinnig vor Freude, verstanden zu werden, an seinem neuen Freunde empor, wedelte mit dem Schwanz, und seine braunen Augen leuchteten wie die eines fröhlichen Kindes. Der Hund mußte im Besitze einer alten jüdischen Familie gewesen sein und war wahrscheinlich mit mehreren Juden bei Tannenberg zu den Deutschen übergelaufen. Er wurde von den Russen spöttisch Samuel genannt. Er vertrug sich mit keinem rechtgläubigen Russen, bellte sie tapfer an und nahm nicht die verlockendsten Bissen von ihnen.

      Der jüdische Kaufmann und die anderen russischen Juden des Lagers gewannen ihn sehr lieb. Manchmal dachten sie: wenn nur alle Juden so viel Mut gegen die Russen aufbrächten wie dieser Hund. Dieser Hund, so spürte man, haßte die Russen aus einer Seele heraus. Und da er ein Tier war, legte er seiner Vernunft keine Zügel an, trug seinen Haß unverhohlen zur Schau und biß die Russen in die hohen Stiefel. Weil er zu allem Überfluß noch ihre Fleischportionen stahl (die er aber nicht fraß, sondern verscharrte), griff eine heftige Mißstimmung gegen ihn unter den Russen Platz. Und da man sich nicht an die wirklichen Juden halten konnte (man war doch nicht in Rußland), erkor man den jüdischen Hund zum Opfer eines Pogroms. An einem Sabbat fanden ihn die Juden erschlagen hinter der Latrine. Sie waren keine Tiere, sondern Menschen, und außerdem in hilfloser Minderzahl. Was würde es nützen, die Russen anzubellen, da man sie nicht beißen durfte? Sie gruben dem Hunde Samuel ein Grab, und ein gefangener Rabbiner hielt ihm die Leichenpredigt, als wäre er einer der ihren gewesen und ganz ein Jude.

      Blumentag in Nordfrankreich

       Inhaltsverzeichnis

      Wir vom … ten Landsturmbataillon sind der x-ten Etappen-Inspektion zugeteilt und haben zurzeit als Garnison eine kleine Stadt in Nordfrankreich. Wir brennen Tag und Nacht Posten: auf den Bahndämmen, vorm Lazarett, unter den Brücken. Von abends Sechs bis morgens Zehn steht eine Wache auch vorm Bordell. Jeden Morgen um halb Zehn werden die Mädchen durch unsern Stabsarzt untersucht und kontrolliert. Es sind neun an der Zahl. Acht Französinnen und eine Deutsche. Die Deutsche ist ein kleines blondes Ding aus Hamburg. Wenn Leute von uns das Bordell besuchen, hält sie den Kopf gesenkt und sucht mit den Augen zu flüchten. Um keinen Preis der Welt würde sie sich einem Deutschen verkaufen. Wenn wir sie sehen, erröten wir. Um der schmerzlichen Situation zu entgehen, reißen wir dumme und überlaute Witze und lachen, blechern wie Grammophone. Oder einer setzt sich ans Klavier und spielt: »Die schwarzbraunen Mädchen, die hab’ ich so gern.« Dann geht sie hinaus und weint. Sie ist ja blond. Die Einwohner der Stadt, Magistratssekretäre, kleine Steuerbeamte, bessere Kaufleute bevorzugen offensichtlich die Deutsche. Sie sehen sie in den Augen ihrer eigenen Landsleute erniedrigt und weiden sich an ihren Qualen. Madame ist entzückt von ihr, denn sie macht das meiste Geld. »Wo ist die deutsche Kuh?« brüllen die Steuerbeamten, und einer nach dem anderen will ihr für sein Geld einen Tritt versetzen. Ich sprach sie neulich. Sie heißt Leni. Sie will sich die Pulsadern durchschneiden. Sie erträgt dieses viehische Leben nicht mehr. Ich überlegte, wie ihr zu helfen sei. Sie mußte heraus aus dem Bordell. Aber Madame wird sich kreischend wehren. Man müßte ihr Geld, viel Geld bieten. Ich sprach mit dem Major, und er gab gern die Erlaubnis für eine Sammlung zu ihren Gunsten innerhalb unseres Bataillons. Er zeichnete als Erster zehn Mark. Und nach ihm alle Offiziere und alle die gesetzten bärtigen Landsturmmänner, größtenteils würdige Familienväter. Keiner, auch der ärmste nicht, schloß sich aus. So kauften wir Leni um den Preis von 1200 Franken von Madame los, kleideten sie von Kopf bis zu Fuß neu ein und schickten sie mit dem nächsten Lazarettzug, der zurückging, nach Aachen. Kaum, daß sie ihr Glück zu fassen vermochte. Sie wollte uns allen einzeln die Hand küssen und steckte jedem, den sie in der Eile erreichen konnte, eine bunte Papierblume an den Rock.

      Die schwarze Fahne

       Inhaltsverzeichnis

      Ein Zurückgebliebener saß im Café, bestellte einen Eierpunsch und erzählte:

      Ich habe eine unmenschliche Sehnsucht zu sterben. Jeder Feldpostbrief, den ich von draußen bekomme, erweckt in mir das Gewissen einer schmerzlichen Scham, weil ich noch lebe. Was rede ich noch? Was schreibe ich noch? Der Streusand der Schrapnells trocknet jede Tinte. Und jede Träne. Manchmal, in dem kleinen stillen Zimmer der Vorstadt, drei Treppen hoch, abends, wenn das Hupen eines fröhlichen Automobils, das Kreischen einer deflorierten Katze oder der klappernde Huf eines betrübten Pferdes gedämpft durch die geschlossenen Fensterläden lärmen, schreie ich nach einer Erlösung vom Leben, das mir nur noch wert ist, weil man es wegwerfen kann. Wie eine angerauchte Zigarette. (Zu einer Zigarre langts bei mir nicht.) Was sind alle Leiden unseliger Liebe gegen die qualvolle Begierde nach dem Tod. Ich könnte mich hier zu Hause hinter den Kulissen erschießen – aber ich ränge nicht mit dem Tod, ich verblutete nicht, ich würde nicht um seine Liebe. Und ich könnte mich mit meiner schönen Geliebten auch nicht sehen lassen. (Was hat es für einen Sinn zu lieben, wenn andere Leute nicht sehen, daß man geliebt wird?) Ich hätte mir hier zu Hause den Tod wie ein schmutziges Straßenmädchen erkauft. Um den Preis meines Revolvers. (Ein guter Browning kostet 80 Mark. Ich würde also auf den Wert des Mädchens beträchtlich draufzahlen.) Ich will werben um den Tod. Um das Fräulein Tod. Sie soll mich lieben lernen. Ich werde ihr schmeicheln müssen. Geschenke machen. Kostbare Geschenke. Beispielsweise ein hübsches Gedicht, das ich noch schreiben würde. Oder einen treuen Freund, den ich ehre wie keinen anderen Menschen. (Aber ich habe die Pferde ja viel lieber als die Menschen. Auch die Schildkröten.) Oder ich muß ihr meine Mutter opfern. Eine Frau hat immer am liebsten, daß man ihr eine Frau opfert. Und welche Frau haßt sie inniger als die Mutter des Geliebten? (Weil sie ihn nicht selbst auch noch gebären durfte.)

      Ich werde in einem Bauernhaus sitzen, an der Marne, heiter mit einigen Kameraden. Plötzlich fällt eine Granate durchs Dach. Alle meine Kameraden sind auf der Stelle tot. Richard hat keinen Kopf mehr, und von Hagen sieht man nur noch eine beschmutzte Litewka. Ich selber aber blieb am Leben. Ich allein: heil an allen Gliedern. Meine Angehörigen, denen ich den Vorfall geruhsam auf einer Feldpostkarte berichte, jubeln und geben die Anekdote in die Zeitung. Ich bin unglücklich. Ich fühle, daß man mich noch verschmäht. Daß ich mein Herz noch nicht völlig entschleiert habe. Man glaubt mir noch nicht. Man mißtraut meiner Liebe.

      Nun versuche ich es mit dem Hohn. Ich höhne die Geliebte: frech, bitter, schamlos. Ich gehe auf die gefährlichsten Posten. Vermeide beim Patrouillenreiten jede Deckung. Ich sitze ab. Die Kugeln scharen sich pfeifend um mich. Ich stehe wie ein Indianer am Marterpfahl und kein Pfeil trifft. Ich stecke meinen Kopf über den Schützengraben. Wie man einen Kürbis an einer Stange als Zielscheibe hinhält, zum Spaß und Zeitvertreib. Der Feind langweilt sich nur. Er schießt gar nicht.

      Aber ich werde ein Mittel finden, den Tod zur Gegenliebe zu zwingen. Und wenn ich mutterseelenallein gegen eine ganze Batterie angaloppieren sollte. (Die Franzosen werden glauben, ich sei ein Parlamentär und werden das Feuer einstellen.)

      Ich halte es nicht mehr aus daheim. Wenn der Krieg noch lange dauert, werden die Zurückgebliebenen nicht mehr wissen, was sie vor Verlangen nach dem Tod im Feld machen sollen. Sie werden den Größenwahn bekommen und glauben, sie seien unsterblich. Sie kennen den Tod nur aus den Zeitungen. Es wird eine Selbstmordepidemie ausbrechen. Man wird sich gegenseitig zum Dessert totschlagen.

      *

      Ein kleiner buckliger Herr, mit roten Haaren und einer Hornbrille, der in einer Schale Nuß rührte, schwappte wie ein Frosch von seinem Sitz auf und kreischte:

      So wird die schwarze Fahne über uns wallen und der Himmel wird von Nacht dunkel bersten.

      Millionen und Abermillionen Freiwilliger, Männer, Frauen, Greise, Kinder werden dem Rauschen des schwarzen Banners folgen. Verliebt wie Tänzer vor dem ersten Walzer und streng


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