Gesammelte historiografische Beiträge & politische Aufsätze von Franz Mehring. Franz Mehring
Читать онлайн книгу.machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete.« Das sind gleich drei klassische Zeugnisse auf einmal, aber es seien ihnen auch noch einige bezeichnende Tatsachen hinzugefügt!
Als Friedrich sich in einem Winterquartiere zu Leipzig mit Gottsched über deutsche Literatur unterhalten hatte, richtete er eine französische Ode an den »sächsischen Schwan«, und Gottsched antwortete öffentlich in einem überschwenglichen Huldigungsgedichte, das mit den Worten schloß: »Und dein Bewunderer bleibt der deine.« Über diese Albernheit hat Lessing weidlich gespottet, aber niemand hat zu jener Zeit das geringste Arg darin gefunden, daß ein kurfürstlich sächsischer Professor in solcher Weise den Eroberer seines Landes, den Todfeind seines Landesherrn, öffentlich anschmeichelte; was heute als eine landesverräterische Infamie erscheinen würde, erschien damals als ganz natürlich oder wurde höchstens wegen seiner ästhetischen Geschmacklosigkeit verlacht; so sehr betrachtete sich die bürgerliche Bevölkerung als außerhalb des Kriegszustandes. Sehr lehrreich ist auch der Briefwechsel, den der in Leipzig lebende Lessing im Jahre 1757 mit seinen Berliner Freunden Moses Mendelssohn und Nicolai führte. Das Jahr 1757 war das einzige des Siebenjährigen Krieges, das eine gewisse Heldenverehrung hervorrufen zu können schien. Die Schlacht bei Prag als die gewaltigste des Jahrhunderts; dann der jähe Glücksumschlag von Kolin; endlich aus dem tiefsten Falle wieder ein schnelles Aufsteigen in dem lustigen Siege von Roßbach und dem glänzenden Siege bei Leuthen! Was mögen darüber wohl Friedrichs Geistesverwandter und Mitrevolutionär Lessing und der brandenburgisch-preußische Patriot Nicolai in ihren Briefen vor lauter Herzenslust geschwatzt haben! Nun – gar nichts, sozusagen. Man findet in ihrem Briefwechsel aus dem Jahre 1757 weitläufige Erörterungen über die Theorie der Tragödie, allerlei Tüfteleien über grammatikalische Unklarheiten in Klopstocks Messias, Beratungen über Druck und Verlag der Bibliothek der schönen Wissenschaften, welche die Preußen Mendelssohn und Nicolai endlich bei einem sächsischen Verleger unterbringen – aber vom Kriege? Sozusagen nichts; es sei denn, daß man Lessings Mitteilung, der Dichter Ewald von Kleist sei als Major zu einem in Leipzig garnisonierenden Infanterieregiment kommandiert worden, oder die Neckerei von Moses, Lessing sei wohl zum Schutze für die Kurmark angeworben worden, da er so lange auf Antwort warten lasse, für etwas nehmen will.
Immerhin, wenn Lessing und Moses, die für jene Zeit zu den vorgeschrittensten Elementen der bürgerlichen Bevölkerung in Deutschland gehörten, im allgemeinen noch dem Kriege gleichgültig gegenüberstehen, so bricht doch in ihnen schon die Erkenntnis jenes »Irrtums« durch, von dem Clausewitz spricht; nur nach einer ganz anderen Richtung hin, als die Theorie des »höheren Lebensgehalts« erwarten lassen sollte. In der oben angeführten Äußerung Lessings von dem »süßen Traum« leuchtet bereits ein Zweifel hervor, der in den unmittelbar vorhergehenden Sätzen noch klarer hervortritt. Sie lauten: »Der Friede wird ohne sie (die Musen) wiederkommen; ein trauriger Friede, von dem einzigen melancholischen Vergnügen begleitet, über verlorene Güter zu weinen. Ich rufe Ihren Blick aus dieser finstern Aussicht zurück. Man muß einem Soldaten sein unentbehrliches Geschäft durch die bejammernswürdigen Folgen desselben nicht verleiden.« Und ganz ähnlich schreibt Moses an Lessing im Jahre 1757, indem er ihn bittet, Leipzig als einen Ort der Unruhe, der Betrübnis und der allgemeinen Verzweiflung zu verlassen: »Kommen Sie zu uns, wir wollen in unserm einsamen Gartenhause vergessen, daß die Leidenschaften der Menschen den Erdball verwüsten. Wie leicht wird es uns sein, die nichtswürdigen Streitigkeiten der Habsucht zu vergessen, wenn wir unsern Streit über die wichtigsten Materien, den wir schriftlich angefangen, mündlich fortsetzen werden!« Lessings Werke, 20, 2, 64; Ausgabe von Hempel. Merkwürdig, daß diese Wortführer der bürgerlichen Klassen bei einem kritischen Blick auf den Siebenjährigen Krieg nicht von Sympathie, sondern von Antipathie überfließen! Merkwürdig oder vielmehr nicht merkwürdig! Denn jene Vorstellung, daß der Krieg die bürgerliche Bevölkerung nichts angehe, war doch nur möglich, weil und solange diese Bevölkerung allen Selbstbewußtseins entbehrte; mit diesem Selbstbewußtsein mußte sofort die Erkenntnis erwachen, daß sie allein die Kosten des Krieges zu tragen habe und daß jene »wohltätige Wirkung«, die eine »notwendige Folge des fortschreitenden Geistes« zu sein schien, gerade um den Preis jedes »höheren Lehensgehalts« erkauft wurde. Der Siebenjährige Krieg konnte die bürgerliche Bevölkerung noch gleichgültig lassen und ließ sie noch gleichgültig, aber soweit er etwa eine Empfindung in ihr erweckte, war es eine Empfindung des Abscheus, nicht eine Empfindung des bürgerlichen Selbstbewußtseins oder des nationalen Stolzes. Diese Empfindung konnten die bürgerlichen Zeitgenossen aus dem Siebenjährigen Kriege ebensowenig schöpfen, wie Friedrich den Krieg nach der napoleonischen Strategie führen konnte. Selbst die bloße Vorstellung eines solchen Zusammenhanges war nicht eher möglich, als bis die amerikanischen und französischen Revolutionskämpfe dem Kriege eine ganz andere Form und einen ganz anderen Inhalt gegeben hatten, und in der Tat hat Goethe erst unter dem frischen Eindruck des napoleonischen Kriegszeitalters dem Siebenjährigen Kriege eine Bedeutung untergelegt, die Friedrichs Kriege für die bürgerlichen Zeitgenossen nicht hatten und schlechterdings nicht haben konnten.
Soviel zur historischen Kritik der Lessing-Legende in ihrer zweiten und zugleich auch noch in ihrer ersten Gestalt. War es notwendig, etwas weit auszuholen, um so verjährten und versteinerten Irrtümern, die unter dem Schutze so großer Namen stehen, auf den Grund zu gelangen, so wird sich die dritte Gestalt der Lessing-Legende desto schneller erörtern lassen, die byzantinische Knechtsgestalt nämlich, welche sie im neuen Deutschen Reich angenommen hat.
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