Atemlos aus Lauter Liebe. Barbara Cartland
Читать онлайн книгу.was du kaufst, Jim«, wandte er sich an seinen Kammerdiener.
»Sehr wohl, Mylord.«
Prunella fragte sich, woher das Geld wohl kam. Sie fand es seltsam, daß der Diener seinen Herrn nicht darum bat. Vielleicht benutzte er sein eigenes und wartete mit der Rückzahlung, bis der Earl etwas aus dem Haus verkauft hatte.
Wieder spürte sie bei dem Gedanken einen Stich im Herzen, die Kostbarkeiten, die sie ihr ganzes Leben lang gekannt und bewundert hatte, irgendwann nicht mehr zu sehen.
Während des Krieges hatten sie sehr isoliert gelebt. Die Pferde waren von der Armee beschlagnahmt worden. Die jungen Männer kämpften entweder unter Wellington oder sie stürzten sich in den Trubel von Vergnügungen, den der Prinzregent in London veranstaltete. Der alte Earl hatte sich sehr einsam gefühlt.
Er ermutigte Prunella, sich Bücher aus seiner Bibliothek zu leihen. Lesen sei gut für ihre Bildung, behauptete er. In Wirklichkeit liebte er die Unterhaltung mit ihr. Abgesehen von der Dienerschaft kam niemand mehr in das große Haus.
Er erzählte ihr Geschichten über die Gemälde und Möbel. Da er von der Familie geradezu besessen war, drehten sie sich hauptsächlich um seine Vorfahren: Soldaten, Staatsmänner, Forscher, Spieler und Wüstlinge.
Und jetzt war wieder ein Wüstling nach Hause gekommen, um sich am Verkauf von Kunstschätzen zu bereichern, die für sie ein Teil dieser Geschichten waren.
Vor der Bibliothek angekommen, trat der Earl zur Seite, um sie zuerst eintreten zu lassen. Irgendwie empfand sie diese Geste als spöttisch.
In der Bibliothek wurde ihr plötzlich bewußt, wie schäbig der Raum wirkte. Das war ihr gar nicht aufgefallen. Auf einmal schien sie alles mit den Augen eines Neuankömmlings zu sehen. Der Teppich war zerschlissen, die Sesselpolster hatten jede Farbe verloren. Und die Risse in den Vorhängen waren beim besten Willen nicht mehr zu flicken.
Der Earl konnte eigentlich nur denken, daß seit seinem Weggehen alles vernachlässigt worden war.
Prunella setzte sich in einen Sessel seitlich des Kamins. Gerald stand mit dem Rücken dagegen gelehnt, bohrte die Hände in die Hosentaschen und schaute sie durchdringend an.
»Nun, was hat das alles zu bedeuten?«
Prunella hielt seit ihrer Ankunft ein Notizbuch in der Hand, das sie jetzt auf ihren Knien aufschlug.
»Höflicherweise sollte ich Sie wohl zuerst zu Hause willkommen heißen. So unerwartet Ihre Rückkehr auch ist - besser spät als niemals.«
»Entdecke ich da möglicherweise einen Tadel in Ihrer Stimme, Miss Broughton?« spottete der Earl.
»Sie müssen wissen, daß die Dinge nach dem Tode Ihres Vaters sehr . . . schwierig wurden, Mylord.«
»Weshalb?«
»Nun, erstens wußte niemand, wo Sie waren, und zweitens war auch keiner da, der sich um das Gut kümmerte.«
»Was ist mit Andrews geschehen? Ich dachte immer, er wäre ein sehr tüchtiger Mann.«
»Vor vierzehn Jahren sicherlich«, bestätigte Prunella. »Leider ist er seit achtzehn Monaten bettlägerig. Auch schon einige Jahre früher war er nicht mehr wirklich in der Lage, das Gut zu beaufsichtigen.«
Der Earl mußte diese Nachricht erst einmal verarbeiten.
»Es ist doch bestimmt jemand engagiert worden, der seine Stelle einnehmen konnte«, erkundigte er sich schließlich.
»Wie hätte man diesen Ersatz bezahlen sollen?«
Ein Schweigen entstand, das der Earl dann unterbrach: »Wollen Sie damit andeuten, daß kein Geld vorhanden ist?«
»Frei herausgesagt, Mylord, so ist es.«
»Warum nicht? Ich dachte immer, mein Vater wäre ein reicher Mann.«
»Das war er auch zu der Zeit, als Sie Ihre Heimat verließen. Entweder besaß er nicht so viel Kapital, wie Sie glaubten, oder es war schlecht angelegt. Wie dem auch sei, viele Leute haben während des Krieges ihr Vermögen verloren. Außerdem bringen große Güter wie dieses keinen Gewinn mehr.«
»Warum nicht?« fragte er mit scharfer Stimme.
»Die Pächter werden alt und sind nicht mehr in der Lage, das Land richtig zu bebauen. Sie können keine Hilfskräfte bezahlen, selbst wenn sie welche finden würden. Die meisten kräftigen Burschen waren in der Armee oder bei der Marine. Die Folge davon war, daß alles mehr und mehr verfiel.«
Diese Neuigkeit schockierte den Earl sichtlich. Sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, daß er das nicht erwartet hatte. Auf seiner Stirn bildeten sich steile Falten, seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepreßt.
»Ich bin bereit zu glauben, was Sie mir da erzählen, wüßte aber gern, was Sie mit der Sache zu tun haben.«
Prunella blickte auf das Notizbuch in ihrem Schoß hinunter, als ob ihr von dort Trost käme.
»Als mein Vater noch lebte, hat er Ihrem Vater geholfen auf die eine oder andere Weise.«
»Heißt das, daß mein Vater sich von Ihrem Geld geliehen hat?«
Prunella nickte.
»Ich möchte über die genaue Summe informiert werden. Natürlich werde ich das Geld zurückzahlen.«
»Dazu besteht keine Notwendigkeit. Es war kein Darlehen, sondern ein Geschenk.«
»Für mich sind es Schulden«, wehrte er brüsk ab.
Prunella erwiderte nichts. Da der Earl das Gefühl hatte, unhöflich gewesen zu sein, setzte er schnell hinzu: »Natürlich bin ich sehr dankbar. Ich wundere mich nur, daß mein Vater Hilfe dieser Art nötig gehabt hat.«
»Ich mache mir Sorgen, wie es jetzt weitergehen soll«, sagte Prunella.
»Wie meinen Sie das?«
»Es gibt da einige Pensionäre, die verhungern, wenn sie nicht bezahlt werden. Sie sind alt, können nicht mehr arbeiten und wissen nicht, wo sie hingehen sollen.«
»Wer hat diese Leute bisher bezahlt?«
Als Prunella nicht antwortete, forderte er hartnäckig: »Ich will die Wahrheit wissen. Miss Broughton.«
»Seit dem Tode meines Vaters ich«, entgegnete sie.
Sie hob den Kopf und schaute ihn an.
»Ich wollte mich nicht einmischen. Es ist nur so, daß ich diese Leute schon mein ganzes Leben lang kenne. Dazu kommen noch die, die für wenig Geld hier im Haus viel gearbeitet haben. Es hat sie wenigstens vor dem Verhungern bewahrt. Ich konnte doch nicht zulassen, daß hier alles zusammenbrach und unter einer Staubdecke verschwand.«
»Sie haben meine Angestellten bezahlt, damit sie das Haus in Ordnung hielten?«
»Das mag in Ihren Ohren seltsam klingen«, lenkte Prunella ein. »Als Ihr Vater noch lebte, war ich sehr oft hier. Ich habe Winslow Hall von jeher geliebt. Es bedeutete mir beinahe so viel wie mein eigenes Haus.«
»Was haben Sie noch unternommen?«
»Ich habe alles in diesem kleinen Buch notiert. Da sind die Leute aufgeführt, die wöchentlich eine kleine Pension erhalten, die sie zum Leben brauchen. Andere wieder können noch arbeiten und ein bißchen Geld verdienen, wobei die Summen häufig aufgebessert werden müssen. Dazu kommen noch die Pachtverträge, die mehr oder weniger regelmäßig eingehen.«
Als sie dem Earl ins Gesicht schaute, fürchtete sie sich ein wenig vor dem, was sie darin lesen konnte.
»In manchen Fällen habe ich den Farmern die Pacht ganz erlassen«, setzte sie trotzdem hinzu.
»Aus welchem Grund?«
»Sie verstehen das vielleicht nicht«, erklärte Prunella mit leicht verärgerter Stimme. »Seit Ende des Krieges sind die Preise für die Produkte der Farmer ständig gefallen. Außerdem mußte dieses Jahr allein in dieser