G. K. Chesterton: Krimis, Aufsätze, Romane und mehr. Гилберт Кит Честертон
Читать онлайн книгу.Auch den Professor hatte es in die Höhe getrieben, daß er dabei alle Paralyse vergaß. Hielt sich am Stuhlrücken, und sah zweifelnd auf Dr. Bull, wie wenn der Doktor vor seinen sehenden Augen gerad eben in eine Padde verwandelt worden wäre. Und in der Tat – es war etwas so Großartiges wie ein Transformationsakt geschehen.
Die zwei Detektivs sahen vor sich da in einem Stuhl einen ganz knabenhaft jungen Mann sitzen. Mit ganz franken, fröhlichen, nußbraunen Augen, einem offenen Gesicht, londonerisch – wie ein Kommis angezogen, unstreitig gutmütig, geradezu alltäglich. Das Lächeln, das war immer noch da, und aber war, wie wenn dein Baby zum aller-allererstenmal lächelt.
»Wußte ichs nicht, daß ich ein Dichter bin?« schrie Syme ekstatisch auf. »Ich wußte es doch, daß meine Intuition unfehlbarer war wie der Papst! Die Brillen waren es! Nur die Brillen! Die Brillen, die waren alles! Die machten ihm so biesterisch schwarze Augen – und all das Übrige an ihm, seine Gesundheit und seine Hübschheit, das entstellte ihn dann vollends zu einem lebendigen Teufel unter Toten –!«
»Gewiß kam daher das Wunderliche und Absonderliche«, sprach der Professor zitternd. »Aber was das Projekt Dr. Bulls angeht, so – –«
»Zum Teufel mit dem Projekt!« brüllte Syme und geriet nun ganz und gar aus dem Häuschen. »Sehen Sie ihn doch an! Sehen Sie sich nur die Visage an, und den Kragen, und die feinen Stiebeln! Würden Sie vermuten – he! – daß der Kerl ein Anarchist ist?«
»Syme!« schrie der andere und war dem Tode näher als dem Leben.
»Was soll denn? um Gottes willen!« schrie Syme. »Ich nehme alles auf meine Kappe! Dr. Bull, ich bin Polizeibeamter. Hier ist meine Karte«, und warf seine blaue Karte auf den Tisch.
Der Professor fürchtete schon, alles, alles war verloren. Aber er blieb treu. Nahm gleichfalls nun seine Karte heraus und legte sie neben die seines Freundes. Da brach der Dritte in lautes Lachen aus – und so hörten die zwei zum erstenmal heut morgen seine Stimme.
»Ich freue mich scheußlich, daß ihr Affenmäuler so früh gekommen seid«, rief er mit Schulbubenredseligkeit aus, »da können wir allzusammen sofort per Schiff nach Frankreich … Ich bin soviel wie ihr«, und da flitzte eine dritte blaue Karte hervor.
Hütchen auf! und Zauberbrillen wieder vor! – und der Doktor schoß so behende aus der Tür, daß ihm die ändern instinktiv nachrannten.
Syme war denn doch einigermaßen baff. Und in der Tür schlug er mit seinem Stock gegen die Wand, daß es nur so sang.
»Allmächtiger Gott!« schrie er. »Wenn all das mit rechten Dingen zugeht, dann waren wir ja mehr verfluchte Detektivs als verfluchte Dynamithelden in dem verfluchten Rat!«
»Wir hätten leichtes Spiel gehabt«, sprach Bull. »Wir waren vier gegen dreie!«
Der Professor fuhr bereits die Treppe hinab. Aber seine Stimme schwang sich die Stufen wieder herauf.
»Nein«, sang die Stimme. »Wir wären nicht vier gegen dreie gewesen – ein solches Schwein hätten wir denn doch nicht gehabt! Wir wären vier gegen Einen gewesen!«
Und dann gings schweigend die Stiegen hinab.
Der junge Mann namens Bull bestand mit einer angeborenen Wohlerzogenheit, die charakteristisch für ihn war, darauf, als letzter zu gehen, bis man auf die Straße kam. Dann aber machte seine robuste Rapidität sich unbewußt geltend, und er lief den anderen eilends voran, – auf ein Eisenbahnauskunftsbureau zu, – und sprach mit den hinter ihm Herstrebenden über die Schulter weg.
»Das ist schön, so ein paar Kameraden zu kriegen«, sprach er. »Ich war schon halb tot, wie ich so ganz allein war. Beinah hätt ich Gogol angepackt und ihn umarmt, aber das wär natürlich sehr unvorsichtig gewesen. Ich hoffe, ihr werdet mich nicht verachten darum, daß ich direkt blau vor Angst war!«
»Alle blauen Teufel in die blaue Hölle!« sprach Syme, »die zu meiner blauen Angst beisteuerten! Aber der fürchterlichste Teufel waren Sie, Bull, mit Ihren infernalischen Brillengläsern!«
Der junge Mann lachte und war entzückt.
»War das nicht ne Lumperei?« sprach er. »Blödsinnig einfache Idee – und nicht einmal meine eigene. Ich hatte nicht soviel Grütze. Sehen Sie, ich wollte dem Detektivdienst beitreten, und speziell der Anti-Dynamithelden-Kompagnie. Aber zu diesem Zweck wird verlangt, daß man sich als ein Dynamitheld geriert. Und alles schwor bei allen Teufeln, daß ich nie wie ein solcher aussehen würde. Alles sagte, mein Gang schon hätte so etwas Respektables. Und von hinten säh ich gar gleich wie die Britische Konstitution aus. Alles sagte, ich wär zu gesund und wär zu optimistisch, wär zu zuverlässig und wär zu wohlwollend. Alles nannte mich alles nur mögliche auf der Londoner Kriminalpolizei. Sagte: jaa, wenn ich ein Verbrecher geworden wäre! Dann hätte ich mein Glück machen können, indem ich doch so ehrlich und redlich ausschaue. Aber da ich nun schon einmal das Unglück hätte, ein ehrlicher und redlicher Mann zu sein, so hätte ich wohl nicht viel Chancen, je wie ein Verbrecher auszusehen. Aber zuletzt brachte man mich vor einen alten Götzen, der riesengroß war, ja, von dem man überhaupt das letzte Ende über die Schultern hinaus nicht vermutete. Und da ging die Rede der andern – hoffnungslos. Einer meinte, ob ein buschiger Bart vielleicht mein niedliches Lächeln zu verbergen imstande wäre. Ein anderer wieder, man müßte höchstens mein Gesicht schwärzen, dann säh ich wenigstens nach einem Neger-Anarchisten aus. Aber der alte Kerl, der fuhr – tschupp! – auf eine wunderbare Weise mit einer wunderbaren Bemerkung dazwischen. »Zwei angeräucherte Brillen tuns!« – und fertig. »Seht ihn euch jetzund an. Sieht er nicht aus wie ‘n Laufbursche? Setzt ihm erst zwei angeschwärzte Brillen auf – und alle Kinder werden aufkreischen, sowie sie ihn nur sehn.« Und so wars, bei Sankt Georg! Sowie meine Augen bedeckt waren, entstellte mich alles andere – mein Lächeln, meine strotzenden Schultern, mein kurzes Haar – zu einem perfekten kleinen Teufel. Wie ich schon sagte, war das blödsinnig einfach – nachdem es getan war. Wie ‘n Mirakel. Aber das wahrhaft Mirakulöseste war das nicht. Das war vielmehr ein anderes, höchst bedenkliches Ding, das mir immer und immer und immer wieder im Kopf herumgeht.«
»Was war das?« fragte Syme.
»Ich will es Ihnen sagen«, antwortete der Bebrillte. »Jener Riesenriese von einem Kerl auf der Polizei, der mich sofort richtig einschätzte und vom Fleck weg wußte, daß mir nur Brillen – vom Kopf bis zu den Socken – passen würden, der hat mich – bei Gott! – überhaupt mit keinem Auge sehen können!«
Syme sah ihn blitzschnell an.
»Wieso?« fragte er. »Ich dachte doch, Sie sprachen mit ihm?«
»Tat ich auch«, sagte Bull strahlend, »aber wir sprachen uns in einem zappendustern Raum, so wie ‘n Keller und so kühl wie ‘n Keller. Was? Das hätten Sie in Ihrem ganzen Leben nicht vermutet?«
»Das hätt ich mir niemals vorstellen können!« sprach Syme schwer.
»Wirklich etwas absolut Neues!« sprach der Professor.
Der neue Alliierte war in praktischen Dingen ein rechter Wirbelwind. Auf dem Auskunftsbureau verlangte er mit geschäftsmäßiger Kürze die Züge nach Dover. Und kaum hatte er Auskunft erhalten, packte er die ganze Gesellschaft in einen Fiaker und bugsierte sie und sich selber in einen Eisenbahnwaggon, noch ehe sie diesen atemlosen Prozeß eigentlich ganz begriffen hatten. Und eh die Unterhaltung wieder einigermaßen in Fluß kam, war man auch schon auf dem Boot nach Calais.
»Ich hatte es schon so arrangiert«, explizierte er, »daß ich zum Lunch in Frankreich wäre. Aber ich bin entzückt, daß ich nun noch welche weiß, die mich nicht alleine lunchen lassen werden. Sie sehen, mir lags ob, dieses Biest von einem Marquis mitsamt seiner Bombe hier herüberzuschicken: weil nämlich der Präsident ein Auge auf mich hatte – obgleich Gott wissen mag, warum. Ich will Ihnen die Geschichte eines schönen Tags schon erzählen. Eine wahnsinnige Geschichte. So oft ich dem Präsidenten ausrücken wollte, sah ich ihn irgendwo, lächelte er entweder aus dem Erkerfenster eines Klubs auf mich herab oder zog seinen Hut vor mir von hoch oben auf einem Omnibus. Ich sage Ihnen,