Die Freimaurer. Dieter A. Binder

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Die Freimaurer - Dieter A. Binder


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Vorfahren nannten ihn den Salomonischen Tempelbau und meinten damit den Tempel der Humanität.

      Was für Bausteine gebrauchen wir dazu?

      Die Bausteine, deren wir bedürfen, sind die Menschen.

      Was für Mörtel ist uns nötig, um diese Bausteine zu einem lebendigen Tempel zu verbinden?

      Die schöne, reine Menschenliebe, die Brüderlichkeit aller, das ist der Mörtel des Tempelbaues.“31

      Alexander GIESE fasst die eingangs zitierte Rede dahingehend zusammen, dass der Freimaurer „am Tempel Salomonis (der ja zerstört worden ist)“ baut, da er für ihn „zugleich der Bau am Tempel der ‘allgemeinen Menschenliebe ist’. Das Symbol stammt aus dem Alten Testament und nimmt zugleich das Hauptziel des Neuen Testaments auf: die Nächstenliebe.“32 Diese Interpretation erscheint zutiefst vom christlichen Rahmen geprägt zu sein, denn der Wiederaufbau des Tempels ist im Judentum mit der Wiederkehr des Messias verbunden, während „die christliche Rezeption des Tempels von Jerusalem […] von einer die jüdische Tradition vielfach umdeutenden Inanspruchnahme bis zu den verschiedenen Versuchen einer archäologisch exakten Rekonstruktion des Bauwerkes reicht.“33 Die freimaurerische Rezeption des Tempels erfasst das Symbol des Tempels als imago mundi, als Grundriss des freimaurerischen Rituals34 und als konkreter Plan für die Einrichtung der Loge bzw. des Tempels.

      Die alttestamentarischen Aussagen zum Tempelbau Salomons informieren über die Proportion35 des Baues, seine Dreiteilung in Vorhalle, den Haupt- und Kultraum und das Allerheiligste, in dem die Bundeslade steht,36 über die vor dem Tempel aufgestellten Bronzesäulen, Jachin auf der rechten und Boas auf der linken Seite,37 und geben eine rekonstruktionistische Utopie des Tempelbezirkes.38 Aus diesen knappen Hinweisen beziehen die Architekturtheoretiker ihre Angaben bei der Rekonstruktion des Salomonischen Tempels, wobei Paul von NAREDI-RAINER deutlich macht, dass die bauhistorische Rekonstruktion des spanischen Jesuiten Juan Bautista VILLALPANDO39 die englische Architekturtheorie „bis ins 18. Jahrhundert“ massiv beeinflusst hatte und von Sir Christopher WREN (1632-1723) „zu Rate gezogen wurde“.40 WREN, der Baumeister der St. Paul’s Cathedral, gilt in der freimaurerischen Literatur nahezu ohne Einschränkungen als eines der prominenten Mitglieder im ausgehenden 17. Jahrhundert,41 obwohl die kritische freimaurerische Geschichtsschreibung auf die Quellenlage hingewiesen hat.42 GOULD hat in seinem dreibändigen Werk „The History of Freemasonry“43 nach eingehender Untersuchung die Zugehörigkeit WRENs zur Bruderschaft als phantastische Erfindung zurückgewiesen.44 WRENs Bedeutung für die Freimaurerei wird aber gemeinsam mit der von Isaac NEWTON (1642/43-1727) auch in modernen Selbstdarstellungen der United Grand Lodge of England in ihrer Vordenkerrolle gesehen.

      „Their remarkable visions of the vanished Temple were based solidly on the biblical accounts of its building, but their plans and elevations were more than an architectural exercise: the Temple was seen as a cosmic symbol, and it was its spiritual significance that such drawings and descriptions sought to convey.“45 NEWTON, der sich ebenfalls mit der Rekonstruktion VILLALPANDOs auseinandergesetzt hat,46 betrachtet den „Salomonischen Tempel in gewisser Weise als Weltmodell“.47 Dies hat bereits Jospehus Flavius in seinem Jüdischen Krieg (V, 184-237) besonders unterstrichen, wobei dieser Autor im 17. und 18. Jahrhundert viel gelesen wurde. „Die Rekonstruktionsversuche des Salomonischen Tempels im 17. Jahrhundert, die Theologen aller Konfessionen, aber ebenso auch Architekten, Mathematiker und Naturwissenschaftler wie etwa Sir Isaac Newton durchführten, ließen“ – so LIMPRICHT48 – „den Tempel zusehends als Lehrgebäude erscheinen, welches von den Freimaurern eklektizistisch adaptiert wurde. Vor allem in der Gründungsphase der Freimaurerei, also um 1700, vermittelten gelehrte Vereinigungen wie die Royal Society in London, denen zahlreiche Freimaurer angehörten, das Bild des Tempels als Metapher für eine tugendhafte Gesellschaft,“ wobei aus einer ursprünglich „am Heilsplan orientierten Gebäudemetaphorik“ durch die säkularisierte Rezeption ein „imaginärer Tempel des eigenen Inneren“ geworden ist,49 wie dies von LESSING (1729-1781) deutlich angesprochen wird.

      Die Arbeit am Tempel wird damit zu einer ethischen Selbsterziehung als Grundvoraussetzung für eine Verbesserung der Welt.

      „Falk: Ordnung muß also doch ohne Regierung bestehen können.

      Ernst: Wenn jedes einzelne sich selbst zu regieren weiß: warum nicht?“50

      Dabei ist sich LESSING durchaus der Gefahr des Subjektivismus bewußt, der er entgegenzusteuern sucht:

      Ernst: Eine Wahrheit, die jeder nach seiner eigenen Lage beurteilt, kann leicht gemißbraucht werden.

      […]

      Falk: Das, was unzertrennlich mit menschlichen Mitteln verbunden ist; was sie von göttlichen unfehlbaren Mitteln unterscheidet.

      Ernst: Was ist das?

      Falk: […] dass sie nicht unfehlbar sind. […] dass sie ihrer Absicht nicht allein öfters nicht entsprechen, sondern auch wohl gerade das Gegenteil davon bewirken.“51

      Für den „vernünftigen“ Umgang der Menschen miteinander fordert daher LESSING in seinen Lehrgesprächen Toleranz und Brüderlichkeit ein,52 die mit einer Relativierung des eigenen Standpunktes einhergehen müssen:

      „Falk: Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, die über die Vorurteile der Völkerschaft hinweg wären und genau wüßten, wo Patriotismus Tugend zu sein aufhöret.

      […]

      Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, die dem Vorurteile ihrer angeborenen Religion nicht unterlägen; nicht glaubten, dass alles notwendig gut und wahr sein müsse, was sie für gut und wahr erkennen.

      […]

      Recht sehr zu wünschen, dass es in jedem Staate Männer geben möchte, welche bürgerliche Hoheit nicht blendet und bürgerliche Geringfügigkeit nicht ekelt; in deren Gesellschaft der Hohe sich gern herabläßt und der Geringe sich dreist erhebet.“53

      Diese Überwindung der ständisch strukturierten Gesellschaft spricht LESSING schließlich direkt in einer Paraphrase der „Alten Pflichten“ von 1723 an, in denen der Normenkatalog für einen Freimaurer festgelegt worden ist. „A Mason is oblig’d, by his Tenure, to obey the moral Law; and if he rightly understands the Art, he will never be a stupid Atheist, nor an irreligious Libertine. But though in ancient Times Masons were charg’d in every Country to be of the Religion of that Country or Nation, whatever it was, yet ‘tis now thought more expendient only to oblige them to that Religion in which all Men agree, leaving their particular Opinions to themselves; that is, to be good Men and true, or Men of Honour and Honesty, by whatever Denominations or Persuasions they may be distinguish’d; whereby Masonry becomes the Center of Union, and the Means of conciliating true Friendship among Persons that must have remain’d at a perpetual Distance.”54 LESSING verweist in diesem Kontext auf den klassischen Gegensatz von Ideal und Realität, indem er nicht nur auf spezielle Einzelbeispiele eingeht, sondern auch dieses Spannungsverhältnis grundsätzlich anspricht: „Weil Loge sich zur Freimaurerei verhält wie Kirche zum Glauben. Aus dem äußeren Wohlstande der Kirche ist für den Glauben der Glieder nichts, gar nichts, zu schließen. Vielmehr gibt es einen gewissen äußerlichen Wohlstand derselben, von dem es ein Wunder wäre, wenn er mit dem wahren Glauben bestehen könnte. Auch haben sich beide noch nie vertragen, sondern eins hat das andere, wie die Geschichte lehrt, immer zu Grunde gerichtet.“55

      Die Ursprungslegenden der Freimaurer, die den Salomonischen Tempelbau mit den Dombauhütten des Mittelalters verknüpfen, „gehören zum typologischen Geschichtsbild“ des Bundes.56 Derartige, auf biblische Erzählungen gestützte Geschichtsbilder findet man in Herrschaftserzählungen wie etwa der „Landnahme“ in Ungarn. Dort wird der Weg der Reiterstämme in den Karpatenbogen und der Beschluss, dort sesshaft zu werden, dem Weg der Israeliten ins Gelobte Land nacherzählt. Aber auch in diversen Zunftlegenden des mittelalterlichen Handwerkes sind derartige biblische „Zitate“ häufig zu finden. Die von James ANDERSON verfasste Geschichte der Freimaurerei muss also zunächst in Verbindung mit den ursprünglich verfassten „Constitutions“57 gesehen werden. Er schildert den Weg der Freimaurerei „in Anlehnung an die Bibel“ als eine „Geschichte


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