Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Читать онлайн книгу.zumute ist, als sei ihm der Hals wie zugeschnürt. Auf ihre Aufmunterung hin greift er zu dem knusprigen Brötchen. Er ißt langsam und bedächtig, als wolle er diese frühe Morgenstunde von Herzen genießen.
»Darf man wissen, welche Pläne Sie für die Zukunft haben«, erkundigt sie sich behutsam, als ihre Zigaretten brennen.
»Zukunft?« Er dehnt das Wort in seinem Munde. »Gibt es für mich eine Zukunft?«
»Natürlich! Warum so bitter? Sie sind jung, gesund…«
»… und habe mein Studium nicht zu Ende bringen können. Nichts Halbes und nichts Ganzes. Ich könnte höchstens auf dem Bau als Maurer arbeiten.«
»Also haben Sie mit dem Baugewerbe etwas zu tun?« forscht sie weiter. Sie versteht, warum er sich jedes Wort abkaufen läßt. Es ist die Scham. Dafür hat sie Verständnis.
»Einmal wollte ich Architekt werden.« Das klingt bitter und hoffnungslos.
»Und warum sollten Sie es nicht werden?«
Er lacht rauh auf. »Weil mir ganz einfach das Geld dazu fehlt.«
»Geld?« Sie macht eine wegwerfende Handbewegung. »Was Sie zunächst nötig haben, ist Verständnis und ein gemütliches Zuhause. Geld für Ihr Weiterstudium ist aufzutreiben.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Sie mir das Geld beschaffen wollen?« fragt er überrascht.
»Warum nicht?« Sie sieht ihn ernsthaft an, und wie sie es sagt, hört es sich an, als sei es das Selbstverständlichste von der Welt.
Wendhoff kann nicht mehr stillsitzen. Er tritt an das tiefe Fenster heran. Vor ihm senkt sich ein terrassenförmig angelegter Garten bis hinab zum Strom. Breite Stufen führen zu einem schmalen Streifen Strand. Er sieht einen Steg und ein Segelboot. Über dem Wasser der Elbe liegt die Morgensonne. Weithin geht sein Blick.
»Schön wohnen Sie, wunderschön«, sagt er und reißt sich ungern von dem zauberhaften Bild los.
»Wollten wir nicht von Ihnen sprechen?« lenkt sie wieder auf das Thema zurück, das ihn unsicher, ja scheu macht. Oder ist es die Wucht der Erkenntnis: Es gibt noch Menschen, die Anteil an fremdem Leid, an fremden Nöten und Schicksalen nehmen?
»Lassen Sie mir Zeit, Frau Breitenstein. Wenn Sie es gern sehen, will ich gern einige Tage Ihr Gast sein. Weiteres wird sich finden.«
Ihre Augen lassen sein schmales Gesicht nicht los. Langsam sagt sie: »Einverstanden!«
*
Gert Wendhoff weiß jetzt alles von Leonore Breitenstein. Sie selbst hat es ihm erzählt. Aber ist es auch alles? Gibt es nicht tief im Herzenswinkel etwas, was sie vor aller Welt verschließt?
Sie ist nach dem Tode ihres Gatten Breitenstein die Erbin eines alteingesessenen, gutgehenden Juweliergeschäftes geworden. Bei ihm selbst hat sie alles gelernt. Sie kennt alle kostbaren Steine und die dazugehörigen Fassungen. Sie hat sich selbst in Entwürfen versucht, und sie haben Anklang gefunden.
Sie hat auch gutgeschultes Personal. Personal, auf das sie sich in jeder Beziehung verlassen kann. Auch einen Geschäftsführer, einen vornehmen alten Herrn, der wie ein pensionierter Oberst aussieht – oder wie ein Staatsanwalt, mit seinen hellen, durchdringenden Augen.
Er versieht seinen Dienst mit großer Geschicklichkeit und wahrer Hingabe. Manchmal erweckt er mit seinem Arbeitseifer den Anschein, als hätte er dem toten Breitenstein in die Hand versprochen, ein wachsames Auge auf das Geschäft zu halten.
Mit Leonore, der Chefin, verstand er sich ausgezeichnet. Er bewunderte ihren feinentwickelten Geschmack, ihre charmante Art, mit der Kundschaft umzugehen, die nicht immer einfach zu behandeln war, überhaupt ihr großes Interesse, das sie für das Geschäft zeigte und dem sie ihre meiste Zeit opferte.
In letzter Zeit war das etwas anders geworden. Bockwoldt war ein scharfer Beobachter. Er fand sie nervös, manchmal zerstreut, oft tief in Gedanken versunken, und sie benötigte plötzlich mehr Freizeit für sich, ohne sich darüber zu äußern. Während er sonst über alles unterrichtet wurde. Er schätzte ihre Offenheit, mit der sie ihm stets entgegengekommen war.
Und nun war sie plötzlich verschlossen, und er wußte nichts mehr über ihr Privatleben. Mitunter hatte sie ihn auch sonntags zum Essen oder wochentags zum Tee in ihr Haus gebeten. Auch das war ausgeblieben.
Bockwold machte sich schon seine Gedanken. Ob sie verliebt war? Möglich konnte es sein! Sie war eine
auffallend schöne Frau, und keiner sah ihr an, wie alt sie war. Sie gehörte zu dem Typ Frauen, die schwer altern.
Des Rätsels Lösung war sehr einfach. Leonore verbrachte jede freie Minute in Gert Wendhoffs Gesellschaft, der sich gut in ihrem Hause eingelebt hatte. Die Sonne hatte seine Haut gebräunt. Die Augen blitzten jungenhaft und übermütig darin. Er hielt viel auf sein Äußeres. Nichts erinnerte mehr an den vom Schicksal getretenen Mann. Sein Gang war beschwingt. Die gute Kost bekam ihm vorzüglich. Er wurde breiter in den Schultern, und seine Haltung hatte an Selbstbewußtsein gewonnen.
Er war von tiefer Dankbarkeit gegen Leonore erfüllt. Er hätte seine Hände unter ihre Füße breiten mögen. Alles, was er war, verdankte er ihrer Güte.
Stundenlang saß er unter schützendem Sonnenschirm auf der Terrasse des Hauses und arbeitete. Er hatte sein Studium wieder aufgenommen und stürzte sich mit allem Willen in die Arbeit.
Er wollte etwas erreichen. Er wollte der Frau beweisen, daß sie keinem Unwürdigen die Hand gereicht hatte.
Manchmal, wenn er zur kurzen Pause den Kopf hob und den vorbeifahrenden Schiffen nachschaute, kam ihm alles wie ein wunderschöner Traum vor. Das Haus, die Umgebung, die Frau, und nun noch seine Arbeit. Sie hatte bereits Verbindungen aufgenommen.
Ein Klubhaus sollte völlig neu gestaltet werden, und für die Innenarchitektur war ein Preisausschreiben erlassen.
Daran arbeitete er mit Hingabe und Eifer, und Leonore störte ihn dabei nicht. Er würde alles bei seiner Arbeit vergessen, sogar Sommer, Sonne und Freizeit, wenn Leonore ihn nicht mit sanfter Hand lenken würde.
So gelingt es ihr, ihn zu Segelfahrten auf der Elbe zu überreden.
»Freizeitgestaltung«, sagt sie zu ihm und lacht, wenn er sich mit seiner Arbeit entschuldigen will. »Sie vergessen sonst, daß es außer Ihrem Plan auch noch einen herrlichen Sommer gibt. So schöne Tage haben wir lange nicht gehabt, Gert, die müssen ausgenutzt werden.«
Wie Kinder tummeln sie sich auf und in dem Wasser, bis sie sich erschöpft im Boot lang ausstrecken und von der Sonne braten lassen. Leonore trägt weiße Shorts und ein hauchdünnes, ärmelloses Blüschen. Sie sieht kindhaft jung darin aus, und mit ihrem braungebrannten Teint und ihren lachenden Blauaugen kommt sie ihm unwahrscheinlich schön vor.
Manch heimlicher Blick trifft ihn, wenn sie sich unbeobachtet weiß. Er hat sich großartig herausgemacht. Nichts erinnert mehr an den verbitterten Mann mit den strengen Zügen und dem zuerst schier unüberwindlichen Mißtrauen, mit dem er seiner Umgebung begegnete.
Viel Takt und viel Güte gehörten ihrerseits dazu, ihn langsam dem Leben und seinen kleinen Freuden zuzuführen. Sie leben ganz zurückgezogen. Gert genügen seine Arbeit, die Fahrten auf der Elbe, die Unterhaltungen zu zweien bei einem eisgekühlten Getränk auf der Terrasse.
Sie hat auch mit sehr viel Takt dafür gesorgt, daß er sein Äußeres verwandeln konnte. Immer hatte sie eine kleine Überraschung für ihn bereit. Und nach seinem anfänglichen Zorn, von ihr Dinge annehmen zu müssen, die er zwar sehr nötig hatte, für die er aber gern selbst aufgekommen wäre, hat sie ihm in ihrer bestimmten Art erklärt:
»Sie sollen das gar nicht geschenkt nehmen. Sie werden es mir eines Tages mit Zins und Zinseszinsen zurückzahlen.«
»Und – und wenn ich ein Versager bin?«
Sie erhebt sich aus ihrem Liegestuhl und geht auf hohen, schlanken Beinen hinüber zu dem Tisch, auf dem seine Pläne ausgebreitet sind. Eine Weile betrachtet sie nachdenklich