Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль


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er ihn in der Tat geschrieben hat, ist mir nicht zweifelhaft. Wenn Du unser Haus verlassen hast, richtest Du Dich in Verrières häuslich ein. Ich werde meinen Mann bestimmen, auch auf vierzehn Tage hinzugehen, um den Klatschbasen zu dokumentieren, daß zwischen ihm und mir das beste Einvernehmen besteht. In Verrières verkehre mit aller Welt, auch mit Liberalen! Die Damen werden Dich sicherlich alle in ihr Garn locken wollen.

      Überwirf Dich vor allem nicht mit Valenod! Schneide ihm nicht etwa die Ohren ab, wie Du einmal gesagt hast. Im Gegenteil, sei recht nett mit ihm! Du mußt es zuwege bringen, daß alle Welt munkelt, Du würdest nun bei Valenod oder sonstwem Hauslehrer. Das wird mein Mann niemals zugeben. Sollte er sich jedoch trotzdem dazu entschließen, so bleibst Du wenigstens in Verrières, und ich kann Dich hin und wieder sehen. Und meine Kinder, die so an Dir hängen, können Dich besuchen. Weißt Du, ich liebe meine Kinder mehr denn je, weil sie Dich lieben! Ach, ich Ärmste, wie wird das alles wohl enden?

      Ich will nicht abschweifen. Mit einem Worte, Du verstehst, wie Du Dich benehmen sollst! Sei liebenswürdig und höflich, ja nicht hochmütig zum Alltagsgesindel! Ich bitte Dich auf den Knien darum. Die Leute haben unser Schicksal in den Händen. Zweifle keinen Augenblick, daß sich mein Mann in seinem Verhalten zu Dir nach der Vorschrift der öffentlichen Meinung richten wird.

      Den zweiten anonymen Brief mußt Du mir herrichten. Wappne Dich mit Geduld und einer Schere! Schneide die nötigen Worte aus einem Buche aus und klebe sie mit Gummiarabikum auf den bläulichen Briefbogen, den ich Dir beilege. Er stammt von Valenod. Sei gefaßt auf eine Durchsuchung Deiner Sachen und verbrenne das Buch mit den zerschnittenen Seiten. Solltest Du nicht alle Worte fertig vorfinden, so sei so geduldig und setze sie aus einzelnen Buchstaben zusammen! Um Dir möglichst wenig Mühe zu machen, habe ich den Entwurf kurz gefaßt. Ach, wenn Du mich nicht mehr liebst, wie lang wird Dir dann dieser Brief vorkommen!« Der Entwurf lautete:

      Gnädige Frau!

      Alle Ihre geheimen Sprünge sind bekannt. Aber auch die Personen, denen daran liegt, daß dem ein Ende gemacht wird, sind benachrichtigt. Mit dem letzten bißchen Zuneigung, das ich für Sie hege, rate ich Ihnen, dem Bauernjungen ein für allemal den Laufpaß zu geben. Wenn Sie klug genug sind, um dies zu tun, wird Ihr Mann glauben, man habe ihn seit der Nachricht, die er erhalten, zum Narren gehabt. Man wird ihn dabei belassen. Denken Sie daran, daß ich Ihr Geheimnis weiß! Zittern Sie, Unglückliche! Sie sollen hinfüro nach meiner Pfeife tanzen!

      »Sobald Du mit dem Aufkleben der Wörter dieses Briefes fertig sein wirst (habe ich des biederen Armenamtsvorstandes Redeweise leidlich nachgeahmt?), verlässest Du das Haus. Ich werde Dich schon treffen. Ich werde ins Dorf gehen und mit bestürzter Miene zurückkommen. Dies wird mir nicht schwerfallen. Lieber Gott, was wage ich nicht! Und alles das, weil Du einen anonymen Brief witterst.

      Ganz verstört werde ich den Brief meinem Manne einhändigen und ihm erzählen, ein Unbekannter hätte mir ihn gereicht. Du gehst mit den Kindern in den Wald spazieren und kommst erst zur Essenszeit heim. Oben vom Felsenvorsprung kannst Du den Turm mit dem Taubenschlag sehen. Wenn unsere Sache gut geht, hänge ich dort ein weißes Taschentuch auf! Andernfalls nicht.

      Undankbarer, wird Dein Herz den Drang verspüren und Mittel und Wege finden, mir zu sagen, daß Du mich liebst, ehe Du den Spaziergang antrittst? Was aber auch geschehen mag, des sei gewiß: den Tag unsrer endgültigen Trennung werde ich nicht überleben, ich Rabenmutter! Ich, Liebster, ich schreibe dieses Wort hin, ohne zu empfinden, wie inhaltsschwer es ist. Ich vermag in dieser Stunde nur an Dich zu denken. Wenn ich nur Dir gefalle! Jetzt, im Augenblick, wo ich Dich vielleicht verliere: wozu sollte ich da heucheln? Dir graut vor meiner Seele. Es sei! Vor dem, den ich über alles in der Welt liebe, will ich nicht lügen. Muß ich doch sonst schon genug Komödie spielen!

      Wenn Du mich nicht mehr liebst, verzeihe ich Dir. Ich habe keine Zeit mehr, meinen Brief nochmals durchzulesen. Es soll mir ein leichtes sein, die glückseligen Tage, die ich in Deinen Armen verlebt, mit dem Tode zu büßen. Und Du weißt doch, daß ich auf ewig verdammt bin!«

      Mit kindlichem Vergnügen sammelte Julian eine Stunde lang die Wörter. Als er dann aus seinem Zimmer trat, begegnete er seinen Zöglingen und ihrer Mutter. Sie nahm ihm den Brief mit Selbstverständlichkeit und Kaltblütigkeit ab.

      »Ist der Klebestoff auch schon trocken?« fragte sie.

      Er war verblüfft. »Ist das die Frau, die vor Reue beinahe den Verstand verlieren wollte?« dachte er. »Was hat sie vor?« Er war zu stolz, sie darob zu fragen. Aber nie hatte sie ihm so gut gefallen.

      »Wenn die Sache schief geht«, sagte sie in gleichgültigem Tone, »so wäre ich mittellos. Vergraben Sie diese Wertsachen irgendwo in den Bergen! Vielleicht ist das eines Tages meine letzte Rettung.«

      Dabei steckte sie ihm ein niedliches Juchtenledertäschchen mit ein paar Goldstücken und Brillanten zu.

      »Geh jetzt!« befahl sie, nachdem sie die Kinder geküßt hatte.

      Julian rührte sich nicht. Raschen Schrittes verließ sie ihn, ohne ihn noch einmal anzusehen.

      21. Kapitel

      Von dem Augenblick an, wo Herr von Rênal den anonymen Brief geöffnet hatte, war ihm das Dasein eine Qual. Seit dem Duell, das er 1816 beinahe gehabt hätte, war er nicht wieder dermaßen in Erregung gewesen. Unleugbar hatte ihn der Gedanke, niedergeschossen zu werden, damals lange nicht so unglücklich gemacht wie jetzt der Brief. Er untersuchte ihn nach allen Richtungen. »Ist das nicht die Handschrift einer Frau?« fragte er sich. »Und wenn dem so wäre, welches Frauenzimmer hat das geschrieben?«

      Er ging sämtliche ihm bekannte Frauen von Verrières durch, ohne einen bestimmten Verdacht zu schöpfen. »Sollte ein Mann den Wisch diktiert haben? Aber wer?« Auch diese Erwägung brachte kein Ergebnis. Er wußte, daß fast alle seine Bekannten ihm nichts Gutes und alles Schlechte gönnten.

      »Ich muß einmal meine Frau fragen«, sagte er sich schließlich, wie er dies gewohnt war. Er erhob sich von dem Lehnstuhle, in den er gesunken war.

      Kaum aufgestanden, schlug er sich vor die Stirn. »Beim Teufel!« sagte er sich. »Der muß ich doch vor allem mißtrauen! Sie ist jetzt mein Feind!« Tränen der Wut traten ihm in die Augen.

      Es war eine gerechte Vergeltung, daß dieser herzlose Mensch, dieser echte Provinzler, an den beiden Menschen, die seine besten Freunde waren, in diesem Augenblick am meisten zweifelte.

      »Des weiteren habe ich etwa zehn Freunde!« murmelte er vor sich hin. Er ließ sie im Geiste an sich vorüberziehen, wobei er bei jedem abwog, wie er ihn mehr oder weniger trösten würde. »Unsinn!« knirschte er. »Allen miteinander wird mein schändliches Mißgeschick eine Riesenfreude bereiten!« Dann wieder dachte er daran, daß er ein vielbeneideter Mann war. Wohlbegründetermaßen. Außer seinem prächtigen Stadthause, das durch den Aufenthalt Seiner Majestät auf ewig berühmt geworden war, besaß er das schmucke Schloß Vergy. Er hatte es blendendweiß anstreichen und die Fenster mit freundlichen grünen Läden schmücken lassen. Man sah das Schloß in einem Umkreise von drei bis vier Wegstunden. Es stach alle andern Landhäuser und sogenannten Schlösser der Nachbarschaft aus in ihrer altersgrauen Armseligkeit.

      Herr von Rênal konnte höchstens auf das Mitleid eines einzigen Freundes rechnen, nämlich des Kirchenvorstands von Verrières. Aber das war ein alter Schwachkopf, der bei jeder Gelegenheit in Tränen schwamm. Und dieser Mann sollte seine Zuflucht sein?

      »Ich bin das unglücklichste aller Menschenkinder!« rief er voll Grimm und Bitternis. »Ach, wie bin ich einsam!« Er seufzte tief auf. »Soll ich in meinem Unglück keinen einzigen Freund haben, mit dem ich mich beraten kann? Ich selber verliere ja den Verstand. Ich fühle es. O Falcoz, o Ducros, ihr seid gerächt!«

      Das waren zwei Jugendfreunde, die er sich in seinem Dünkel 1814 entfremdet hatte. Sie waren nicht adelig, und er hatte die Kameradschaft, die zwischen ihnen von jeher gewaltet hatte, eindämmen wollen. Der eine der beiden, Falcoz, ein kluger und wackerer Mensch, war erst Papierhändler in Verrières gewesen; später hatte er sich in Besançon eine Buchdruckerei gekauft und eine Zeitung gegründet. Aber die Pfaffen beschlossen seinen Untergang. Infolgedessen wurde ihm die Druckerlaubnis entzogen und sein Blatt unterdrückt. Unter so traurigen Verhältnissen hatte Falcoz es gewagt, zum erstenmal


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