Gesammelte Werke. Aristoteles

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Gesammelte Werke - Aristoteles


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stand es ihm frei, nicht krank zu werden, jetzt aber, wo er sich hat gehen lassen, nicht mehr, so wenig einer den Stein, den er aus der Hand entlassen hat, wieder an sich nehmen kann. Und doch ist das Werfen und Schleudern des Steines seine freie Tat, weil das Prinzip davon in ihm liegt. Ebenso stand es dem Ungerechten und dem Zügellosen ursprünglich zwar frei, dies nicht zu werden, und deswegen sind sie es freiwillig. Nachdem sie es aber geworden sind, steht es ihnen nicht mehr frei, es nicht zu sein.

      Aber nicht blos die fehlerhaften Beschaffenheiten der Seele sind freiwillig, bei manchen sind es auch die des Leibes, und diese Menschen tadeln wir denn auch. Wer von Natur mißgestaltet ist, den tadelt niemand, wohl aber den, der es aus Mangel an Gymnastik und durch Vernachlässigung seines Körpers ist. Ebenso hält man es mit Krankheiten und Gebrechen. Niemand macht einem Blinden Vorwürfe, wenn er es von Natur oder in Folge einer Krankheit oder eines Schlages ist, sondern man bemitleidet ihn vielmehr. Wer es dagegen in Folge von Trunkenheit oder sonstigen Ausschweifungen ist, den wird jedermann tadeln. Die verschuldeten körperlichen Fehler werden mithin getadelt, die unverschuldeten aber nicht. Wenn dem aber so ist, so müssen auch in den anderen Dingen diejenigen Fehler, die dem Tadel unterliegen, verschuldet sein.

      Wollte man aber sagen, Alle strebten nach dem, was ihnen gut scheint oder was sie sich als gut vorstellen, sie seien aber nicht Herr ihrer Vorstellung, sondern wie einer (1114b) sei, so stelle er sich das Ziel vor, so ist zu erwiedern, daß wenn jedermann an einem Habitus, den er hat, in der oder jener Weise schuld ist, er in derselben Weise auch an seiner Vorstellung selber schuld sein muß. Soll aber niemand an dem Schlechten, was er tut, selber schuld sein, sondern es aus Unkenntnis des Zieles tun, indem er dadurch das Beste für sich zu erreichen glaubt, und will man gleichzeitig geltend machen, daß das Streben nach dem Ziele kein Gegenstand seiner Wahl ist, sondern einer gleichsam mit einem geistigen Gesichtssinn geboren sein muß, um vermöge desselben richtig zu urteilen und das wahrhaft Gute zu erwählen, und soll der von guter Art sein, bei dem dieses Vermögen gut geraten ist – ist es doch das Größte und Schönste, was man von keinem anderen empfangen und lernen, sondern nur so besitzen kann, wie die Natur es gegeben hat, und in dieser guten und schönen Naturbegabung besteht die vollkommene und wahre Wohlgeartetheit –, ist das also wahr, wie wäre dann die Tugend eher freiwillig als das Laster? Für beide, den guten und den schlechten Mann, ist ja das Ziel ebenmäßig entweder ein von Natur oder ein wie immer vorgestelltes und gegebenes, das andere aber beziehen sie auf das Ziel und tun es wie immer. Mag also das Ziel nicht von Natur einem jeden wie immer erscheinen, sondern man auch selbst etwas dazu tun, oder mag das Ziel natürlich, die Tugend aber dadurch freiwillig sein, daß das übrige von dem Tugendhaften freiwillig getan wird – die Verkehrtheit muß um nichts weniger freiwillig sein, weil dem schlechten Manne die gleiche Selbstbestimmung bezüglich seiner Handlungen, wenn auch nicht bezüglich des Zieles, zukommt. Wenn demnach die Tugenden, wie man behauptet, freiwillig sind – denn einerseits sind wir an unseren Beschaffenheiten irgend wie mit schuld, und anderseits hängt die Qualität des Zieles, das wir uns vorsetzen, von unserer eigenen Qualität ab –, so müssen auch die Laster freiwillig sein; denn beide verhalten sich gleich.

      Achtes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Wir haben also bisher von den Tugenden im allgemeinen gehandelt und sie sowohl der Gattung nach im Umriß dahin bestimmt, daß sie eine Mitte und ein Habitus sind, wie auch angegeben, wodurch sie entstehen, und erklärt, daß sie in eben diesem sich auch wieder betätigen. Desgleichen haben wir ausgeführt, daß sie in unserer Gewalt, freiwillig und so beschaffen sind, wie es die rechte Vernunft vorschreibt; daß aber die Handlungen in höherem Grade freiwillig sind als der Habitus, indem wir über die Handlungen, die Kenntnis der Umstände vorausgesetzt, von Anfang bis zu Ende Herr sind; bei einem Habitus aber (1115a) sind wir es nur über den Anfang, seine Zunahme jedoch durch die einzelnen Akte bleibt uns unbemerkt, wie es bei Krankheiten geschieht. Weil es aber bei uns stand, so zu handeln oder nicht so, darum ist der Habitus freiwillig.

      Neuntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Nunmehr wollen wir uns wieder zu den einzelnen Tugenden wenden und angeben, was sie sind, was sie zum Gegenstande haben und wie sie geübt werden, woraus sich auch ergeben wird, wie viele ihrer sind.

      Zuerst wollen wir von dem Mute handeln.

      Demnach wird mutig im eigentlichen Sinne heißen wer angesichts eines rühmlichen Todes und alles dessen, was auf einmal den Tod nahe bringt, also besonders in Krieg und Schlacht, furchtlos und unverzagt ist. Indessen ist der mutige Mann auch auf dem Meere oder in Krankheiten (1115b) ohne Furcht, aber nicht so wie die Seeleute. Die einen glauben an keine Rettung und sterben nicht gern den Tod des Ertrinkens, die anderen sind auf grund ihrer Erfahrung voller Zuversicht.

      Auch bewährt sich die Mannhaftigkeit unter Umständen, wo eine Abwehr möglich ist, oder das Sterben Ruhm bringt. Bei den angezeigten Todesarten aber ist keines von beiden der Fall.

      Zehntes Kapitel.

       Inhaltsverzeichnis

      Das Furchterregende ist nicht für alle Menschen dasselbe. Auch sprechen wir von Furchterregendem und Schrecklichem, was über Menschliches hinausgeht. Dieses ist für jedermann schrecklich, der nur vernünftig ist. Was aber für Menschen Furcht oder Schrecken erregt, wie auch was Zuversicht einflößt, ist je nach der Größe und einem Mehr und Minder verschieden.

      Der Mutige ist unerschrocken, wie es ein Mensch zu sein hat.


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