Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер


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heranfuhr und seine Inhaber unter großem Geräusch der Wirtsleute in die Stabe traten. Es waren eine schöne Dame von etwa dreißig, ein noch schöneres Mädchen von funfzehn Jahren und ein großer feiner Herr im besten Mannesalter, welcher von dem Wirt untertänigst Herr Graf genannt wurde. Diese Umstände waren hinreichend, um für den unerfahrenen Heinrich ein kleines Abenteuer zu sein. Obgleich er sich gegen allen ungebührlichen Respekt gewappnet fühlte, konnte er doch nicht umhin, einige neugierige Blicke nach diesen überbürgerlichen Wesen hinzuwerfen, von denen er noch keines in der Nähe gesehen hatte und die jetzt am gleichen Tische Platz nahmen.

      Das nahe Rauschen und Knistern der seidenen Gewänder machte ihn befangen und behaglich zugleich, und während er sich mit seinen Händen und seinem Eßwerkzeuge möglichst enge zusammenhielt, hätte er sich doch um keinen Preis ganz von seinem Plätzchen hinweglocken lassen; denn wie zwei Frühlingssonnen ruhten die offenen kindlichen Augen des jungen Mädchens auf ihm. Er wagte auch bald das zweite Paar Blicke auszusenden, welche diesmal auf die ältere Dame trafen, wie sie ihn mit einem eiskalten, merkwürdigen Gesichte ansah und gar nicht zu bemerken schien, daß er sie ebenfalls betrachtete. Nachdem sie den rotgewordenen Heinrich eine Weile angesehen hatte, wandte sie ihre Augen wieder von ihm, wie wenn sie nur auf einem Krug oder einem Stuhl geruht hätten, ohne irgendeinen jener feinen Übergänge, welche artigen und rücksichtsvollen Leuten in solchen Fällen schnell zu Gebote stehen. Diese Augengrobheit bewirkte, daß er von nun an nicht mehr aufsah und sich bestrebte, so bald als möglich vom Tische zu kommen. In diesem Bestreben schien ihn ein allerliebstes Bologneserhündchen unterstützen zu wollen, welches, auf dem Tische umherlaufend, plötzlich vor seinem Teller ein Männchen machte. »Ach, sieh den kleinen Schelm!« rief die Dame mit kindlicher Freude; Heinrich hielt dem Tiere unwillkürlich ein Stückchen Kuchen hin, da rief sie dasselbe sogleich zurück, und als es nicht kam, ergriff sie es unwillig beim Pelze und setzte es vor sich hin. »Willst du wohl dableiben, du Landstreicher?« sagte sie, als der Graf hinzutrat und bemerkte »Aber, Emilie, tu doch den Hund vom Tisch, wir sind ja nicht allein!« Emilie aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbefangenheit »Ach Gott, das arme Tierchen wird doch niemanden genieren?« Jetzt erst merkte Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte diese übermütige Person heimlich mit irgendeinem Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Hündchen auf den Schoß nahm und mit ihren feinen Händchen in festen Banden hielt. Zugleich trat der Herr zu ihm und redete ihn an:

      »Mein Herr, ich habe soeben von Ihrem Kutscher vernommen, daß wir den gleichen Weg reisen. Auch ich bin hierhergekommen, um mittelst der Post bis zur nächsten Eisenbahnstation zu gelangen. Da Sie aber ganz allein sind, so haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen geselle? Denn ich ziehe die gemütliche Kutsche bei diesem Wetter dem dumpfen Postwagen vor; auch mein Gepäck, welches nicht beträchtlich ist, dürfte noch neben dem Ihrigen Platz finden.«

      Heinrich erwiderte etwas unbeholfen, daß er gar nichts zu verfügen hätte, indem es dem Kutscher freistände, so viel Passagiere aufzunehmen, als er unterbringen könne. Die große Dame hingegen rief »Du wirst dich doch nicht in den alten Rumpelkasten setzen wollen, mit dem schmutzigen Fuhrmann auf dem Bock? Nein, da dank ich dafür!«

      »Wenn du ein Herz für mich hast, liebe Schwester«, sagte der Herr, »so wünschest du mir vielmehr Glück dazu, daß ich einige Stunden lang die freie Luft und das schöne Wetter genießen kann!«

      »Gut, daß wir diesmal nicht mitreisen, sonst würdest du uns am Ende noch zwingen, mit einzusitzen!«

      »Ebensowenig als ich euch zumuten würde, die Post zu gebrauchen!«

      »Zur Strafe werden wir deine glorreiche Abfahrt aber auch nicht abwarten, sondern sogleich zurückfahren!«

      »Das kann ich auch gern erlauben; denn dieser Herr und ich werden uns unmittelbar nach euch auf den Weg machen.«

      Während dieses Gespräches hatte sich zwischen Heinrich und dem jungen Dämchen ein artiger stummer Verkehr entsponnen. Das Hündchen auf ihrem Schoße blickte beständig nach dem Stückchen Kuchen hin, welches verlassen und unerreichbar auf dem Tische lag, das Mädchen langte danach, Heinrich anblickend, wie um Erlaubnis zu bitten, konnte es aber nicht erreichen, so daß er es ihr näher hinschob. Der Hund mußte nun seine Künste machen, ehe er den Kuchen erhielt, Heinrich legte ein anderes Stück auf die neutrale Mitte des Tisches, von wo es das freundliche Kind wegholte, und so ging es fort, bis der Vorrat verzehrt war. Dabei hatte sie den Fremden nicht mehr angesehen, jedoch so laut und fröhlich zu dem Tierchen gesprochen und die Hände so fest und traulich nach dem Backwerke bewegt, daß er sich wohl als zur Gesellschaft gehörig betrachten durfte, und er erwiderte auch diese Freundlichkeit durch die größte Stille und Bescheidenheit. Als der Graf nun die Damen nach dem Wagen hinausführte, um dort von ihnen Abschied zu nehmen, grüßte die Kleine unter der Türe Heinrich ganz allerliebst, und dieser machte dem unerwachsenen Kinde ein so ernsthaftes Kompliment, als wenn er die ehrwürdigste Matrone vor sich gehabt hätte.

      Indessen hatte sich im Gastzimmer eine Gesellschaft von sechs bis sieben Männern eingefunden, sämtlich mit runden vollen Gesichtern und blonden Schnurrbärten verschiedensten Schnittes. Sie trugen graue Jagdröcke mit grünen Aufschlägen, und einige waren mit Sporen versehen. Bald hatte jeder einen schäumenden Krug Bier vor sich, welches, nebst einer beabsichtigten Kegelpartie, auch der Hauptinhalt des lauten Gespräches war, aus welchem es sich weiter ergab, daß sämtliche Gesellschaft aus Gerichtsassessoren, Forstleuten, Steuerbeamten und dergleichen bestand; auch ein Physikus war dabei. Äußerlich konnte man sie nicht unterscheiden, weil alle gleich rüstig und forstmäßig aussahen, und Heinrich betrachtete sie mit Wohlgefallen und gestand sich, daß diese sporenklirrenden Beamten in ihren Jagdtrachten sich keck und malerisch ausnähmen im Gegensatz zu den nüchternen und friedlichen Würdeträgern in den Dörfern seines Vaterlandes. Die Männer sprachen viel von Büchsen und Kugeln, und er schrieb ihnen deswegen auch einen gehörigen Verstand zu, von seiner Heimat her gewohnt, denselben meistens bei guten Schützen und wehrhaften Leuten zu finden. Über diesen Betrachtungen hatte er achtlos den Kopf bedeckt, um sich das Anlegen seines Mantels, das Bezahlen seiner Zeche und dergleichen bequemer zu machen, und näherte sich schon der Türe, als einer der Herren vor ihn hintrat und ihm die Mütze vom Kopfe nahm mit den Worten »Wenn Sie nicht wissen, mein Herr, was hierzulande Sitte ist, so ist man genötigt, es Ihnen deutlich zu zeigen!« – Heinrich sah ganz verblüfft auf den Redner, dann auf die großen Bierkrüge und in der braunen Stube umher; seine Augen glitten aber ab von den höhnischen Gesichtern, auf welche sie trafen und die darauf hinwiesen, daß diese Szene das Resultat einer förmlichen, vorhergehenden Beratung war; denn alle Genossen des Angreifers standen im Kreise um ihn herum. Jetzt erst wurde er feuerrot und stammelte zornig »Wie können Sie sich unterstehen –«, dabei hob er seine Mütze vom Boden auf, drehte sie krampfhaft zusammen und hatte nicht übel Lust, den Mann damit ins Gesicht zu schlagen. Zugleich riefen verschiedene Stimmen »Sein Sie ruhig, oder man wird Sie hinauswerfen!«

      »Ich ersuche Sie, das bleibenzulassen, meine Herren!« sagte der Graf, welcher hereinkommend alles mit angesehen hatte, mit entschiedener Stimme und trat neben Heinrich. »Wenn hier jemand«, fuhr er fort, »keine Lebensart besitzt, so ist es jedenfalls nicht dieser junge Mann, und insbesondere verwahre ich mich dagegen, daß es deutscher Sitte gemäß sei, einen harmlosen Reisenden durch Tätlichkeiten zu belehren!«

      Die Anwesenden hatten sich schon stillschweigend zurückgezogen, und der dicke Wirt, welcher vorhin keine Miene gemacht hatte, den Fremden in seinem Hause zu beschützen, war in angstvoller Verlegenheit. Nur der Anführer der Beamtengesellschaft erwiderte mit unsicherer Stimme »Wenn wir von einem Fremden die gebührliche Achtung verlangen, so geschieht es in Rücksicht auf des Königs Majestät, dessen Stellvertreter wir sind.«

      »Es liegt schwerlich im Wunsche des Königs, daß seine Beamten sich hinter den Bierkrug lagern, um darüber zu wachen, daß jeder Reisende im Lande den Hut abzieht!« Damit faßte der Graf seinen Schützling unter den Arm und ging mit ihm hinaus.

      Die Beamten liefen in großer Verwirrung in der Stube umher und ergriffen stumm und grimmig ihre Krüge; sie schämten sich nicht voreinander, sondern vor den Wirtsleuten, welche Zeugen ihrer Demütigung gewesen waren. Nur einer sagte »Das war wieder einmal Wasser auf seine Mühle, da konnte er seine merkwürdigen Launen wieder auslassen! Schade,


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