Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер


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Gelbschnäbel, welche sich eine Zeitlang darin gefielen, in dem läppischen Stile müßiger Gesandtschaftsbedienter Berichte über unsre Heimat in fremde Blätter zu senden und sich dabei das Ansehen zu geben, als ob sie durch ihre Diplomatie dem Lande oder ihrer Partei wunder was genützt hätten. Als Römer sich ein Stückchen rotes Band an einem Frack befestigte und diesen wie von ungefähr auf einen Stuhl legte, schien er mir die zusammengezogene Erscheinung jenes verwerflichen Unsinnes zu sein, und ich ging mit großem Zorne weg und beklagte mich zu Hause über den Unglücklichen. Es waren gerade Leute da, welche mehr von ihm wußten, und ich erfuhr, daß es längst von ihm bekannt sei, daß er sich bald für einen Sohn Napoleons, bald für den Sprößling dieser oder jener älteren Dynastie halte. Von seinen einzelnen und ausführlichen Narrheiten wußten nur wenig Leute, hingegen hielt man jene fixe Idee für eine absichtliche Verstellung, um mittelst derselben sich ungehörige Vorteile zu verschaffen, andere ums Geld zu bringen und ein müßiges, abenteuerliches Leben zu führen, da er nicht gern arbeite und vom Hochmute besessen sei, und man schrieb ihm demzufolge einen gefährlichen Charakter zu. Diese Beurteilung war im höchsten Grade oberflächlich und ungerecht, und ich habe mit Mühe nach und nach folgenden Sachverhalt herausbringen können.

      Er war auf dem Lande geboren und als ein kleiner Junge nach der Stadt zu Habersaat gebracht worden, da er große Neigung verriet, etwas anderes zu werden als ein Ackerbauer. Es war in der Restaurationszeit, wo arme Bauernkinder, wenn sie etwas lernen wollten, nur die Wahl hatten zwischen einem Handwerk und einem Plätzchen in einem städtischen Gewerbe. Es war ein Glück für sie, wenn sie als Laufbürschchen in Handelshäusern, Fabriken oder Kanzleien ein Fleckchen fanden, auf dem sie Fuß fassen und, wenn etwas an ihnen war, sich aufarbeiten konnten. Da Habersaats Anstalt auch eine Unterkunft dieser Art war, obgleich eine schlimme, so geriet Römer ganz zufällig dahin, ohne viel zu wissen, was man aus ihm machen würde. Er war fleißig und hielt seine Zeit aus, nach welcher ihn ein französischer Kunsthändler, welcher durchreiste, um ein Werk schweizerischer Prospekte vorzubereiten, nebst einigen anderen jungen Leuten mit nach Paris nahm, indem der Mann dort die Habersaatsche Art, welche er sehr praktisch fand, anwenden wollte. Römer hielt sich tapfer; nach wenigen Jahren hatte er eine artige Summe erspart, mit welcher er nach Rom ging, entschlossen, etwas Rechtes zu werden. Indem er sich umsah, ergriff er alsobald die englische Art, in Aquarell zu malen, hielt sich aber dabei gründlich an die Natur und verbesserte das Mittel durch einen reinern Zweck, so daß seine Arbeiten einiges Aufsehen erregten und er unter dem Zusammenfluß von Künstlern aller Nationen bald seine eigentümliche Stellung einnahm. Indessen suchte er sich auch sonst auszubilden und stellte sich endlich als ein feiner und unterrichteter Mann in jeder Weise dar. Seine geistreichen und zugleich eleganten Zeichnungen kamen besonders dem Bedürfnis der vornehmen Welt entgegen; einer römischen Prinzessin gefielen sie so sehr, daß er berufen wurde, ihr in seiner Technik Unterricht zu geben, und täglich in den Palast ihres Gemahles gehen mußte. Dies verdrehte ihm den Kopf oder lenkte ihn vielmehr auf den Weg, dessen Anfang von je in ihm war; er machte irgendeine Dummheit, auch mochte der Vorfall mit der Bescheidenheit, den er auf seine Weise mir erzählt, dazukommen sein Gluck verließ ihn plötzlich, er wurde vermieden und ging nach Paris zurück. Dort gelang es ihm durch den Kunsthändler, auf günstige Weise bekannt zu werden; er mußte eines Tages in die Tuilerien gehen, seine Mappen vorlegen und sah sich in einen allerliebsten kleinen Salon versetzt, in welchem die blühenden Kinder des Königs, Mädchen und Söhne, scherzend und lachend um seine Arbeiten sich drängten und Blätter für ihre Albums auswählten. Diese Auszeichnung wurde in den Pariser Journalen gemeldet, und er las seinen Namen im Journal des Debats, aber zum ersten und letzten Male, obgleich er seither keinen Tag ruhig schlafen konnte, wenn er dies Blatt nicht gelesen.

      Von nun an nahm der Irrsinn vollständig Platz in ihm, er behandelte seinen Beruf als Nebensache und trachtete mehr danach, seinen eingebildeten Rechten Geltung zu verschaffen. Zum zweiten Mal von der vornehmen Welt zurückgewiesen, mußte er in einen nachteiligen Verkehr mit Händlern treten, um nur dann und wann ein Blatt zu verkaufen. Von wohlhabenden Landsleuten, die sich zum Vergnügen in Paris aufhielten und den Umgang des Künstlers gesucht hatten, lieh er Geld, wenn er in Not war, und da er dieses mit ernsthaften und anständigen Manieren tat, das Geliehene aber nicht zurückgab, vielmehr von großen und wichtigen Dingen sprach, während er doch sonst ein kluger und einsichtiger Mann schien, so hielt man ihn bald für einen durchtriebenen und gefährlichen Schelm, der nur darauf ausgehe, andere auf tückische Weise um das Ihrige zu bringen. Daß er in der festen Überzeugung lebte, jeden Tag sein großes Schicksal aufgehen zu sehen, wo er als ein König dieser Welt alles Empfangene hundertfach vergelten könne, wurde ihm nicht angerechnet; vielmehr verzieh man ihm nicht, wenn er einmal verrückt sei, daß er doch mit soviel schlauem Anstand und wahrer Menschenkenntnis seine wohlhabenden Bekannten wiederholt habe anführen können. Er fühlte dies recht gut mit seiner vernünftigeren Hälfte, welche durch die Not immer zur Not wachgehalten wurde; denn während unserer seltsamen Gespräche über die Erfahrungen sagte er mir einst »Wenn Sie einst in Verlegenheit geraten und Geld leihen müssen, so tun Sie dies ja nicht auf eine anständige und geschickte Weise, wie es ernsten Leuten geziemt, wenn Sie nicht ganz sicher sind, es auf den bestimmten Tag zurückzugeben, sonst wird man Sie für einen abgefeimten Betrüger halten! Vielmehr tun Sie es ohne alle Scham und auf liederliche, närrische Weise, damit die Leute sagen können Es ist ein Lump, aber ein guter Teufel, man muß ihm helfen!«

      Überhaupt erschien er sonst in allen Dingen als ein gewandter und verständiger Mann und wußte seinen Irrsinn lange zu verbergen. Auch hatte er nach Art der Irren doch immer ein böses Gewissen, welches ihn trachten ließ, die Leute über ihn im unklaren zu halten, um nicht gewaltsam in seinen Gedankengängen gestört zu werden, und jene List, welche sich manchmal vernünftig stellt, um einen freiern Spielraum zum Unsinne zu gewinnen. In einem solchen Gefühle war er endlich in seine Heimat zurückgekehrt, um sich da auszuruhen und durch fleißige Arbeit und ein vernünftiges Leben zu Kräften und zu einem festern Standpunkte zu gelangen, von dem aus er seinen Stern erwarten könnte. Allein er fand durch die Familien von einem oder zweien jener Muttersöhnchen, denen er mäßige Summen schuldete, die Stimmung so gegen sich eingenommen, daß er überall abgestoßen und mit Verdacht umgeben ward. Er schrieb dies Mißgeschick den Kabalen der europäischen Kabinette zu, hielt sich ganz still, um diese zu täuschen und einzuschläfern, und machte dabei die schönsten Zeichnungen. Diese sandte er aber nicht an namhafte Plätze, weil er der Meinung war, seine Feinde würden den Verkauf verhindern, sondern an entlegene Orte, von wo sie immer unverkauft zurückkamen. Ich glaube, daß Römer während der Zeit seines Aufenthaltes keine anderen Mittel hatte als das wenige Geld, was er von mir empfangen. Es stellte sich erst nachher heraus, daß er nie etwas Warmes genossen, sondern sich heimlich mit Brot und Käse ernährte, und seine größte Ausgabe bestand in der Unterhaltung seiner feinen Wäsche und der Handschuhe. Zu seinen Kleidern wußte er so Sorge zu tragen, daß sie bei seiner Abreise noch ebenso gut aussahen wie bei der Ankunft, obschon er immer dieselben trug.

      Nachdem ich vier Monate unter seiner Leitung zugebracht, wollte ich mich zurückziehen, indem ich die bezahlte Summe nun als ausgeglichen betrachtete. Doch er wiederholte seine Äußerung, daß es hiemit nicht so genau zu nehmen und die Studien deshalb nicht abzubrechen wären; es sei ihm im Gegenteil ein angenehmes Bedürfnis, unsern Verkehr fortzusetzen. So arbeitete ich zwar nicht mehr anhaltend in seiner Wohnung, besuchte ihn aber jeden Tag, emfing seinen Rat und richtete mich manchmal auch vorübergehend bei ihm ein. Weitere vier Monate vergingen so, während welcher er, durch die Not gezwungen, aber leichthin und beiläufig mich anfragte, ob meine Mutter ihm mit einem kleinen Darlehen auf kurze Zeit aushelfen könne? Er bezeichnete ungefähr eine gleiche Summe wie die schon empfangene, und ich brachte ihm dieselbe noch am gleichen Tage. Im Frühjahr endlich gelang es ihm, aber erst infolge eines mühseligen Briefwechsels, wieder einmal eine Arbeit zu verkaufen, wodurch er zum ersten Mal seit langer Zeit eine Summe in die Hände bekam. Mit dieser beschloß er, wieder nach Paris zu gehen, da ihm hier kein Heil blühen wollte und ihn sonst auch der Wahn forttrieb, durch Ortsveränderung ein besseres Los erzwingen zu können. Denn trotz allem scharfsinnigen Instinkte, den ein Irrsinniger und Unglücklicher hat, ahnte er von ferne nicht, daß sein wirkliches Geschick viel schlimmer als sein eingebildetes Leiden und daß die Welt übereingekommen war, seine armen schönen Zeichnungen und Bilder entgelten zu lassen, was man von seiner vermeintlichen Schlechtigkeit hielt.

      Ich


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