Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Читать онлайн книгу.und im Freien umherzuschlendern, wo die nach dem Dorfe führenden Wege ungewöhnlich belebt waren.
Erst nach Mitternacht traf mich die Reihe wieder, die Totenwache zu versehen, welche wir seltsamerweise nun einmal eingerichtet. Ich blieb nun bis zum Morgen in der Kammer; aber so schnell mir die Stunden vorübergingen, wie ein Augenblick, sowenig wüßte ich eigentlich zu sagen, was ich gedacht und empfunden. Es war so still, daß ich durch die Stille hindurch glaubte das Rauschen der Ewigkeit zu hören; das tote weiße Mädchen lag unbeweglich fort und fort, die farbigen Blumen des Teppichs aber schienen zu wachsen in dem schwachen Lichte. Nun ging der Morgenstern auf und spiegelte sich im See; ich löschte die Lampe ihm zu Ehren, damit er allein Annas Totenlicht sei, saß nun im Dunkeln in meiner Ecke und sah nach und nach die Kammer sich erhellen. Mit dem Morgengrauen, welches in das reinste goldene Morgenrot überging, schien es zu leben und zu weben um die stille Gestalt, bis sie deutlich und reglos im goldenen Tage dalag. Ich hatte mich erhoben und vor das Bett gestellt, und indem ihre Gesichtszüge klar wurden, nannte ich ihren Namen, aber nur hauchend und tonlos; es blieb totenstill, und als ich zugleich zaghaft ihre Hand berührte, zog ich die meinige entsetzt zurück, als ob ich an glühendes Eisen gekommen wäre; denn die Hand war kalt wie ein Häuflein kühler Ton.
Wie dies abstoßende kalte Gefühl meinen ganzen Körper durchrieselte, ließ es mir nun auch plötzlich das Gesicht der Leiche so seelenlos und abwesend erscheinen, daß mir beinahe der erschreckte Ausruf entfuhr »Was hab ich mit dir zu schaffen?« als aus dem Saale her die Orgel in milden und doch kräftigen Tönen erklang, welche nur manchmal in leidvollem Zittern schwankten, dann aber wieder zu harmonischer Kraft sich, ermannten. Es war der Schulmeister, welcher in dieser Morgenfrühe seinen Schmerz und seine Klage durch die Melodie eines alten Liedes zum Lob der Unsterblichkeit zu lindern suchte. Ich lauschte der Melodie, sie bezwang meinen körperlichen Schrecken, ihre geheimnisvollen Töne öffneten die unsterbliche Geisterwelt, und reuevoll gelobte ich Anna ewige Treue.
Ich fühlte mich stolz und glücklich durch diesen Entschluß; aber zugleich wurde mir nun der Aufenthalt in der Totenkammer zuwider, und ich war froh, mit dem Gedanken der Unsterblichkeit hinauszukommen ins lebendige Grüne. Es erschien an diesem Tage ein Schreinergesell aus dem Dorfe, um hier den Sarg zu machen. Der Schulmeister hatte vor Jahren schon eigenhändig ein schlankes Tannlein gefällt und zu seinem Sarge bestimmt. Dasselbe lag in Bretter gesägt hinter dem Hause, durch das Vordach geschützt, und hatte immer zu einer Ruhebank gedient, auf welcher der Schulmeister zu lesen und seine Tochter als Kind zu spielen pflegte. Es zeigte sich nun, daß die obere schlankere Hälfte des Baumes den schmalen Totenschrein Annas abgeben könne, ohne den zukünftigen Sarg des Vaters zu beeinträchtigen; die wohlgetrockneten Bretter wurden abgehoben und eines nach dem andern entzweigesägt. Der Schulmeister vermochte aber nicht lange dabeizusein, und selbst die Frauen im Hause klagten über den Ton der Säge. Der Schreiner und ich trugen daher die Bretter und das Werkzeug in den leichten Nachen und fuhren an eine entlegene Stelle des Ufers, wo das Flüßchen aus dem Gehölze hervortritt und in den See mündet. Junge Buchen bilden dort am Wasser eine lichte Vorhalle, und indem der Schreiner einige der Bretter mittelst Schraubzwingen an den Stämmchen befestigte, stellte er eine zweckmäßige Hobelbank her, über welcher die goldenen Laubkronen der Buchen sich wölbten. Zuerst mußte der Boden des Sarges zusammengefügt und geleimt werden. Ich machte aus den ersten Hobelspänen und aus Reisig ein Feuer und setzte die Leimpfanne darauf, in welche ich mit der Hand aus dem Bache Wasser träufelte, indessen der Schreiner rüstig darauf lossägte und – hobelte. Während die gerollten Späne sich mit dem fallenden Laube vermischten und die Bretter weiß wurden, machte ich die nähere Bekanntschaft des jungen Gesellen. Es war ein Norddeutscher von der fernsten Ostsee, groß und schlank gewachsen, mit kühnen und schön geschnittenen Gesichtszügen, hellblauen, aber feurigen Augen und mit starkem goldenem Haar, welches man immer über die freie Stirn zurückgestrichen und hinten in einen Schopf gebunden zu sehen glaubte, so urgermanisch sah er aus. Seine Bewegungen bei der Arbeit waren elegant, und dabei hatte sein Wesen doch etwas Kindliches. Wir wurden bald vertraut, und er erzählte mir von seiner Heimat, von den alten Städten im Norden, vom Meere und von der mächtigen Hansa. Wohlunterrichtet, erzählte er mir von der Vergangenheit, den Sitten und Gebräuchen jener Seeküsten; ich sah den langen und hartnäckigen Kampf der Städte mit den Seeräubern, den Vitalienbrüdern, und wie Klaus Sturzenbecher mit vielen Gesellen von den Hamburgern geköpft wurde; dann sah ich wieder, wie am ersten Mai aus den Toren von Stralsund der jüngste Ratsherr mit einem glänzenden Jugendgefolge im Waffenschmuck zog und in den prächtigen Buchenwäldern zum Maigrafen gekrönt wurde mit einer grünen Laubkrone und wie er abends mit einer schönen Maigräfin tanzte. Auch beschrieb er die Wohnungen und Trachten nordischer Bauern, von den Hinterpommern bis zu den tüchtigen Friesen, bei welchen noch Spuren männlichen Freiheitsinnes zu finden; ich sah ihre Hochzeiten und Leichenbegängnisse, bis der Geselle endlich auch von der Freiheit deutscher Nation redete und wie bald die stattliche Republik eingeführt werden müßte. Ich schnitzte unterdessen nach seiner Anleitung eine Anzahl hölzerner Nägel, er aber führte schon mit dem Doppelhobel die letzten Stöße über die Bretter, feine Späne lösten sich gleich zarten glänzenden Seidenbändern und mit einem hell singenden Tone, welcher unter den Bäumen ein seltsames Lied war. Die Herbstsonne schien warm und lieblich drein, glänzte frei auf dem Wasser und verlor sich im blauen Duft der Waldnacht, an deren Eingang wir uns angesiedelt. Jetzt baueten wir die glatten weißen Bretter zusammen, die Hammerschläge hallten wider durch den Wald, daß die Vögel überrascht aufflogen und die Schwalben erschreckt über den Seespiegel streiften, und bald stand der fertige Sarg in seiner Einfachheit vor uns, schlank und ebenmäßig, der Deckel schön gewölbt. Der Schreiner hobelte mit wenigen Zügen eine schmale zierliche Hohlkehle um die Kanten, und ich sah verwundert, wie die zarten Linien sich spielend dem weichen Holze eindrückten; dann zog er zwei schöne Stücke Bimsstein hervor und rieb sie aneinander, indem er sie über den Sarg hielt und das weiße Pulver über denselben verbreitete; ich mußte lachen, als er die Stücke geradeso gewandt und anmutig handhabte und abklopfte, wie ich bei meiner Mutter gesehen, wenn sie zwei Zuckerschollen über einem Kuchen rieb. Als er aber den Sarg vollends mit dem Steine abschliff, wurde derselbe so weiß wie Schnee, und kaum der leiseste rötliche Hauch des Tannenholzes schimmerte noch durch, wie bei einer Apfelblüte. Er sah so weit schöner und edler aus, als wenn er gemalt, vergoldet oder gar mit Erz beschlagen gewesen wäre. Am Haupte hatte der Schreiner der Sitte gemäß eine Öffnung mit einem Schieber angebracht, durch welche man das Gesicht sehen konnte, bis der Sarg versenkt wurde; es galt nun noch eine Glasscheibe einzusetzen, welche man vergessen, und ich fuhr nach dem Hause, um eine solche zu holen. Ich wußte schon, daß auf einem Schranke ein alter kleiner Rahmen lag, aus welchem das Bild lange verschwunden. Ich nahm das vergessene Glas, legte es vorsichtig in den Nachen und fuhr zurück. Der Geselle streifte ein wenig im Gehölze umher und suchte Haselnüsse; ich probierte indessen die Scheibe, und als ich fand, daß sie genau in die Öffnung paßte, tauchte ich sie, da sie ganz bestaubt und verdunkelt war, in den klaren Bach und wusch sie sorgfältig, ohne sie an den Steinen zu zerbrechen. Dann hob ich sie empor und ließ das lautere Wasser ablaufen, und indem ich das glänzende Glas hoch gegen die Sonne hielt und durch dasselbe schaute, erblickte ich das lieblichste Wunder, das ich je gesehen. Ich sah nämlich drei reizende, musizierende Engelknaben; der mittlere hielt ein Notenblatt und sang, die beiden anderen spielten auf altertümlichen Geigen, und alle schaueten freudig und andachtsvoll nach oben; aber die Erscheinung war so lustig und zart durchsichtig, daß ich nicht wußte, ob sie auf den Sonnenstrahlen, im Glase oder nur in meiner Phantasie schwebte. Wenn ich die Scheibe bewegte, so verschwanden die Engel auf Augenblicke, bis ich sie plötzlich mit einer anderen Wendung wieder entdeckte. Ich habe seither erfahren, daß Kupferstiche oder Zeichnungen, welche lange, lange Jahre hinter einem Glase ungestört liegen, während der dunklen Nächte dieser Jahre sich dem Glase mitteilen und gleichsam ihr dauerndes Spiegelbild in demselben zurücklassen. Ich ahnte jetzt auch etwas dergleichen, als ich die fromme Schraffierung altdeutscher Kupferstecherei und in dem Bilde die Art van Eyckscher Engel entdeckte. Eine Schrift war nicht zu sehen und also das Blatt vielleicht ein seltener Probedruck gewesen, der in diese Täler auf ebenso wunderbare Weise gekommen, als er wieder verschwunden war. Jetzt aber war mir die kostbare Scheibe die schönste Gabe, welche ich in den Sarg legen konnte, und ich befestigte sie selbst an dem Deckel, ohne jemandem etwas von dem Geheimnis zu sagen. Der Deutsche kam wieder herbei; wir suchten die feinsten Hobelspäne, unter welche sich manches gefallene