Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Читать онлайн книгу.sehr liebenswürdig, Herr Lys! und ich will deshalb vernünftig mit Ihnen sprechen. Ich bin weit entfernt, Ihre Grundsätze zu verdammen oder Ihnen eine zimperliche Predigt halten zu wollen, da ich sehe, daß dieselben nicht leere Worte eines unsichern Mannes, vielmehr nur zu deutlich die Äußerung einer tiefer begründeten Lebensrichtung sind. Sehen Sie zu, wie Sie dabei Ihr Glück und Ihre Ruhe finden, von der Sie sprechen! Aber ich muß Ihnen wenigstens sagen und kann Sie auf das heiligste versichern, daß ich mich selber sehr wohl kenne und daß Sie sich hinsichtlich meines Wesens vollkommen getäuscht haben. Sehen Sie, Herr Lys! (und hier zog sie ihre Hand zurück und maß ihm eine rosige Fingerspitze vor, indessen sie etwas ungeduldig mit den Füßchen strampelte) ich empfinde nicht so viel Neigung für Sie, und ich schwöre Ihnen, daß, was meine Freundlichkeit betrifft, dieselbe nun und nimmermehr das für Sie sein wird, was Sie Liebe nennen oder was ich Liebe nenne! Ja vielmehr steht sie auf dem Punkte, in Haß und Abscheu umzuschlagen, wenn Sie Ihr Benehmen nicht sogleich ändern! Entschließen Sie sich dazu, oder ich bitte Sie, mein Haus zu verlassen, denn Sie stören mir alle Freude und machen ein unnützes Aufsehen!«
Als sie dies sprach, funkelte zuletzt durch alle lächelnde Freundlichkeit ein lichter Zorn in ihren Augen, gleich einem Blitz im Sonnenschein, welcher zwar bezaubernd, aber auch so deutlich und entschieden war, daß Lys nicht ein Wort zu erwidern wußte. Er sah sie erstaunt und wehmütig an, wie einer, der aus seiner ganzen persönlichen Beschaffenheit und Überzeugung heraus gehandelt hat und darüber traurig ist, daß er keinen Anklang findet. Dann ging er, ohne ein Wort zu sagen, langsam aus dem Zimmer.
Rosalie schaute ihm nach, und während sie aufatmend sich auf ein Sofa warf, mischte sich in den freundlichen Spott, den sie empfand, doch ein geheimstes bedauerndes Gefühl, daß ihr Wohlwollen nicht etwas der Art sein dürfe, für was Lys es gehalten wissen wollte.
Inzwischen hatte Erikson endlich ihre und Ferdinands gleichzeitige Abwesenheit entdeckt, und da er Rosalien zu sehr ehrte und liebte in seiner breiten Brust, um sie genauer zu kennen, und auch ein ziemlicher Neuling in dieser Lage war, so verließ ihn plötzlich sein bisheriges Phlegma, und er geriet in die heftigste Aufregung.
Die abenteuerlichsten und graulichsten Geschichten von der geheimen Verworfenheit und Schwachheit der Weiber, welche er in Schenken und Männergesellschaften gehört, fuhren ihm wie Gespenster durch den Kopf, die wunderlichsten Eroberungen und Überrumpelungen durch kühne Gesellen, unter den schwierigsten Umständen, kamen ihm in den Sinn und wechselten mit dem Bilde der sich immer gleichen Rosalie, und dies Bild verscheuchte dann alle jene Schrecken für einen Augenblick; aber sie kehrten wieder und peinigten ihn auf das ärgste.
Und als er sie endlich gewaltsam unterdrückte, sagte er sich Und was wäre es denn, wenn mir dieser Teufel zuvorkäme und das täte, was ich schon längst hätte wagen sollen? Wer wäre zu tadeln als ich selbst? Soll mir die liebe Schöne sich selbst auf einem Teller präsentieren? Hole der Henker das Geld! Ich glaube, ich wäre nicht halb so blöde, wenn sie nicht so reich wäre! Aber was tut das zur Sache? Sie ist ein Weib, ich ein Mann, Himmel! sie wird mir den Kopf nicht abbeißen!
Als ob seine Seligkeit auf dem Spiele stände, durchmaß er alle Zimmer, und als er sie nirgends fand, riß er voll Furcht und Zorn die letzte Tür auf, die ihm noch übrigblieb, trat hastig in das schwach erleuchtete Stübchen und fand Rosalien auf dem Sofa sitzend. Sie hielt sich ganz still und sah ihn an, und Erikson stand plötzlich ratlos da.
Nachdem er eine Weile gestanden, indessen sich die Schöne nicht gerührt, gewann er über ihrem Anblicke seine Bewegung wieder, stärker als vorhin, aber nun rein und gleichmäßig, eine schöne, mächtige Wallung. Er tat einen Schritt auf sie zu, ergriff ihren Arm so fest, daß es sie schmerzte, und gab nun seinen Gefühlen und Meinungen Worte, so gut er sie zu finden vermochte.
Rosalie beklagte sich nicht über den Druck seiner starken Hand, es schien sogar, als ob ihr der kleine Schmerz das größte Vergnügen gewähre. Sie hörte ihn mit schwer verhaltenem Lächeln an, und eine Viertelstunde nachher sah man ihn feierlich und zufrieden durch die Räume kommen, mit glänzenden Augen einige Verwandte Rosaliens zusammenzusuchen und zu ihr zu berufen, und abermals eine Viertelstunde nachher erschienen diese wieder und ordneten in dem Saale eine Abendtafel für die gesetztere Hälfte der Gesellschaft und besonders für sämtliche Verwandte und Freunde Rosaliens, deren noch manche schnell geholt wurden; und als alles dies zustande gekommen, indessen auch die Lichter angesteckt wurden, verkündete ein ehrwürdiger Oheim die unverhoffte Verlobung, und das glückliche Paar nahm die überraschten Glückwünsche von allen Seiten frohlauschend auf.
Alle, die in gewöhnlicher Kleidung anwesend waren, führten unter sich alsbald eine gelinde Kritik über die seltsame Verlobung und die künstlerischen Neigungen der reichen Witwe, die so rasch nacheinander zutage träten; doch wenn sie, besonders die Schönen, auf Erikson blickten, so blieben ihre Worte nur noch tönende, während das Auge gestehen mußte, daß die feine Rosalie wohl zu wählen gewußt habe.
Die Künstler aber freuten sich unbändig über diese neue glückliche Wendung zu Ehren ihres Standes und machten Erikson glückwünschend zu ihrem Helden, nicht ahnend, welcher Abfall von Pinsel und Palette mit dieser Verlobung sich vollende. Denn Erikson hat in der Tat nie wieder gemalt, obgleich er den Künstlern zugetan blieb und mit vieler Behaglichkeit sich später eine Bildersammlung anlegte.
Nur Ferdinand ertrug diesen Vorfall nicht; er verlor sich in der größten Uneinigkeit mit sich selbst aus dem Hause und stürmte in den Buchenwald hinaus, in welchem viele einzelne Masken umherirrten und lärmten. Viele kamen auch von den Forsthäusern auf die Kunde von den artigen Begebenheiten in das Landhaus der Witwe oder nunmehrigen Braut und wurden da bewirtet. Erikson rührte sich sogleich lustig als künftiger Herr des Hauses und schaffte mit ausgiebiger Bewegung Raum und Stoff in die Verwirrung, die rauschend hereingebrochen war.
Dann aber geleitete er Rosalien, die sich zurückziehen wollte, als sie alles im besten Gange und durch treue Freunde und Diener überwacht sah, nach der Stadt. Sie erbebte in der Dunkelheit vor Vergnügen, als er sie in den Wagen hob und als der leichte Kasten heftig schaukelte, da der hünenmäßige Erikson einstieg.
Während sich dies alles begeben, hauste in dem Gewächshause ein kleines Trüppchen Leute, abgelegen und vergessen von der großen Gesellschaft, und führte zwischen den Myrten- und Orangenbäumen ein wunderlich verborgenes Leben. Da saß an einem Tischchen der fabelhafte Bergkönig, welcher mit seiner Krone und seinem weißen Barte aussah, als wäre er eben aus den Fluten des Rheines, aus der Nibelungenzeit heraufgestiegen, und sang, indem er das lange Kelchglas schwenkte, die lustigsten Lieder; neben ihm zechte ein Winzer aus dem Bacchuszuge, ein wirklicher Rheinländer, welcher eine Anzahl Champagnerflaschen erhascht und unter den Myrten verborgen hatte. Es war ein untersetzter Mann von dreißig Jahren mit einem braunen Krauskopfe und kindlich lachenden Augen, welche bald mit frommem Ausdrucke in die Welt schauten, bald in schlauer Lustigkeit funkelten. Seine Hände verkündeten einen fleißigen Metallarbeiter und der weichgeschnittene Mund einen andächtigen Trinker, indessen doch die Mundwinkel einen sinnenden festen Zug hatten vom häufigen Verschließen und Verziehen des Mundes über der beharrlichen plastischen Arbeit. Man nannte ihn den kleinen Gottesmacher, weil er nicht nur alle für den katholischen Kultus notwendigen Silbergefäße, sondern auch sehr wohlgearbeitete Christusbilder in Elfenbein verfertigte. Nebenbei war er ein trefflicher Musikus, der mehrere Instrumente spielte und ein Kenner der alten Kirchenmusik sowohl als einer Menge melancholischer Volkslieder war. Diese sang er jetzt abwechselnd mit dem Bergkönig und dem grünen Heinrich, welcher mit Agnes den kleinen Kreis vervollständigte.
Das verzweifelte Mädchen hatte sich hierher zurückgezogen, weil sie nicht unter den anderen Frauensleuten sein mochte, die alle glücklich waren und sich ihres Lebens freuten. Sie saß nun wieder stumm und still und lauschte auf die Worte Heinrichs, welcher ihr fortwährend Hoffnung machte und zuflüsterte, sie solle nur Geduld haben; wenn erst diese tolle Zeit vorüber sei, so würde sich Ferdinand schon besinnen und müsse es, er wolle ihn dazu zwingen. Als das Geräusch der Verlobung sich verbreitete, eilte Heinrich weg, um Ferdinand aufzusuchen, während Agnes mit banger Hoffnung und aufblitzender Lebenslust seiner harrte. Aber er fand ihn nirgends und kehrte allein zurück.
Agnes versank in eine tiefe Erstarrung, alles vergessend,