Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Читать онлайн книгу.von aller, auch der einfachsten Zier entblößt, daß es unsere Weiber ärgert, welche gewöhnt sind, sich mit der Zeit immer reicher zu kleiden anstatt schlichter, und darnach ihr Gedeihen berechnen. Wahrhaft melancholisch aber ist es anzusehen, wenn sie zuweilen ihre Betten sonnt; anstatt sie mit Hilfe anderer auf unsern geräumigen Platz hinzutragen, wo der große Brunnen steht, schleppt sie dieselben allein auf das hohe schwarze Dach Eures Hauses, breitet sie dort an der Sonnenseite aus, geht emsig auf dem steilen Dache umher, ohne Schuhe zwar, aber bis an den Rand hin, klopft die Stücke aus, kehrt sie, schüttelt sie und hantiert dermaßen seelenallein in dieser schwindligen Höhe unter dem offenen Himmel, daß es höchst verwegen und sonderbar anzusehen ist, zumal wenn sie, einen Augenblick innehaltend, die Hand über die Augen hält und da hoch oben in der Sonne stehend in die weite Ferne hinauszieht. Ich konnte es einmal nicht länger ansehen von meinem Hofe aus, wo ich eben einen Wagen lackierte, ging hinüber, stieg bis zum Dache hinauf und hielt unter der Luke eine Anrede an sie, indem ich ihr die Gefahr ihres Tuns vorstellte und bat, doch die Hilfe anderer Leute in Anspruch zu nehmen. Sie lächelte aber nur und bedankte sich, und bin ich auch der Meinung, daß nur durch Ihre Heimkehr solche peinliche Abstinenz und Pönitenz vertrieben werden kann!«
Der wackere Mann, welcher keinen Augenblick Heinrich verächtlich behandelte, vielmehr dessen Lage mit achtungsvollem Mitgefühl für einen notwendigen Künstlerzustand hielt, aus welchem herauszukommen und dann die Herrlichkeiten des Künstlertums anzutreten nur von einem festen Wollen und Zusammenraffen Heinrichs abhinge, munterte ihn nun wiederholt auf, nach Hause zu kommen, und malte ihm aus, wie die sichere Luft der Heimat meistens in solchen Fällen eine günstige Wendung herbeiführe und dem Erfahrenen und Geprüften einen neuen Mut und zugleich einen klaren Überblick gebe, so daß er entweder gedeihlich im Lande bliebe oder, wenn es der Beruf so mit sich führe, mit neuer Kraft und größerer Zweckmäßigkeit zum zweiten Mal ausfliegen könne. Er bot ihm, indem er von der Mutter den Auftrag zu haben vorgab, die nötige Barschaft an zur Heimreise.
Heinrich hatte dem Erzähler unverwandt zugehört; statt auf die Vorschläge des braven Nachbars zu hören, dessen Anerbieten und jetziges Wesen er vor Jahren kaum geahnt hätte und den er dazumal kaum näher gekannt, sah er fort und fort die seltsamen Bilder seiner Mutter, welche der Landsmann ihm entworfen, und sie prägten sich seinem Sinne in einer goldenen sonnigen Verklärung ein, so daß er träumend ihnen nachhing. Als der Landsmann ihn endlich ermunterte und, sein Glas füllend, sein Anerbieten und seine Aufforderung wiederholte, lehnte er alles mit bescheidenem Danke ab und bat, die freundlichen Leutchen möchten seine Mutter tausendmal grüßen und nur sagen, es ginge ihm ganz ordentlich, er würde gewiß so bald immer tunlich zurückkehren. Denn das Anerbieten des Mannes zu ergreifen und in diesem Augenblicke und auf diese Weise nach der Heimat zu gehen, schien ihm ganz gewaltsam und wie aus der Schule gelaufen, ohne seine Tagesaufgabe gelöst zu haben.
Er begleitete das Paar nach dem Bahnhofe und sah sie mit Hunderten von glücklichen Reisenden davonfliegen, indes er selbst traurig in die Stadt zurückkehrte, welche ihm mm vollends zu einem Aufenthalt des Elendes, der Verbannung wurde. Aber dieser Zustand war nun schon wieder ein anderer geworden als erst vor einem Tage, und durch die Begegnung mit dem Landsmanne und dessen Mitteilungen nahm sein leidendes Verhalten eine bestimmte und veredelte Gestalt, und er fühlte sich durch einen klaren notwendigen Verlauf der Dinge, durch die Erfüllung eines jeden Teilchens seiner Selbstbestimmung und Verschuldung an das ferne Elend gefesselt, während alle seine Gedanken mit tiefer Sehnsucht nach der Heimat zogen, wo er unaufhörlich das Bild seiner Mutter an dem drehenden Rade sitzen, durch die Straßen der alten Stadt gehen oder auf dem sonnbeglänzten Hausdache emporragen sah.
Sein ganzes Wesen wurde von diesen Bildern und von glänzenden Vorstellungen der Heimat getränkt und durchdrungen, und die einfache Rückkehr nach derselben erschien ihm jetzt nach all den Hoffnungen und Bestrebungen das wünschenswerteste und höchste Gut, welches doch wiederum durch eine seltsame künstlerische Gewissenhaftigkeit in eine ungewisse, fast unerreichbare Ferne gerückt wurde, durch die künstlerische Gewissenhaftigkeit nicht etwa des Malers, sondern des Menschen, welchem es unmöglich erschien, ohne Grund und Abschluß, ohne das Verdienst eines erreichten Lebens jenes Glück vom Zaune zu brechen und gewaltsam herbeizuführen.
Allein das heiße Verlangen nach diesem so einfachen und natürlichen Gute wirkte so mächtig in ihm, daß in tiefer Nacht, wenn der Schlaf ihn endlich heimgesucht, eine schöpferische Traumwelt lebendig wurde und durch die glühendsten Farben, durch den reichsten Gestaltenwechsel und durch die seligsten, mit dem allerausgesuchtesten Leide gepaarten Empfindungen den Schlafenden beglückte, mit ihrer Nacherinnerung aber auch den Wachen für alles Übel vollkommen schadlos hielt und das Unerträgliche erträglich machte, ja sogar zu einer Art von bemerkenswertem Glücke umwandelte.
Ganz wie es ihm einst Römer, sein unkluger und doch so erfahrener Lehrer, verkündet, sah er nun im Traume bald die Stadt, bald das schöne Dorf auf wunderbare Weise verklärt und verändert, ohne je hineingelangen zu können, oder, wenn er dort war, mit einem plötzlichen traurigen Ausgang und Erwachen. Er durchreiste die schönsten Gegenden seines Vaterlandes, welche er in der Wirklichkeit nie gesehen, sah die Gebirge, Täler und Ströme mit wohlbekannten und doch ganz unerhörten Namen, die wie Musik klangen und doch etwas kindisch Komisches an sich hatten, wie es nur der Traum gebären kann; er näherte sich allmählich der Stadt, worin das Vaterhaus lag, auf wunderbaren Wegen, am Rande breiter Ströme, auf denen jede Welle einen schwimmenden Rosenstock trug, so daß unter dem dahinziehenden Rosenwalde das Wasser kaum hindurchfunkelte. Ein Landmann pflügte mit einem goldenen Pfluge am Ufer mit milchweißen Ochsen, unter deren Tritten große Kornblumen aufsproßten; die Furche füllte sich mit goldenen Körnern, welche der Bauer, indem er mit der einen Hand den Pflug lenkte, mit der anderen aufschöpfte und weithin in die Luft warf, worauf sie in einem goldenen Regen über Heinrich herabfielen! der sie in seinem Hute auffing und sah, daß sie sich in lauter goldene Schaumünzen verwandelten, auf welchen ein alter Schweizer mit dem Schwerte geprägt war und mit einem sehr langen Barte. Er zählte sie eifrig und konnte sie doch nicht auszählen, füllte aber alle Taschen damit; die er nicht hineinbrachte, als sie voll waren, warf er wieder in die Luft, da verwandelte sich der Goldregen in einen prächtigen Goldfuchs, welcher wiehernd an der Erde scharrte, aus welcher dann der schönste Hafer in Haufen hervorquoll, den der Goldfuchs mutwillig verschmähte. Jedes Haferkorn war ein süßer Mandelkern, eine getrocknete Weinbeere und ein neuer Batzen, die in rote Seide zusammengewickelt und mit einem goldenen Faden zugebunden waren; zugleich war ein Endchen Schweinsborste eingebunden, welche einen angenehm kitzelte, und indem das schöne Pferd sich behaglich darin wälzte, rief es »Der Hafer sticht mich! der Hafer sticht mich!« Heinrich bestieg das Pferd, ritt beschaulich am Ufer hin und sah, wie der Bauer in die Rosen hineinpflügte und mit seinem ganzen Gespann darunter versank. Die Rosen nahmen ein Ende, und während sie sich zu dichten Scharen verzogen und in die Ferne hinschwammen, eine hohe Röte am runden Horizonte ausbreitend, der Fluß aber jetzt rein und wie ein unermeßliches Band fließenden blauen Stahles erschien, fuhr der Bauer auf seinem Pfluge, der sich in ein Schiff verwandelt hatte, dessen Steuer sich aus der goldenen Pflugschar formierte, singend dahin und sang »Das Alpenglühen rückt aus und geht ums Vaterland herum!« Dann bohrte er eifrig ein Loch in den Schiffboden; dann steckte er das eherne Mundstück einer Trompete an das Loch, sog einen Augenblick kräftig daran, worauf es mächtig erklang, gleich einem Harsthorn, und einen glänzenden Wasserstrahl ausstieß, der den herrlichsten Springbrunnen in dem fahrenden Schifflein bildete. Der Bauer nahm den Brunnenstrahl, setzte sich, auf den Rand des Schiffes und schmiedete auf seinen Knien und mit der rechten Faust ein mächtiges Schwert daraus, daß die Funken nur so stoben. Als das Schwert fertig war, probierte er es an einem ausgerupften Barthaar und überreichte es höflich sich selbst, der plötzlich als jener dicke Wirt ihm gegenüberstand, welcher an jenem Volksfeste den Wilhelm Tell vorgestellt Dieser nahm das Schwert, schwang es und sang mächtig:
»Heio heio! bin auch noch do
Und immer meines Schießens froh!
Heio heio! die Zeit ist weit,
Der Pfeil des Tellen fleugt noch heut!
Heio heio! seht ihr ihn nicht?
Dort oben fliegt er hoch im Licht!
Man weiß nicht, wo er steckenbleibt,
Heio