Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
Читать онлайн книгу.und wohin es führen könne, wurde mir Gewohnheit und Bedürfnis, daß ich bald täglich in das Haus huschte, um eine halbe Stunde dort zuzubringen, eine Schale Milch zu trinken und der lachenden Frau die Haare aufzulösen, selbst wenn sie schon geflochten waren. Dies tat ich aber nur, wenn sie ganz allein und keine Störung zu befürchten war, so wie sie auch nur dann es sich gefallen ließ, und diese stillschweigende Übereinkunft der Heimlichkeit lieh dem ganzen Verkehre einen süßen Reiz.
So war ich eines Abends, vom Berge kommend, bei ihr eingekehrt; sie saß hinter dem Hause am Brunnen und hatte soeben einen Korb grünen Salat gereinigt, ich hielt ihre Hände unter den klaren Wasserstrahl, wusch und rieb dieselben wie einem Kinde, ließ ihr kalte Wassertropfen in den Nacken träufeln und spritzte ihr solche endlich mit unbeholfenem Scherze ins Gesicht, bis sie mich beim Kopfe kriegte und ihn auf ihren Schoß preßte, wo sie ihn ziemlich derb zerarbeitete und walkte, daß mir die Ohren sausten. Obgleich ich diese Strafe halb und halb bezweckt hatte, wurde sie mir doch zu arg; ich riß mich los und faßte meine Feindin, nach Rache dürstend, nun meinerseits beim Kopfe. Doch leistete sie, indem sie immer sitzen blieb, so kräftigen Widerstand, daß wir beide zuletzt heftig atmend und erhitzt den Kampf aufgaben und ich, beide Arme um ihren weißen Hals geschlungen, ausruhend an ihr hangen blieb; ihre Brust wogte auf und nieder, indessen sie, die Hände erschöpft auf ihre Knie gelegt, vor sich hinsah. Meine Augen gingen den ihrigen nach in den roten Abend hinaus, dessen Stille uns umfächelte; Judith saß in tiefen Gedanken versunken und verschloß, die Wallung ihres aufgejagten Blutes bändigend, in ihrer Brust innere Wünsche und Regungen fest vor meiner Jugend, während ich, unbewußt des brennenden Abgrundes, an dem ich ruhte, mich arglos der stillen Seligkeit hingab und in der durchsichtigen Rosenglut des Himmels das feine, schlanke Bild Annas auftauchen sah. Denn nur an sie dachte ich in diesem Augenblicke, ich ahnte das Leben und Weben der Liebe, und es war mir, als müßte ich nun das gute Mädchen alsogleich sehen. Plötzlich riß ich mich los und eilte nach Hause, von wo mir der schrille Ton einer Dorfgeige entgegenklang. Sämtliche Jugend war in dem geräumigen Saale versammelt und benutzte den kühlen, müßigen Abend, nach den Klängen des herbeigerufenen Geigers sich gegenseitig im Tanze zu unterrichten und zu üben; denn die älteren Mitglieder der Sippschaft befanden für gut, auf die Feste des nahenden Herbstes den jüngern Nachwuchs vorzubereiten und dadurch sich selbst ein vorläufiges Tanzvergnügen zu verschaffen. Als ich in den Saal trat, wurde ich aufgefordert, sogleich teilzunehmen, und indem ich mich fügte und unter die lachenden Reihen mischte, ersah ich plötzlich die errötende Anna, welche sich hinter denselben versteckt hatte. Sogleich war ich zufrieden und innerlich hoch vergnügt; aber obgleich schon zwei Wochen vergangen, seit ich sie zum ersten Male gesehen, ließ ich meine Zufriedenheit nicht merken und entfernte mich, nachdem ich sie kurz begrüßt, wieder von ihr, und als meine Basen mich aufforderten, mit ihr, die gleichfalls anfing, einen Tanz zu tun, suchte ich ungehobelt und unter tausend Ausflüchten auszuweichen. Dieses half nichts, widerstrebend fügten wir uns endlich und tanzten, einander nicht ansehend und uns kaum berührend, etwas ungeschickt und beschämt einmal durch den Saal. Ungeachtet es mir schien, als ob ich einen jungen Engel an der Hand führte und im Paradiese herumwalzte, trennten wir uns doch nach der Tour so schleunig wie Feuer und Wasser und waren in selbem Augenblicke an den entgegengesetzten Enden des Saales zu sehen. Ich, der ich kurz vorher unbefangen und mutwillig die Wangen der großen und schönen Judith zwischen meine Hände gepreßt, hatte jetzt gezittert, die schmale, fast wesenlose Gestalt des Kindes zu umfangen, und dieselbe fahrenlassen wie ein glühendes Eisen. Sie verbarg sich ihrerseits wieder hinter die fröhlichen Mädchen und war sowenig mehr in die Reihen zu bringen als ich, hingegen bestrebte ich mich, meine Worte an die Gesamtheit zu richten und so zu stellen, daß sie von Anna auch hingenommen werden mußten, und bildete mir ein, sie meine es mit den wenigen Wörtchen, die sie hören ließ, ebenfalls so.
Sie war, da sie mit den Töchtern meines Oheims einen lebhaften Taubenverkehr führte, mit einem Körbchen voll junger Täubchen hergekommen, was hauptsächlich das Heraufrufen des herumziehenden Geigers veranlaßt hatte. Nun wurde verabredet, daß die Tanzübungen mehrere Male wiederholt werden sollten und Anna denselben beiwohnen. Für jetzt aber war es notwendig, da es dunkel geworden, daß jemand sie nach Hause begleite, und dazu wurde ich ausersehen. Diese Kunde klang mir zwar wie Musik, doch drängte ich mich nicht sonderlich vor und stellte mich eher, als ob es mir verdrießlich und unbequem wäre; denn es erwachte ein Stolz in mir, der es mir fast unmöglich machte, gegen das junge Ding freundlich zu tun, und je lieber ich es in meinem Herzen gewann, desto mürrischer und unbeholfener wurde mein Äußeres. Das Mädchen aber blieb immer gleich, ruhig, bescheiden und fein und band gelassen seinen breiten Strohhut um, auf welchem einige Kornblumen und eine brennendrote Mohnblüte lagen; der Nachtkühle wegen brachte die Muhme einen prachtvollen weißen Staatsshawl aus alter Zeit, mit Astern und Rosen besäet, den man um ihr blaues, halb ländliches Kleid schlug, daß sie mit ihren Goldhaaren und dem feinen Gesichtchen aussah wie eine junge Engländerin aus den neunziger Jahren. So wandte sie sich nun anscheinend ganz ruhig zum Gehen, gewärtig, wer sie begleiten würde, aber sich deswegen nicht unentschlossen aufhaltend. Sie lächelte, durch den Mutwillen der Basen belebt und gedeckt, über meine Ungeschicklichkeit, ohne sich nach mir umzublicken, und vermehrte so meine Verlegenheit, da ich gegenüber den zusammenhaltenden und verschworenen Mädchen allein dastand und fast willens war, im Saale zurückzubleiben. Doch erbarmte sich die älteste Base meiner und rief mich noch einmal entschieden heran, so daß es mit meiner Ehre verträglich war, mich wenigstens dem Zuge anzuschließen, der sich vor das Haus bewegte. Wir gingen gemeinschaftlich bis an das Ende des Dorfes, wo der Berg anhub, über welchen Anna zu gehen hatte. Dort wurde Abschied genommen; ich stand im Hintergrunde und sah, wie sie ihr Tuch zusammenfaßte und sagte »Ach, wer will nun eigentlich mit mir kommen?« indessen die Mädchen schalten und sagten »Nun, wenn der Herr Maler so unartig ist, so muß eben jemand anders dich begleiten!« und ein Bruder rief »Ei, wenn es sein muß, so gehe ich schon mit, obgleich der Maler ganz recht hat, daß er nicht den Jungfernknecht spielt, wie ihr es immer gern einführen möchtet!« Ich trat aber hervor und sagte barsch »Ich habe gar nicht behauptet, daß ich es nicht tun wolle, und wenn es der Anna recht ist, so begleite ich sie schon.« – »Warum sollte es mir nicht recht sein?« erwiderte sie, und ich schickte mich an, neben ihr herzugehen. Allein die übrigen riefen, ich müßte sie durchaus am Arme führen, da wir so feine Stadtleutchen seien, ich glaubte dies und schob meinen Arm in den ihrigen, sie zog ihn rasch zurück und faßte mich unter den Arm, sanft, aber entschieden, indem sie lächelnd nach dem spottenden Volke zurücksah; ich merkte meinen Fehler und schämte mich dergestalt, daß ich, ohne zu sprechen, den Berg hinanstürmte und das arme Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ sich dies nicht ansehen, sondern schritt tapfer aus, und sobald wir allein waren, fing sie ganz geläufig und sicher an zu plaudern über die Wege, welche sie mir zeigen mußte, über das Feld, über den Wald, wem diese und jene Parzelle gehöre und wie es hier und dort vor wenigen Jahren noch gewesen sei. Ich wußte wenig zu erwidern, während ich aufmerksam zuhörte und jedes Wort wie einen Tropfen Muskatwein verschlang; meine Eile hatte schon nachgelassen, als wir die Höhe des Berges erreichten und auf seiner Ebene gemächlich dahingingen. Der funkelnde Sternhimmel hing weit gebreitet über dem Lande, und doch war es dunkel auf dem Berge, und die Dunkelheit band uns näher zusammen, da wir, unsere Gesichter kaum sehend, einander auch besser zu hören glaubten, wenn wir uns fest zusammenhielten. Das Wasser rauschte vertraulich im fernen Tale, hier und da sahen wir ein mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen, welche sich massenhaft mit ihrem schwarzen Schatten vom Himmel sonderte, der sie am Rande mit einem blassen Dämmergürtel umgab. Ich beachtete dieses alles, lauschte den Worten meiner Begleiterin und bedachte zugleich für mich meine Freude und meinen Stolz, eine Geliebte am Arme zu führen, als welche ich sie ein für allemal betrachtete. Wir sprachen nun ganz munter und aufgeräumt von tausend Dingen, von gar nichts, dann wieder mit wichtigen Worten von unseren gemeinsamen Verwandten und ihren Verhältnissen, wie alte kluge Leute. Je näher wir ihrer Wohnung kamen, deren Licht bereits in der Tiefe glühte wie ein Leuchtwurm, desto sicherer und lauter wurde Anna, ihre Stimme bimmelte unaufhörlich und fein, gleich einem fernen Vesperglöckchen, ich setzte ihren artigen Einfällen die besten meiner eigenen Erfindung entgegen, und doch hatten wir uns den ganzen Abend noch nie unmittelbar angeredet, und das Du war seit jenem einen Male nie mehr zwischen uns gefallen. Wir hüteten es, wenigstens ich, im Herzen gleich einem goldenen Sparpfennige, den man auszugeben gar nicht nötig hat; oder es schwebte wie ein Stern weit vor