Der Spürsinn des kleinen Doktors. Georges Simenon

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Der Spürsinn des kleinen Doktors - Georges  Simenon


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kann Ihnen nichts versprechen. Es kommt ganz darauf an …«

      Ein Auto auf dem Hof. Leute aus La Rochelle. Kriminalbeamte und die Vertreter der Staatsanwaltschaft.

      »Wenn das Leben dieser Person, die unschuldig ist …«

      Anna hatte die Tür geöffnet.

      Die Herren traten sich die Schuhe auf der Strohmatte ab.

      Der kleine Doktor legte lieber auf.

      »Guten Tag, Herr Assessor.«

      »Guten Tag, Doktor … Man sagt mir … Aber Sie waren doch gerade am Telefon …«

      »Ach, nur ein Patient … Treten Sie bitte ein. Anna, bringen Sie den Herren einen Armagnac …«

      Es blieb ihm nicht verborgen, dass der Bürgermeister ihm einen seltsamen Blick zuwarf.

      II Der Kommissar mag keine Ironie

      Meine Meinung, Herr Assessor, wenn ich mir erlauben darf, sie Ihnen auseinanderzusetzen, ist die folgende …«

      Der Kommissar verstummte, blickte ins Leere, als verfolgte er den Flug einer Fliege. Aber es war keine Fliege, die er in der heißen Luft betrachtete, sondern das Gesicht des kleinen Doktors und vor allem dessen freudig funkelnde Augen.

      »Nur zu. Ich bin ganz Ohr, Herr Kommissar.«

      »Entschuldigen Sie, aber ich frage mich, ob für manche Ohren …«

      Der Assessor hatte verstanden. Es war nicht das erste Mal, seit man am Tatort war, dass der Kommissar, bestimmt ein braver Mann, aber einer von der feierlichen, anstrengenden Sorte, auf die Anwesenheit des kleinen Doktors anspielte.

      Der Assessor und der Arzt kannten sich, weil sie öfter zusammen Bridge spielten. Sie waren beide noch jung. Und doch, auch der Staatsanwalt war ein wenig erstaunt über Dollents Gebaren.

      Etwa zehn Mann waren in der Maison-Basse und im Garten. Der Gendarm von Esnandes, der neben der grüngestrichenen Gartentür stand, hinderte die Neugierigen daran, hereinzukommen, was ihn keine Mühe kostete, denn es waren kaum mehr als die mit der Untersuchung betrauten Herren. Es war sehr heiß. Nirgends auch nur ein bisschen Schatten; alle bewegten sich wie in Zeitlupe.

      Bis auf den kleinen Doktor, den man noch nie so lebhaft erlebt hatte.

      »Ich sagte also, Herr Assessor … Sobald wir die Identität des Opfers kennen, werden wir …«

      Dollent beherrschte sich. Auch wenn es schwer war. Zu gern hätte er gesagt:

      »Denkste!«

      Sie taten sich alle schwer, der eine wie der andere. Sie verstanden nichts und würden nie etwas verstehen.

      Es war das erste Mal, dass er Zeuge einer solchen Untersuchung wurde. Er mochte keine Kriminalromane und las auch nicht die Berichte über Verbrechen in der Zeitung.

      Und nun plötzlich hatte er so etwas wie eine Erleuchtung. Alle um ihn herum tappten im Dunkeln, und er hätte ihnen am liebsten ins Gesicht gelacht und zum Beispiel dem dicken Inspektor, der unter der Couch nach Fingerabdrücken suchte, gesagt:

      »Seien Sie nicht kindisch, Inspektor. In Ihrem Alter, noch dazu als Familienvater, kriecht man doch nicht auf dem Boden herum …«

      Gewiss, er hatte selber noch nichts gefunden, aber er war sicher, dass er die Lösung des Geheimnisses finden würde. Er grübelte unentwegt, stellte alle möglichen Überlegungen an.

      »Wenn dieser Mann, dieser Drouin, mich ein erstes Mal angerufen hat … Wenn er mich ein zweites Mal aus Rochefort angerufen hat …«

      Schon amüsant, von lauter Fachleuten umgeben zu sein und sich zu sagen:

      »Ich allein weiß, wo der Mann, den sie unbedingt fassen wollen, in diesem Augenblick ist!«

      Denn er hatte Drouin zu verstehen gegeben, dass seine Personenbeschreibung überallhin gemeldet worden war. Folglich würde der sich nicht vom Fleck rühren. Er war nicht so dumm, sich auf dem Bahnhof oder an einer Bushaltestelle schnappen zu lassen. Er würde wohl auch nicht in einem Hotel absteigen, und der kleine Doktor malte sich aus, wie Drouin durch die heißen Straßen von Rochefort irrte, sich ins kühle Dunkel kleiner Bistros schlich und darauf wartete, dass es dämmerte.

      »Meiner Meinung nach«, verkündete der Assessor, »haben wir es hier mit einem Eifersuchtsverbrechen zu tun. Zwei Männer und eine Frau. Die uralte Geschichte von den beiden Hähnen und der Henne. Vermutlich lebten sie alle drei hier, aber das Opfer hatte sich wohl versteckt? Haben Sie sein Foto über Bildfunk nach Paris geschickt, Kommissar?«

      »Wir werden noch heute Abend erfahren, wer es ist.«

      Zum Glück hatte der kleine Doktor keine vollständige Autopsie vornehmen müssen, bei dieser Hitze wäre das nicht angenehm gewesen. Man hatte den Mann ausgezogen – ein ungewöhnlich kräftiger Mann, der am linken Unterarm eine Tätowierung hatte: eine barbusige Frau.

      Die interessanteste Feststellung war, dass der Tod am Abend zuvor zwischen zehn und zwölf Uhr eingetreten war. Ein Messerstich mitten ins Herz hatte den Unbekannten getötet, aber vorher war er noch mit den Fäusten bearbeitet worden.

      Das ließ vermuten, dass der Mann nicht überrumpelt worden war. Soweit man das beurteilen konnte, hatte es einen Kampf gegeben. Die Gegner hatten zunächst mit nackten Fäusten gekämpft. Dann hatte einer von ihnen ein Messer ergriffen.

      Die Szene hatte sich in der Küche abgespielt, denn im Schlafzimmer hätte sie Spuren hinterlassen. Außerdem hatte man zwischen den kleinen roten Fliesen winzige Glassplitter gefunden.

      Drouin hatte also, ehe er ging, nicht nur die Leiche begraben, sondern auch sorgfältig aufgeräumt. Dann dieser Anruf! Man musste immer wieder darauf zurückkommen.

      Es ist nicht gerade üblich, wenn man jemanden getötet und begraben hat, einen Arzt zu rufen.

      »Nun, Herr Bürgermeister, Sie wissen absolut nichts über die Bewohner dieses Hauses? Sie kennen Ihre Gemeindekinder also nicht?«

      »Was soll ich dazu sagen? Mit dem Papierkram befasst sich der Lehrer, ich unterschreibe nur. Der Mann hat sich unter dem Namen Drouin angemeldet, während die Frau sich gar nicht angemeldet hat. Ich habe angenommen, sie seien nicht verheiratet, und habe deshalb nicht darauf bestanden. Solche Sachen gehen uns nichts an.«

      Die Augen des kleinen Doktors funkelten immer noch. Er wusste, so einfach war es nun auch wieder nicht. Und genauso verbissen, wie er beim Bridge war, stellte er weiter Überlegungen an, und sobald er wieder am toten Punkt angelangt war, begann er von vorn.

      Er sah Drouin vor sich mit seiner grauen Hose, dem gelben Pullover, dem kurzen Bart des surrealistischen Malers. Und im Haus mit der Pfeife, denn er rauchte Pfeife, und da er groß war, musste er sich bücken, wenn er durch die niedrige Tür ging.

      Die junge Frau war immer nur halb angezogen, und ihr sonnengebräunter Körper glich einer saftigen Frucht.

      Er ertappte sich dabei, wie er vor sich hin murmelte:

      »Gut, gut!«

      Er versuchte sich ihr Leben vorzustellen, wie sie sich hier im Haus bewegten, und es schien ihm, sobald ihm das gelänge, würde er alles verstehen.

      »Sie waren nur zu zweit … Das steht fest … Auch wenn der Assessor von einer Ehe zu dritt faselt … Die Atmosphäre im Haus war die Atmosphäre eines Ehepaars mitten in den Flitterwochen, das an nichts anderes denkt als an Liebe.

      Sie war nicht der Typ Frau, die sich von einem tätowierten Kerl wie dem, dessen Leiche unter einem Laken auf dem Tisch lag, umarmen lässt.«

      Dollent zuckte zusammen. Eine Stimme, die eines Polizisten, sagte:

      »Das hier habe ich gerade gefunden, Herr Kommissar …«

      Fast hätte der Arzt es ihm entrissen. Es war eine winzige Tüte mit einem weißen Pulver darin. Schon hatte der Arzt seinen Finger mit Spucke befeuchtet, ihn in das Pulver


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