Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Читать онлайн книгу.beunruhigt.
»Um keinen Preis, ehe Sie mir nicht Ihre Hände gegeben haben! So, so ist es recht, und nun genug, nun stehe ich auf, und wir wollen weitergehen! Ich bin ein unglücklicher Tölpel, ich bin Ihrer unwürdig, und ich bin betrunken und schäme mich … Sie zu lieben, bin ich nicht würdig; aber vor Ihnen die Knie zu beugen, das ist die Pflicht eines jeden, der nicht geradezu ein Stück Vieh ist! Und darum habe ich vor Ihnen die Knie gebeugt … Da ist auch Ihr Hotel garni, und schon aus diesem Grunde allein war Rodja durchaus im Rechte, als er heute Ihren Pjotr Petrowitsch hinauswarf! Wie konnte der Mensch es wagen, Sie in einem solchen Hause unterzubringen! Das ist ja ein Skandal! Wissen Sie wohl, an was für Personen da Zimmer abgegeben werden? Und Sie sind doch seine Braut! Sie sind doch seine Braut, nicht wahr? Na, dann sage ich Ihnen also, daß Ihr Bräutigam, wenn er so handelt, ein Schuft ist!«
»Erlauben Sie, Herr Rasumichin, Sie vergessen …«, begann Pulcheria Alexandrowna.
»,Ja, ja, Sie haben ganz recht, ich habe mich vergessen, ich schäme mich!« rief Rasumichin, seine Übereilung erkennend. »Aber … aber … Sie können mir nicht böse deswegen sein, weil ich so rede! Denn ich rede so, weil ich es wirklich so meine, und nicht etwa, weil … hm, das wäre ja gemein; mit einem Worte: nicht etwa, weil ich in Sie … hm! … na, lassen wir das; ich darf nicht; ich will nicht sagen, warum; ich wage es nicht! … Aber wir hatten heute, als er zu Rodja kam, alle das Gefühl, daß dieser Mensch nicht in unsern Kreis paßt. Nicht weil er sich das Haar vom Friseur hatte kräuseln lassen, nicht weil er es so eilig hatte, seinen Verstand zur Schau zu stellen, sondern weil er ein Aushorcher und Spekulant ist, ein Gauner; und das liegt auf der Hand. Meinen Sie, daß er klug ist? Nein, ein Dummkopf ist er, ein Dummkopf! Na, ist das etwa ein Mann für Sie? Ach, du mein Gott! Sehen Sie, meine Damen« (er blieb plötzlich auf der Treppe zu dem Hotel garni, die sie schon hinaufgingen, stehen), »wenn die Leute da in meiner Wohnung auch alle betrunken sind, aber ehrenhaft sind sie alle; und wenn wir auch Unsinn reden (denn ich rede auch Unsinn), so werden wir durch unser Unsinnreden schließlich doch zur Wahrheit hindurchdringen, weil wir auf einem anständigen Wege gehen; aber Pjotr Petrowitsch … der geht nicht auf einem anständigen Wege. Und obwohl ich eben gehörig auf sie geschimpft habe, so habe ich doch vor ihnen allen Achtung; und sogar was diesen Sametow betrifft, Achtung habe ich allerdings nicht vor ihm, aber ich habe ihn ganz gern, denn er ist noch wie ein junger Hund! Sogar vor diesem Vieh, dem Sossimow, habe ich Achtung, weil er ein ehrenhafter Mensch ist und seine Sache versteht. Aber genug, nun habe ich mir alles vom Herzen gesprochen, und ich hoffe, Sie haben mir nichts übelgenommen. Haben Sie mir auch nichts übelgenommen? Wirklich nicht? Nun, dann kommen Sie! Ich kenne diesen Korridor; ich bin schon mal hier gewesen; hier in Nummer drei war eine arge Skandalgeschichte … Nun, wo ist Ihr Zimmer? Was haben Sie für eine Nummer? Acht? Na, dann schließen Sie nur für die Nacht zu, und lassen Sie niemand herein. In einer Viertelstunde komme ich wieder und bringe Bericht, und dann wieder nach einer halben Stunde komme ich mit Sossimow, Sie werden sehen! Nun adieu! Ich werde mich beeilen!«
»Mein Gott, Dunjetschka, was wird aus all dem noch werden?« sagte Pulcheria Alexandrowna voll Angst und Unruhe zu ihrer Tochter.
»Beruhigen Sie sich, liebe Mama«, antwortete Dunja, während sie Hut und Mantille ablegte. »Diesen Herrn hat uns Gott selbst gesandt, obwohl er geradeswegs von einer Zecherei kommt. Man kann sich auf ihn verlassen; das ist meine feste Überzeugung. Und was er alles schon für Rodja getan hat …«
»Ach, Dunjetschka, Gott weiß, ob er wieder herkommen wird! Wie habe ich es nur fertigbringen können, Rodja allein zu lassen! … Daß ich ihn so wiederfinden würde, habe ich mir ja nicht träumen lassen! Wie finster er war, gerade als ob er sich über unsre Ankunft gar nicht freute …«
Die Tränen kamen ihr in die Augen.
»Nein, das ist nicht richtig, liebe Mama; Sie haben ihn nur nicht ordentlich sehen können; Sie haben ja immerzu geweint. Die schwere Krankheit hat ihn zu sehr heruntergebracht; das ist der ganze Grund.«
»Ach, diese Krankheit! Was nur daraus noch werden soll! Und wie er mit dir gesprochen hat, Dunja!« sagte die Mutter und blickte dabei ihrer Tochter schüchtern ins Gesicht, um ihre Gedanken dort abzulesen; indes war sie dadurch, daß Dunja soeben ihren Bruder in Schutz genommen hatte, schon halb getröstet; denn danach zu urteilen, mußte sie ihm doch verziehen haben. »Ich bin überzeugt, daß er morgen anders darüber denken wird«, fügte sie hinzu, um die Tochter vollends auszuforschen.
»Ich meinerseits bin überzeugt, daß er morgen ganz ebenso darüber reden wird«, erwiderte Awdotja Romanowna.
Hiermit schloß dieses Gespräch, weil das ein Punkt war, vor dessen näherer Erörterung der Mutter jetzt gar zu bange war. Dunja trat zu ihr hin und küßte sie. Diese schlang, ohne weiter ein Wort zu sagen, ihre Arme innig um die Tochter. Dann setzte sie sich hin, wartete unruhig auf Rasumichins Rückkehr und verfolgte schüchtern mit den Augen die Tochter, die, gleichfalls wartend, die Arme über der Brust verschränkt, tief in Gedanken versunken im Zimmer auf und ab ging. Dieses nachdenkliche Hin-und Hergehen von einer Ecke nach der ändern war schon von jeher Dunjas Gewohnheit gewesen, und die Mutter scheute dann immer, sie in ihren Überlegungen zu stören.
Rasumichin machte ja natürlich eine komische Figur mit seiner so plötzlich in der Trunkenheit entbrannten Leidenschaft für Awdotja Romanowna; aber wer sie ansah, namentlich jetzt, wo sie mit verschränkten Armen traurig und nachdenklich im Zimmer auf und ab ging, der konnte seinen Affekt, auch abgesehen von seinem exaltierten Zustande, recht wohl entschuldbar finden. Awdotja Romanowna war eine außerordentlich schöne Erscheinung, von hohem Wuchs und wundervoller Figur, kräftig und selbstbewußt, was in jeder ihrer Bewegungen zum Ausdruck kam, ohne jedoch der Weichheit und Anmut derselben im geringsten abträglich zu sein. Im Gesicht hatte sie mit ihrem Bruder Ähnlichkeit; aber man konnte sie geradezu eine Schönheit nennen. Ihr Haar war dunkelblond, etwas heller als das des Bruders; die Augen waren fast schwarz, glänzend, stolzblickend, hatten aber dabei doch zeitweilig etwas überaus Freundliches. Sie war blaß, aber diese Blässe hatte nichts Kränkliches; ihr Gesicht strahlte vielmehr von Frische und Gesundheit. Ihr Mund war etwas klein; die frische, rote Unterlippe stand ein ganz klein wenig zu weit vor, ebenso wie das Kinn – die einzige Unregelmäßigkeit in diesem schönen Gesichte, die ihm aber den Ausdruck besonderer Charakterfestigkeit, ja sogar einen Anschein von Hochmut verlieh. Ihre Mienen waren gewöhnlich mehr nachdenklich und ernst als heiter; aber wie schön stand dafür auch diesem Gesichte ein gelegentliches Lächeln, ein frohes, jugendliches, sorgloses Lachen! Kein Wunder, daß der feurige, offenherzige, schlichte, ehrliche, hünenhafte und betrunkene Rasumichin, der noch nie etwas Ähnliches gesehen hatte, gleich beim ersten Blicke den Kopf verlor. Dazu kam noch, daß ihm der Zufall wie mit besondrer Absicht Awdotja Romanowna zuerst in dem schönen Augenblicke zeigte, da sie von der Liebe zum Bruder und von der Freude über das Wiedersehen mit ihm verklärt war. Später sah er dann, wie bei den herrischen, schroffen Forderungen des Bruders ihre Unterlippe vor Unwillen bebte – und er konnte nicht widerstehen.
Er hatte übrigens die Wahrheit gesagt, als er vorher in seiner Betrunkenheit auf der Treppe damit herausgeplatzt war, daß Raskolnikows überspannte Wirtin, Praskowja Pawlowna, nicht nur auf Awdotja Romanowna, sondern womöglich auch auf Pulcheria Alexandrowna eifersüchtig werden würde, in der Besorgnis, eine von ihnen könne ihr den neuen Verehrer abspenstig machen. Obwohl Pulcheria Alexandrowna bereits dreiundvierzig Jahre alt war, hatte ihr Gesicht immer noch Spuren ihrer früheren Schönheit bewahrt, und außerdem schien sie weit jünger, als sie wirklich war, wie das der Regel nach bei Frauen der Fall ist, die sich die Heiterkeit der Seele, die Frische der Empfindung und die ehrliche, reine Wärme des Herzens bis ins Alter hinein bewahren. Wir wollen in Parenthese bemerken, daß die Erhaltung all dieser seelischen Eigenschaften eben das einzige Mittel ist, um sich die Schönheit sogar bis ins Alter hinüberzuretten. Ihr Haar fing bereits an zu ergrauen und dünner zu werden; kleine, strahlenförmige Fältchen hatten sich schon längst um die Augen herum gebildet; die Wangen waren infolge von Sorgen und Kummer eingesunken und zusammengetrocknet; aber trotz alledem war dieses Gesicht schön. Es war ein Ebenbild von Awdotja Romanownas Gesicht, nur zwanzig Jahre älter und ohne das Charakteristische der Unterlippe, die bei der Mutter nicht so hervorstand. Pulcheria Alexandrowna war feinfühlend, aber nicht bis zur Süßlichkeit; sie war schüchtern und nachgiebig, aber nur bis zu einer bestimmten Grenze: sie konnte