Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

Читать онлайн книгу.

Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes


Скачать книгу
hatten, wurde nun sein Grundgedanke klar, dass eines Jeden Pflichten und Tugenden durch die Forderungen bestimmt werden, die in seiner Natur liegen. Sie fanden den Gedanken haarsträubend oder stellten sich so.

      Und doch ist dieser Gedanke so einfach, so ganz danach angethan, Billigung zu finden.

      Es war für den heiligen Franciscus keine Pflicht, ein Denker zu sein.

      Es wäre kein Gewinn gewesen, wenn Raffael ein ehrbares Leben geführt hätte.

      Es war für Goethe eine Pflicht, der Rücksicht auf seine Kunst jede andere zu opfern.

      Mit anderen Worten: Die das Gesetz übertretende Unregelmässigkeit des Künstlers kann höhere Moral sein. Die selbstsüchtige Bedachtnahme des Genies, Alles, was nur in seiner Macht liegt, auszurichten, kann höchste Pflicht sein. Die sittliche Ueberlegenheit des Heiligen ist in ihrer Art Genie.

      Ausschlaggebend ist nur, dass ein Franciscus, ein Raffael, ein Goethe hervorgebracht werden. Der grosse Mensch ist vorläufig das Ziel der Natur und des Menschenlebens, weil durch die grossen Menschen Existenz und Herrschaft des höchsten Wesens, das, was man in alten Tagen „das Reich Gottes“ nannte, vorbereitet wird. Wenn dereinst die wissenschaftliche Allmacht in den Händen guter und gerechter Wesen vereinigt sein wird, dann endlich wird Gott allmächtig und allgütig geworden sein.

      Bis dahin müssen die Menschen sich gleichsam in einer Hierarchie fühlen. Der geringere Geist muss das Leben des höheren mitleben. Wie die Gefährten Alexanders des Grossen von Alexander lebten, so muss die grosse Menge stets durch Stellvertreter denken und zum Theil auch geniessen. Sie ist darum nicht unglücklich. Eine Stufenleiter ist es. Der höhere Geist lebt das Leben der höchsten Geister.

       Inhaltsverzeichnis

      Renan ist kein wirklicher Dramatiker und hat sich auch nie dafür ausgegeben. Seinen Schauspielen fehlt knappe, geschlossene Form, seinem Dialoge Kraft, seinen Personen in der Regel Leben. Seine Frauengestalten: Imperia, Brunissende, Carmenta, die Aebtissin, sind indess interessante Grundrisse (die Courtisane — die Sibylle — die stolze, edle Weltdame). Nur eine Gestalt hat er jedoch, als der Lyriker, der er ist, mit Sorgfalt und Liebe ausgeführt, seine eigene, die Prospero-Figur, die in drei verschiedenen Schauspielen wiederkehrt, den Seher, den höheren Menschen, in dem die Zukunft keimt und reift.

      Renan's „Caliban“ erinnert ein wenig an „Die gottlose Comödie“ des polnischen Dichters Krasinski, in welcher die plumpe Demokratie in ähnlicher Weise personificirt ist. Der Geist aber, der in jener Dichtung herrscht, ist veraltet, ist der eines halb gläubigen, halb zweifelnden Katholicismus.

      Vergleicht man Renan's Schauspiel mit dem Shakespeare's, das er nach einem Zeitraume von dreihundert Jahren fortzusetzen versuchte, so sieht man bei dem Vergleiche recht deutlich, wie gross die Ueberlegenheit der Renaissance in künstlerischer, die unseres Zeitalters in wissenschaftlicher Beziehung ist. Renan's Gestalten sind Schatten gegen die Shakespeare's; Shakespeare's Ideen aber sind naiv gegen die Renan's.

      Stellt man endlich im Geiste einen Augenblick wirklich moderne Schauspiele wie die von Ibsen denen von Renan gegenüber, so ist der Gegensatz nicht allein wiederum der zwischen eigentlichen Dichterwerken und einfach Ideen entwickelnden Dialogen, sondern jener zwischen einer bis zur Spitzfindigkeit scharfsinnigen Seelenkunde und der Fähigkeit zu grossen Ausblicken über die Vergangenheit und Zukunft der Menschheit. Der psychologischen Einsicht Ibsen's entspricht bei Renan die weltüberschauende Uebersicht. Beide sehen sie schwarz, ohne deshalb Pessimisten genannt werden zu wollen oder mit Recht genannt werden zu können.

      Bei Ibsen ist die Technik die eines Meisters; bei Renan kann kaum von etwas wie Technik die Rede sein, so nachlässig ist das rein Dramatische behandelt. Dafür aber auch wieder kein Einprägen eines Charakterzuges, nie das Gehämmer auf eine und dieselbe Wendung („die compacte Majorität“, das „Spannende“), zu welchem sich derjenige genöthigt sieht, der für ein Theater-Publikum schreibt. Bedarf dieses doch immer einer groben Deutlichkeit um zu verstehen.

      Es ist in diesen Schauspielen wie überhaupt bei Renan der Stil ein vollendeter, zugleich melodisch und von Rhetorik chemisch rein. Hier sind alle Gedanken leicht hingeworfen, wie man Seifenblasen aus einer thönernen Pfeife bläst und sich damit vergnügt, die Sonne auf ihrer leichten Kugel- und Erdballform spielen zu sehen.

      Nichts ist hier massiv, Alles wie im Gespräche von einem geistvollen Manne dargelegt, der mancherlei ernst, mehrerlei noch im Scherz zu sagen versteht, es ebenso versteht, sich selbst so entgegenzutreten, dass der Zuhörer sich dieser Mühe ganz und gar überhoben sieht. Hier ist nichts dogmatisch, nichts vierschrötig. Nirgends ein Keulenschlag nach dem Falter Wahrheit.

      Alles löst sich in feine Uebergänge und Abschattungen auf. Kurz, eine flüchtige und vornehme Kunst dies, Phantasmagorien einer überaus feinen Laterna magica — die lang die Menschheit erfreute, nun aber für immer erloschen ist.

      Конец ознакомительного фрагмента.

      Текст предоставлен ООО «ЛитРес».

      Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.

      Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.

/9j/4AAQSkZJRgABAQAAAQABAAD/2wBDAAMCAgMCAgMDAwMEAwMEBQgFBQQEBQoHBwYIDAoMDAsK CwsNDhIQDQ4RDgsLEBYQERMUFRUVDA8XGBYUGBIUFRT/2wBDAQMEBAUEBQkFBQkUDQsNFBQUFBQU FBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBQUFBT/wAARCAWgA4QDASIA AhEBAxEB/8QAHgAAAQMFAQEAAAAAAAAAAAAABwYFCAQDCQIAAQr/xABgEAABAwIEBAQEBAQCCAMB Ah8BAgMEEQUGACESBzFBE1EIImEUcYEyCRWRI6FCUhaxwdFiM/AkF+FyooKS8UMlk1M0g7KzcyZj wtN0oxg2OFUZNVR2lMPSJ0RldYWVtP/EABsBAAIDAQEBAAAAAAAAAAAAAAQDAgEFAAYH/8QAOxEA AQMCBAQDBwQCAwADAAMBAQIAEQMhMRJBUSIyBBNh8KFCcYEjkcEzseEU0VIFYvFDJFMVgqJjkv/a AAwDAQACEQMRAD8AxlQ19hYWOmXldwVLjsgrqAKlI8csafUig0zW207Fp7gGyutRlCgDxN6CRYOi nA900Fc20tGg0pmuntpTJUUkFJOlM09do118MsGDWcXqpIS3t6nPNJ1I8M6uEjnqc3WvsUT92bdO kLZ7ijzzxTUUpU5uobW4uiBr45UsfDrDcAPIeEiQk1cQn+VPjTrmKlBLmmmV4Nkh2GQppEh5G1pZ oDz18MrjBs+JZkvpkOIaboClShU160y2W68R7S6530d5lSKFkioJ6H6ZYrpczOkuONoDTaj6UJFA BkdQNSUnBmIKaMLTjs1BfsSKn3hQYfUWEkBvaaCnjlU/HPOYTLrqx8UWztCzqodDTI9ww9HZu7Kp IBarruTuy8X3uOyn3TVaVqJQscinpTKl0xISNG5FYwahvOjTq1lSiok7q1rneS8lbSaEbj91M3ZD jC2dAO9QVIGmaJWumShdiE5ZE4vVB2qBBzs+UqX6ftzz2zTYCNNa50HPXl1zPxcCY4XciqAcAUaJ PPNUt7e+aGqRomnhmiJ9WnLLha3I7bpMhIUnpUVz0XlqUTg1CzO3YdeS46nvAEICleoj/euUSsVJ HPXLy56lL5UNafLLU6AFEJruy43Dg7NM8M8kEnTnngDQ5i6fh8ckrgcp5d6lsI1aWySseFCKHI1I JScrXh9HuUqHJbtfcU+FguoYVRZT0PjSuYLuHNFjLMN6Vd7IIwtMMSUuOHukp3U5UHPQHXXLhfi6 i0zltJq6llRSkf1UzW2ViYzaIbdwO6YEfuGtTX396Uyhsawr89fiuIp74MJSUKbVRCdPVuGRCBgz J1YVnLUpRUokqJJJPOubSndzKQDr1y8YmXFW852Npc3mqkjQ5YU8skpuJYyrGHcaJDiaGmagHa7s SqqeembCigbCgHlrm/bnGjOQp4ftV9Qp0zLxcPBu2GJIZlPBxxKGthPqNNcuD1ylNtLQ2+ttihKe 2qgV4/PKeq2ZDhb0b6ZXGB3WI9huPxa2kIX/ALJLpFSaa0r9Mj1oSM0SyaPFwzDJ3C9xx3BcEuii zWtR7nKuS4930o7Sfh+3Xu79d1ft2/LWuRdh2LiFxq0OW50ptw27wFgJ+71bh10yVx9iaZUnCWw4 w6Nw0WcstjuFzkNzFXaK3CS24QhQVoUeJ1/jm/ERdEXi4KlusrgKI+GQgepPjXKa4rtTncLn4MLU 2lyr6UcymmhPtX/LPAXh2TAljri5jIXy6IhRHt8FhP8AIqoUrqcsuCLQmYuZJedSyww0VblqpVVa AfPLJHtch5Sldhakj7lbdP1z6hMlhaUEKQ10BGmSyAEwGLJKsxblc3XviylxRCU/ZQ6U8RlUWyUF YcQt1STIKiE7jqodPnlkgqjtJT8bt2nVsLFdOp+WaKclxS1kgqKlekjkR0pkcieFnhRRx4y7YmSP iu73F96vj18KZKE+W61hTeyf+ISitBzT46frlGR5EYNpQpTXx/bpuI13U8fHNuyszGprK9rjYSqr q1ggBPWpytQzXwhsBNMRMz6fu6iwXCZImrbW4t5opKlbjWh8cm22GSxhYritB+UGyW21GgUfCuRT c5Tcu2yEW1xtT2hIaICjrrlb8
Скачать книгу