Der Klosterjaeger. Ludwig Ganghofer

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Der Klosterjaeger - Ludwig  Ganghofer


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Apotheke; die gerippten Hörner, die Hornschalen der Läufe, das getrocknete Blut, das im Volksmund ‚Schweißbluh‘ genannt wurde, und besonders die ‚Herzkhreizl‘, jene kleinen knochenähnlichen Gebilde, die im Herzen des erlegten Tieres gefunden werden, alles an ihm ist wunderbare, heilsam wirkende Arznei, die von Herren und Bauern mit teurem Gelde bezahlt wird. Wohl standen schwere Strafen auf der Erlegung solch eines Wildes: Kerker und Peitsche, Verlust der rechten Hand, sogar der Tod — doch der hohe Gewinn verlockte zum Raub, und so kam es, daß Haymo schon in der ersten Woche seiner Hegezeit den Abgang zweier Steinböcke vermerken mußte. Als unwiderlegbare Zeugen des geschehenen Raubes hatte er im Schnee die Schweißfährten der erlegten Tiere und die Fußspuren des Räubers gefunden, die sich im tieferen, schneefreien Bergwald verloren. Als zu Ende der Woche ein Laufbube des Klosters dem Jäger frischen Mundvorrat gebracht hatte, schickte Haymo mit dem Buben diese schlimme Nachricht hinunter ins Tal, in banger Sorge, wie Propst Heinrich, der an seinem Weidgehege und besonders an dem edlen Steinwild eine ritterliche Freude hatte, diese Botschaft aufnehmen würde.

      Und die ganze folgende Woche gönnte Haymo sich keine Ruhe mehr, in der Nacht kaum einen kurzen Schlaf, und es war ihm nicht zu verdenken, daß ein zornflammendes Wort von seinen Lippen fuhr, so oft er in seinem öden Bergrevier die Fährte eines menschlichen Fußes spürte. Nur eine Gesundheit, so eisern wie die seine, konnte diese aufreibenden Strapazen überdauern. Wenn er nach tagelangem Marsche heimkehrte in seine Blockhütte, lag ihm die bleierne Müdigkeit in allen Gliedern; er brauchte sich nur auf sein Lager zu werfen, und es fiel über seine jungen Augen ein traumloser, fester Schlaf, der ihn erquickte, obwohl er nur wenige Stunden währte.

      Haymo hatte sich, um in diesem schweren Schlummer das erste Grau des Morgens nicht zu verschlafen, einen Wecker erfunden. Er band sich mit einer Lederschnur einen schweren Stein an den Arm und legte, wenn er sich auf die Wolfsdecke streckte, dieses Steinstück so lose auf die Holzkante seines Lagers, daß es bei der leisesten Erschütterung zu Boden fiel. So oft dann Haymo im Schlummer sich bewegte, weckte ihn der fallende Stein. Lag in der Hütte, wenn er erwachte, noch die finstere Nacht, dann richtete Haymo den Wecker wieder und schlummerte weiter. Doch wenn er sah, daß draußen vor dem kleinen Fenster die Sterne zu erblassen begannen, sprang er auf, wusch sich am rinnenden Quell, dessen eiskaltes Wasser vor der Hütte gurgelte, nahm sein karges Frühmahl ein und wanderte hinaus in den vom Föhn durchschütterten Frühlingsmorgen.

      Noch waren die Nächte kalt, und es währte immer eine Weile, bis Haymo das Frösteln aus seinen Gliedern brachte. Der rasche Gang auf beschwerlichem Wege machte sein Blut lebendig, frische Röte färbte wieder seine jungen Wangen, und seine Augen blitzten hell wie Wasser, in das die Sonne scheint.

      Je wilder ihn die Frühlingsstürme umrauschten, desto freier und wohler wurde ihm zu Mut. Und wenn sich der Morgen, an dem er das zu Holze ziehende Wild nicht stören und scheuchen durfte, zum vollen Tage wandelte, sang der Jäger, um der in seinem Innern treibenden Lebenskraft einen Ausweg zu schaffen, mit hallender Stimme ein Lied in den Frühlingsbraus und der steigenden Sonne entgegen, die mit ihrem funkelnden Gold die schneebedeckten Kuppen der Berge überschmolz. Doch wenn die Sorge, die ihn seit Tagen bedrückte, wieder sein Herz beschlich, wurde er schweigsam, stieg lautlos empor von Höhe zu Höhe und schickte die spähenden Augen in die Runde.

      Da hatte er nun wieder einen schweren Tag hinter sich. Auf dem Heimweg zur Hütte begann er die Ermüdung hart zu spüren; in diesem tobenden Sturm, in diesem Schnee und rinnenden Gewässer war es kein Marsch zu nennen, den er gemacht, vielmehr ein Kampf um jeden Schritt. Wohl dämmerte schon der Abend, aber solange noch ein Schimmer von Licht über den Halden schwebte, durfte er nicht an die Heimkehr in seine Hütte denken. Auf hoher Bergrippe wollte er den Anbruch der Nacht erwarten.

      Als er die Höhe betrat, winkte ihm, scharf abgehoben vom rotglühenden Abendhimmel, ein mächtiges Kreuz entgegen; ein Dächlein war darüber gespannt, in den Querhölzern staken die Nägel, aber das Bild des gekreuzigten Erlösers fehlte; die frommen Almbauern hatten es im Herbste vom Kreuz genommen, damit es nicht leiden möchte von der Unbill des Winters, von Schneedruck und Lawinen.

      Haymo zog die Kappe und sprach ein Gebet. Dann ließ er sich zu Füßen des Kreuzes nieder, lehnte sich an den Stamm, verschlang die Hände hinter dem Nacken und blickte still umher mit müden Augen, die sich schon dem Schlummer entgegensehnten. In kurzen Stößen, bald sich dämpfend, bald wieder aufbrausend mit verstärkter Macht, sauste der Föhn über ihn weg.

      Gegen die steilen Felswände zog sich ein mehr als hundertjähriger, von Stürmen und Lawinen stark gelichteter Lärchenwald empor, dem die Nähe des Kreuzes seinen Namen gegeben; er hieß der ‚Kreuzwald‘. An manchem Morgen war Haymo schon zu diesem Wald hinaufgestiegen, um den ersten Balzruf des Auerhahns zu erlauschen. Aber der stolze, einsiedlerische Vogel, dieser gefiederte Liebessänger der Berge, mochte den Frühlingsmorgen noch zu frostig finden, um den Sang seiner heißen Liebe zu beginnen. Zur Linken der Kreuzhöhe breitete sich das weite Felstal, an dessen jenseitiger Grenze, von einzeln stehenden Fichten überschattet, die Blockhütte des Jägers stand und daneben das größere Balkenhaus, in welchem Herr Heinrich und der Klostervogt zu nächtigen pflegten, wenn sie pirschen kamen. Und diesem Tal zu Füßen dehnte sich der mächtige Bergwald, der das vom Schnee schon völlig entblößte Almenland umschloß und sich niedersenkte in die Tiefe, in welcher der See gebettet lag.

      Haymo konnte den See nicht gewahren, auch nicht das weite Klosterland im Tal. Die tiefer liegenden Bergrücken wehrten seinem Auge den Niederblick. Aber ringsumher in weiter Runde bot sich ihm ein Bild von wundervoller Schönheit. Übergossen von der roten Glut der sinkenden Sonne, ragten die gewaltigen Schneeberge empor über das dunkle Meer der Wälder: dem Jäger zur Linken die wilden Tauern, die beiden Riesenzacken des Wazmann und die Schrofen der Wazmann-Kinder, zur Rechten der stolze, unwegsame Göhl, und in der Ferne, von bläulichem Schattenduft umwoben, stiegen die scharfgezahnten Lattenwände und die plumpen Massen des Untersberges in den golddurchleuchteten Abendhimmel. Wenn auch der Föhn mit Brausen alle Lüfte füllte, so trübte doch kein Wölklein den frühlingsklaren Himmel; um die Zinnen der Berge flatterte keine Nebelflocke, und ohne Dunst und Schleier lag das tiefere Geländ.

      Unter langen Atemzügen hob sich Haymos Brust; bei dem stillen Schauen, mitten in Sturm und Wehen, befiel es ihn wie träumender Halbschlummer. Dann jäh erwachte er und fuhr betroffen auf, beinahe berührt von abergläubischem Schreck.

      Ein junges Mädchen stand vor ihm, mit großen, staunenden Augen.

      Er hatte den Hall ihres Schrittes nicht vernommen, hatte sie nicht emportauchen sehen über den Rand der Höhe. Sie stand vor ihm wie aus den Lüften getreten. In ihrem zarten Wuchs, mit dem blassen, fein geschnittenen Gesicht und mit den tiefen Rätselaugen, umflattert von den schwarzen Strähnen des gelösten Haars, und in dem dünnen roten Rock, den der Sturmwind peitschte, war sie einer jener Elfen zu vergleichen, die in den Tiefen der Berge hausen und zuweilen an das Licht der Erde steigen, um ein Menschenkind zu beglücken mit ihren Gaben.

      Und sie trug auch ein Körbchen in der kleinen Hand. Was es wohl bergen mochte? Funkelndes Geschmeide, Perlen, edle Steine?

      Haymo fühlte, wie ein leiser Schauer ihn durchrann. Nun aber mußte er lächeln. Denn des Mädchens plumpe Schuhe und die ärmlichen Lappen des Gewandes hatten wenig Elfenhaftes. Haymo erhob sich. „Dirn? Was willst du hier?“

      Sie schwieg und betrachtete ihn noch immer mit einem halb scheuen, halb traulichen Blick.

      „Dirn! Woher kommst du?“

      „Von dort!“ sagte sie mit einer leisen, weichen Stimme und deutete nach der steilen Schneehalde, die sich hoch über dem Wald gegen die starre Felswand emporzog.

      „Von dort?“ wiederholte Haymo und überflog mit ungläubigem Blick die zarte Gestalt des Mädchens. Dort oben war es ein mühsames und gefährliches Gehen. Ein falscher Tritt auf dem von Tauwasser und Föhnwind glattgewaschenen Schnee, und es ging bergab in sausender Fahrt. Wohin? Das blutige Bild, das Haymo auf diese stumme Frage vor seinen Augen auftauchen sah, weckte ein bedrückendes Gefühl in seiner Brust, und er sagte: „Dirn! Das war ein böser Weg. Sei froh, daß du heil zurück bist.“

      Sie schüttelte den Kopf und lachte — ein


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