Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн книгу.nahm er die Pfeife aus dem Munde – sein Gesicht strahlte von Freundlichkeit, und mit einer tiefen Verbeugung und dem verbindlichsten Lächeln vom Fenster aus Jemanden grüßend, der gerade unten vorbeiging, sagte er mit seiner wohlwollendsten Miene: »Daß Du den Hals brächest, Du verdammter schiefbeiniger Halunke Du – Du Leuteschinder – empfehle mich Ihnen gehorsamst!«
»Wer geht denn da vorbei?« sagte seine Schwester, eine Frau vielleicht hoch in den Dreißigen, aber ein liebes, freundliches, matronenhaftes Wesen, die leidend schien und auf dem Sopha lag.
»Der Herr Director,« lächelte Henriette.
»Wie der Schuft die Beine spreizt,« sagte Pfeffer, der wieder seine alte, finstere Miene angenommen hatte, sobald der Director von unten nicht mehr heraufsah – »breitspuriger Musenkutscher – grüßt auch noch, der – Heuchler!«
»Ach, Onkel, sieh nur, was da für reizende Kinder in der Equipage sitzen!« rief Henriette, die von ihrer Arbeit aufgeblickt, während Pfeffer noch immer giftig seinem Vorgesetzten oder Chef nachschaute. »Das sind gewiß Fremde, denn ich erinnere mich nicht, sie schon hier gesehen zu haben.«
Unten vor dem Fenster fuhr in diesem Augenblick ganz langsam, da die Pferde in dem Menschengewühl nur im Schritt gehen konnten, eine leichte, sehr elegante Equipage vorüber. Ein Kutscher in Livrée führte sie, und im Fond derselben saßen ein Herr und eine Dame in Reisekleidern, während auf dem Rücksitz ein junges Mädchen – wahrscheinlich die Bonne – die größte Mühe hatte, zwei allerliebste Kinder, einen Knaben von etwa vier und ein kleines Mädchen von vielleicht drittehalb Jahren, ruhig auf ihren Sitzen zu halten. Und das schien in der That kein kleines Stück Arbeit, denn das lebendige Pärchen entdeckte in der neuen, regen Umgebung eine solche Menge von Merkwürdigkeiten, daß sie mit den kurzen Ärmchen nur immer da- und dorthin deuteten und Vater und Mutter das gerade Bemerkte auf frischer That auch zeigen, ja, am liebsten hinaus und näher hinan wollten.
Die Eltern aber, die dem sie umwogenden Treiben kaum einen Blick schenkten, lächelten über die fröhliche Unruhe der Kinder und mußten nur selber mit beschwichtigen und ermahnen helfen, um ihren unruhigen Eifer zu zügeln.
»Ja, das sind Fremde,« sagte Pfeffer, der einen mürrischen Blick nach der bezeichneten Richtung hinunterwarf; »es wimmelt ja von denen jetzt in Haßburg – vornehmes Pack – hochnasige Gesellschaft – was kümmern die uns!«
»Was das für eine reizende Frau ist und was für wundervolle Haare sie hat!« fuhr Jettchen fort.
»Ja, wie Deine Tante, Fräulein Bassini – ein ächter Goldfuchs – wie nur ein Mensch an rothen Haaren Freude finden kann.«
»Aber sie sind doch nicht roth, Onkel – es ist das herrlichste Goldblond, das ich in meinem ganzen Leben gesehen habe.«
»Goldblond,« brummte Pfeffer verächtlich vor sich hin – »Rothfuchs – was Du für einen Begriff von goldblond hast.«
»Du bist einmal verdrießlich heute, Onkel,« lächelte Henriette, »und in der Stimmung hättest Du selbst am Himmelsblau 'was auszusetzen.«
»Hätt' ich?« brummte Pfeffer und qualmte stärker – »was die Jungfer Naseweis nicht Alles bemerkt. – Das da unten sind auch ein paar goldblonde Pferde, nicht wahr?«
»Das ist die Equipage des reichen Monford,« sagte Jettchen, die wieder einen Blick hinausgeworfen hatte, aber zugleich auch, verlegen erröthend, ohne daß der Onkel jedoch etwas davon bemerkte, nach unten irgend Jemanden dankend grüßte.
»Die wälzen sich ordentlich in Gold,« sagte Pfeffer – »Herr Gott, ist das nun Gerechtigkeit? Das Volk weiß nicht, wie es die Tausende, nur um sie los zu werden, zum Fenster hinauswerfen soll, und bei uns langt's manchmal knapp zu Kartoffeln und Häringen!«
»Und wer weiß, ob sie so glücklich sind, wie wir!«
»Glücklich – was sollte denen an ihrem Glück fehlen? Alles, was sich ein Mensch nur möglicher Weise wünschen kann, wenn er recht unverschämt ist, haben sie: eine große, reiche Familie, Sohn und Tochter, gesund und vornehm – bah, geh mir mit den Redensarten, die sich recht hübsch von der Kanzel herunter oder auf dem Theater ausnehmen: »Reichthum macht nicht glücklich« – aber im wirklichen Leben – alle Teufel,« unterbrach er sich plötzlich und nahm rasch die Pfeife aus dem Mund, »schnüffelt da unten nicht schon wieder unser siebenundzwanzigster Liebhaber, unser Herr Rebe mit seinem classischen Vornamen herum? Horatius Rebe – Horatius Cocles – jedenfalls Geschwisterkind mit einander – daß Dich die Milz sticht!«
»Aber, bester Onkel,« lächelte Henriette, dabei doch etwas verlegen und jedenfalls mehr erröthend, als eigentlich nöthig gewesen wäre – »was kann denn ein Mensch für seinen Vornamen? Er hat ihn sich doch nicht selber gegeben.«
»Unsinn, selber gegeben – natürlich hat er ihn sich nicht selber gegeben, sondern irgend ein eben so verrückter Pathe; aber er kann ihn doch zum Teufel werfen, sowie er nur einmal so viel Verstand hat, um eine Nachtmütze von einer Lichtscheere zu unterscheiden!« rief der Onkel, der heute wirklich entschlossen schien, sich über Alles zu ärgern. – »Horatius – Horatius! Jeder anständige Mensch auf der Welt hat doch wenigstens zwei oder drei verschiedene Vornamen, von denen er berechtigt ist, sich den auszuwählen, der ihm am besten gefällt. Warum thut er das nicht auch? – aber denkt gar nicht dran. Wahrscheinlich ist er auch noch stolz auf seinen Horatius; daß Dich der Henker hole – ich wollte Dich behoratiussen, wenn Du mein Sohn wärest!«
»Aber, Onkelchen,« lachte Henriette still vor sich hin, »wenn Dir nun seine anderen Namen auch nicht besser gefielen, wie der da?«
»Ach, Schnack,« rief Pfeffer, »und was weißt Du überhaupt von seinen anderen Vornamen, heh? Was sagst Du?«
»Oh, nichts, Onkelchen, ich zählte nur eben hier die Blätter zu dieser weißen Rose ab.«
»Und beim Himmel,« fuhr Pfeffer auf, der, während er sprach, den jungen Menschen nicht aus den Augen gelassen hatte, »da kommt er schon wieder auf's Haus zu! Jettchen, Jettchen, ich will Dir 'was sagen – ich fange an Verdacht zu schöpfen, daß sich der junge Springinsfeld die Schuhsohlen hier nicht umsonst alle Tage vor dem Fenster abläuft – ich hätte Dich für vernünftiger gehalten.«
»Aber, Onkel!«
»Die Posse laß Dir vergehen,« fuhr Pfeffer fort; »Du hast nichts, als was Du Dir mit Deiner Hände Arbeit sauer genug verdienst, und er hat gar nichts, als seine »Liebe zur Kunst«, wie er's hochpoetisch nennt, und die ihn bis jetzt nicht viel höher gebracht hat, als Stühle heraus zu tragen und höchstens einmal einen Ritter anzumelden! Darin paßt Ihr nun allerdings zu einander, daß Ihr Beide nichts habt, aber das Ende vom Liede wäre auch, daß Ihr Euch Beide unglücklich machtet und Euer Leben verdürbet!«
»Aber, Onkel, er denkt gar nicht daran!«
»Denkt nicht daran? – Lehr' Du mich Menschen kennen! – Übrigens weiß ich schon, daß er nur wieder unter dem Vorwande heraufkommt, mich zu besuchen. Na, die Freude will ich ihm dieses Mal machen – arbeiten kann ich außerdem heute nichts – daß Ihr ihn mir aber nicht hier herüber laßt – das sag' ich Euch!« – Und damit nahm er seinen Schlafrock vorn zusammen und ging wieder über den Vorsaal in sein eigenes Zimmer hinüber.
Henriette blieb schweigend an ihrer Arbeit sitzen, und die Mutter war aufgestanden und nahm ihr jetzt gegenüber am Fenster Platz.
»Der junge Rebe ist die letzte Zeit recht oft hier gewesen, Kind,« sagte sie endlich, während ihr Auge über die bunten Gruppen vor dem Fenster glitt, ohne sie zu sehen.
»Liebe Mutter...«
»Ich glaube, der Onkel hat Recht, Kind,« fuhr die Frau aber wehmüthig fort – »nicht, daß ich etwas gegen den jungen Mann selber einzuwenden hätte; er scheint brav und ordentlich zu sein, und man hört über sein ganzes Betragen nur immer Gutes, aber – das Theater ist ein gefährlicher Boden für junge Leute, und – kein Mensch weiß außerdem, ob er auch wirklich Talent hat und es je zu etwas bringen wird.«