Mami Staffel 5 – Familienroman. Eva-Marie Horn
Читать онлайн книгу.aus zwei Wettbewerben traten dann wieder gegeneinander an. Auf diese Weise kam jedes der Kinder dran. Sabine war bis jetzt Gesamtsiegerin. Nicht, weil sie so sportlich war, sondern weil sie Jens unbedingt imponieren wollte.
Dann wurde Conny aufgerufen. Sie hatte dasselbe Ziel. Auch sie wollte unbedingt die Beste sein, um von Jens gelobt zu werden.
Conny war leicht und sehr beweglich. Wie ein Gummiball hüpfte sie über den schwarzen Strich. Rechts, links – rechts, links. Es sah aus, als würde ihr diese Art der Fortbewegung überhaupt keine Schwierigkeiten machen. Wie nicht anders zu erwarten war, schaffte sie die Strecke schneller als ihre Konkurrentin. Im nächsten Durchgang mußte sie gegen Sabine antreten. Die beiden Freundinnen sahen sich kaum an, waren sie doch im Moment böse miteinander.
Jede von ihnen wollte Siegerin werden, das war klar. Jens pfiff zum Start, die beiden hüpften los. Schon nach einem kurzen Stück knickte Conny ein und fiel mit einem Aufschrei zur Seite.
Ein Raunen ging durch den Kreis der Schülerinnen. Entsetzt schauten sie auf die am Boden liegende Kameradin. Jens Seeger war sofort bei ihr. Besorgt beugte er sich über sie. »Was ist?«
»Mein Knöchel… au, au… tut so weh.« Conny preßte beide Hände ums Fußgelenk.
»Darf ich mal sehen?« Wie jeder Sportlehrer war Jens in Erster Hilfe ausgebildet. Sachkundig betastete er das Gelenk. Etwas Auffälliges konnte er nicht feststellen.
Doch Conny jammerte nur noch lauter. »Au, au…«
Jens machte ein ratloses Gesicht. Ausgerechnet in seiner Stunde mußte das passieren! Vorsichtig schob er den Arm unter Connys schmalen Körper. »Versuche mal aufzustehen«, bat er.
Conny gab sich keine Mühe. »Es geht nicht«, ächzte sie wehleidig. »Ich kann nicht auftreten.«
Der Sportlehrer stützte das Mädchen und versuchte, Conny auf die Beine zu stellen.
Doch sie sackte mit einem
Aufschrei wieder in sich zusammen.
»Auauau, tut das weh!« jammerte sie.
Jens streifte die Sportsocke von Connys Fuß. Da waren keine Schwellung und keine Rötung. Doch Conny wimmerte vor Schmerzen.
»Dein Knöchel muß geröngt werden. Ich bringe dich gleich zum Arzt.« Behutsam hob Jens die leichte Last auf seine Arme und verließ eilig die Turnhalle.
»Das hat sie absichtlich gemacht«, meinte Sabine neidisch.
Die Mitschülerinnen schauten sie strafend an und ahnten nicht, daß diese Behauptung der Wahrheit recht nahe kam. Ein wenig geschockt standen sie beieinander, bis eine Vertretung kam und die Hüpferei weiterging. Soviel Spaß machte der Wettbewerb den Mädchen allerdings nicht mehr.
Jens trug Conny inzwischen zu seinem Auto. Vertrauensvoll kuschelte sie sich in seine starken Arme und legte den Kopf an seine breite Brust.
»Du bist mein Papa«, nuschelte sie zufrieden.
Jens erschrak. Ganz deutlich tönte diese Äußerung an sein Ohr, und doch mußte er sich verhört haben. Nachfragen wollte er allerdings nicht. Deshalb meinte er leise und fast väterlich: »Ganz ruhig. Dein Knöchel kommt wieder in Ordnung. Ich setze dich jetzt auf die Rückbank, und du kannst dich bequem hinlegen. Der Notarzt ist nicht weit. In ein paar Minuten sind wir dort.«
Der Schmerz in Connys Fußgelenk hatte längst nachgelassen. Er war nur im ersten Moment so heftig gewesen, flachte aber rasch wieder ab. Diese Tatsache wollte Conny aber nicht eingestehen. Deshalb täuschte sie den Schmerz jetzt vor und stöhnte erbärmlich.
Jens, der ohnehin ein schlechtes Gewissen hatte, reagierte zerknirscht. Hatte er die Mädchen überfordert? Das war doch nicht denkbar, denn derart leichte, spielerische Übungen beherrschten normalerweise schon die Kleinsten.
Nervös und unruhig steuerte er sein Fahrzeug durch den Verkehr. Vor der Arztpraxis hob er Conny aus dem Auto und trug sie ins Haus. Auf diesem Weg wiederholte das kleine Mädchen seine Behauptung.
»Du bist mein Papa!«
Jens atmete tief durch, wie er es immer tat, wenn er vor einem unlösbaren Problem stand. Verwirrten die Schmerzen Connys Sinne, oder was hatte die unerklärliche Behauptung zu bedeuten? Jens fühlte sich irgendwie schuldig und wagte deshalb nicht zu widersprechen.
Ganz blaß und zittrig gab er der Arzthelferin neben Connys Personalien auch eine kurze Schilderung des Unfallhergangs und verlangte energisch, daß das Kind sofort behandelt wurde. Die Sprechstundenhilfe, beeindruckt vom bittenden Blick der blauen Männeraugen, führte die beiden sofort in den Untersuchungsraum.
Dort legte Jens die kleine Patientin sanft auf die erhöhte Liege.
»Papa«, ächzte Conny voll Berechnung und sah flehend hoch.
Jens wurde es heiß und kalt dabei. Hatte Conny Fieber, phantasierte das Kind? Er legte die Hand auf die Stirn seiner Schülerin. Die Haut fühlte sich ganz normal an.
Zum Glück kam in diesem Moment der Doktor. Connys Knöchel wurde abgetastet, geröntgt und wieder befühlt.
»Ich kann keine Verletzung feststellen«, meinte der Arzt daraufhin achzelzuckend.
»Es tut aber soo weh«, behauptete Conny und spielte recht überzeugend die Leidende.
»Tragen wir eine schmerzlindernde Salbe auf und machen einen stützenden Verband«, wies der Notarzt seine Sprechstundenhilfe an. »Damit kannst du wieder gehen«, meinte er zu Conny gewandt.
Sie schüttelte den Kopf mit dem blonden Pferdeschwanz. »Nein, mein Papa soll mich tragen«, verlangte das Kind weinerlich.
Der Mann im weißen Kittel sah ratlos auf Connys Begleiter. »Sollen wir ihn anrufen, deinen Papa?«
»Nein, er ist doch da. Er ist mein Papa.« Conny deutet auf Jens Seeger, dem die ganze Geschichte äußerst peinlich war.
»Ach, Sie sind…«, schmunzelte der Doktor und blinzelte Jens zu. »Das konnte ich ja nicht wissen. Es wird gut sein, wenn sich Ihr Töchterchen für den Rest des Tages hinlegt. Morgen ist vermutlich alles wieder in Ordnung. Andernfalls kommen Sie mit Conny vorbei.« Ein flüchtiger Händedruck, und der Mann im weißen Kittel entschwand in den nächsten Behandlungsraum.
Jens stand reichlich beschämt neben der Liege und wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Connys Aussage zu dementieren, brachte nun auch nichts mehr, denn der Doktor war ja nicht mehr da, und vor der Sprechstundenhilfe brauchte er sich nicht zu rechtfertigen.
Seeger verzichtete also auf eine Erwiderung. Er sprach auch Conny später nicht auf ihre merkwürdige Äußerung an, denn wer Schmerzen hatte wie sie, verdiente Nachsicht.
*
Udo Braun ging durch die Büros der Eschenbach-Werke, als sei er der Besitzer des Unternehmens und nicht nur der Geschäftsführer. Daß er einen korrekten Anzug, Hemd und Krawatte trug, war selbstverständlich. Dabei beschränkte er sich nicht auf das übliche Grau, sondern brachte mit roten, blauen oder gelben Sakkos Farbe in den Geschäftsalltag.
Udos Eitelkeit äußerte sich auch im Tragen hochkarätiger Brillantringe, teuren Uhren und blitzenden Goldkettchen.
Das alles brachte ihm bei der Belegschaft den Spitznamen ›der Gockel‹ ein, wovon Gudrun allerdings nichts wußte.
Sie kam regelmäßig vormittags ins Büro, wenn Conny in der Schule war. Den Nachmittag und die Ferien hielt sie sich frei, um genügend Zeit für ihr Kind zu haben. Auch wenn sich Conny nicht wohlfühlte, blieb Gudrun selbstverständlich zu Hause. Heute war sie voll Unruhe, denn Udo würde sie fragen, ob sie sich seinen Vorschlag überlegt hatte.
Kaum hatte Gudrun das Büro, das früher ihrem Vater gehörte, betreten, stürmte auch schon Udo herein. Heute war er in frühlingshaftes Zartgrün gekleidet. Seine bunte Krawatte bildete einen leuchtenden Kontrast. Er war überzeugt davon, daß es an seiner Erscheinung nichts auszusetzen gab. Von den Fußzehen bis zum Scheitel war alles an ihm ›top‹. Er sprühte nur