Schopenhauer. Kuno Fischer

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Schopenhauer - Kuno  Fischer


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ruhigen und anständigen Ton einer objektiven Besprechung gehalten. Gleich im Eingang wurde gesagt: »Das vorliegende Buch zeigt einen so großen philosophischen Scharfblick, einen solchen Reichtum geistvoller Gedanken, eine so seltene Gabe deutlicher und anschaulicher Darstellung; es enthält in der Widerlegung fremder und in der Aufstellung eigener Ansichten so viele helle und erhellende Bemerkungen über alle Teile der Philosophie, dass (Rez. muss auch diesen Panegyrikus elegisch schließen) wir die fast grenzenlosen, fast an Wahnsinn streifenden Verirrungen, zu welchen den Verfasser die folgerechte Durchführung weniger falscher Sätze geführt hat, nicht genug beklagen können.« Die Ästhetik wurde als der vorzüglichste Teil hervorgehoben, der einen großen Reichtum tiefer und geistreicher Bemerkungen über einzelne Gegenstände der Kunstlehre enthalte, Bemerkungen, welche der Beherzigung und des Studiums in ausgezeichnetem Maß würdig seien.

      Die Rezension schloss mit einem gerechten Tadel, der die Person traf. Schopenhauer hatte von Fichtes Lehre als von »Windbeuteleien«, von der nachkantischen Philosophie als von Possenspielen geredet, die man über dem Grabe Kants aufführe. Beneke, obwohl er sich selbst im Gegensatze zu der angefeindeten Richtung fühlte, war über eine solche Art der Schmähung entrüstet und sagte mit vollem Recht: »Wir halten diese Sprache für eines Philosophen höchst unwürdig«.159

      Wir können nicht umhin, hierbei zu bemerken, dass Fichte schon fünf Jahre tot war, bevor es Schopenhauer für gut fand, ihn öffentlich zu schmähen. Er hat es später mit Hegel genau ebenso gehalten. – Seine argwöhnischen Aufregungen grenzten allemal an Manie und waren unheilbar. Dass Beneke keineswegs der neidische Nebenbuhler und Streber war, für den er ihn hielt, hat er nie glauben wollen, auch nicht, als demselben kurze Zeit nach jenem Zwiste die venia legendi (auf Hegels Wunsch) durch den Minister Altenstein entzogen wurde; und noch dreißig Jahre später, als Beneke ein unglückliches und freiwilliges Ende genommen hatte, beharrte er bei seiner Meinung.

      In einem Schriftchen, welches Rätze, ein Gymnasiallehrer in Zittau, verfasst und Beneke in jener Rezension mitbeurteilt hatte, wurde die Bedeutung der Ethik Schopenhauers hervorgehoben und in ihrem pessimistischen Charakter bekämpft. Noch sei wohl nirgends eine phantastische Heiligkeit so blendend, scharfsinnig und philosophisch dargestellt worden als in diesem Werk, das von allen wissenschaftlich Gebildeten studiert zu werden verdiene.160

      Die erste Beurteilung war im »Hermes« erschienen, anonym, von der Hand des Philosophen Herbart in Königsberg, der sie auf den Wunsch des Verlegers geschrieben. Hier war Schopenhauer als ein ausgezeichneter, geistreicher Schriftsteller gewürdigt und mit Größen, wie Lichtenberg und Lessing, verglichen worden; unter den nachkantischen Philosophen sei Reinhold der erste, Fichte der tiefsinnigste, Schelling der umfassendste, Schopenhauer, der in diese Reihe gehöre, der klarste, gewandteste und geselligste, was an dieser Stelle so viel sagen wollte, als der geistreichste und unterhaltendste.

      Seit dem Erscheinen des Werks waren im Lauf der ersten fünf Jahre diese drei Stimmen wohl die einzig bemerkenswerten, die sich darüber haben vernehmen lassen: Herbart, Rätze und Beneke; die beiden letzten waren Neulinge, von denen der erste unbekannt geblieben. Wären ihre Stimmen beachtet worden, so hätte die Begierde, ein Buch von so seltenen Eigenschaften kennen zu lernen, wohl in weitere Kreise dringen müssen. So aber blieb es fast ein Menschenalter hindurch so gut wie unbemerkt und ungelesen.

      1. Die zweite italienische Reise. München und Dresden

      Ende Mai 1822 begab sich Schopenhauer wiederum auf Reisen und kehrte erst nach einer dreijährigen Abwesenheit im Mai 1825 zurück. Sein Weg ging diesmal durch die Schweiz nach Mailand und Venedig, er brachte den Winter in Florenz, das Frühjahr in Rom zu und war Mitte Mai 1823 schon auf der Rückreise in Trient; sein nächstes Aufenthaltsziel war München, wo er ein volles Jahr bis Ende Juni 1824 verweilte, nachdem er kurz vorher noch eine Badekur in Gastein durchgemacht hatte. Er hatte sich in München elend gefühlt, ohne allen geselligen Verkehr gelebt, von Krankheit heimgesucht, schwer besorgt wegen seines Gehörs, denn er war auf dem rechten Ohr fast ganz taub geworden. Nachdem er sich einige Zeit in süddeutschen Städten, wie Stuttgart, Heidelberg, Mannheim, aufgehalten hatte, ging er im September 1824 noch einmal zu längerem Aufenthalt in sein geliebtes Dresden und kehrte erst im Mai des folgenden Jahres in das ihm verhasste Berlin zurück.

      In Italien hatte er meist mit reisenden Engländern verkehrt und sich in deren Sprache und Sitten von neuem so eingelebt, dass er auf englischem Fuß fortlebte, englisch sprach und schrieb, am liebsten englische Zeitungen las, englische Gewohnheiten annahm und die englische Nation, wo er nur konnte, als die intelligenteste der Welt pries. Es tat ihm wohl, sich in Deutschland fremd zu fühlen.

      Die einzige Art der Lichtblicke, welche mitten in seiner ungeselligen und verdüsterten Stimmung die Welt ihm gewähren konnte, war die Anerkennung seiner Verdienste und seines Genies. In der jüngsten Zeit waren solche Sonnenscheine auf zwei seiner Werke gefallen.

      Die Münchener Akademie der Wissenschaften hatte in ihrem Bericht über die Fortschritte der Physiologie während des gegenwärtigen Jahrhunderts bei der Lehre von den Sinneswerkzeugen seine Schrift »über das Sehn und die Farben« erwähnt und seinen Namen neben Purkinje genannt (1824). In seiner »Kleinen Nachschule zur ästhetischen Vorschule« war Jean Paul mit dem Vorschlag einer »Literaturzeitung ohne Gründe« aufgetreten. Diese sollte von den berühmtesten Männern geschrieben werden, deren Autorität vollkommen hinreichte, alle Gründe zu ersetzen. Ein Mann wie Goethe, der Peterskirche zu Rom vergleichbar, worin es für jede Nation einen besonderen Beichtstuhl gebe, brauche nur den Titel des Buchs zu nennen und zu sagen: »es gefällt mir oder es ist zu elend; es ist trefflich oder langweilig«. Um diese Rezensionsart zu kennzeichnen, gab Jean Paul unter anderen Beispielen auch sein Urteil über Schopenhauers »Welt als Wille und Vorstellung«. Es sei »ein genial philosophisches, kühnes, vielseitiges Werk voll Scharfsinn und Tiefsinn, aber mit einer oft trost- und bodenlosen Tiefe – vergleichbar dem melancholischen See in Norwegen, auf dem man in seinen finsteren Ringmauern von steilen Felsen nie die Sonne, sondern in der Tiefe nur den gestirnten Himmel erblickt, und über welchen kein Vogel und keine Woge zieht. Zum Glück kann ich das Buch nur loben, nicht unterschreiben.«161 Diese Worte nahm der Philosoph als vom Genie dem Genie gespendet, sie haben ihm unsäglich wohlgetan, und er hat sich gern darauf berufen.

      Diese kleinen Erquickungen abgerechnet, vermochten die letzten acht Jahre dem vierzigjährigen Mann, wenn er am 22. Februar 1828 darauf zurückblickte, keine zufriedenen Eindrücke zu bieten. Wo er hinsah, traten ihm Mängel und Verluste, Misserfolge und hoffnungslose Aussichten entgegen. Seine persönlichen Familienverhältnisse, die beiden einzigen, die er auf der Welt hatte, waren gründlich zerrüttet; seine Lehrtätigkeit hatte aufgehört, bevor sie eigentlich erst angefangen; die Hälfte jenes wiedererkämpften Vermögens war durch schlechte Anlagen, die ihm ein guter Freund geraten, verloren gegangen (1827); die Absichten auf ein akademisches Lehramt, die sich erst nach Würzburg, dann nach Heidelberg gerichtet hatten, waren vergeblich gewesen, die letztere wurde durch die Antwort, die ihm Creuzer im März 1828 erteilte, völlig niedergeschlagen.162

      Alle seine Hoffnungen ruhten auf seinem Hauptwerk. Als er sich jetzt nach dem Erfolg desselben erkundigte, musste er zehn Jahre nach der Herausgabe erfahren, dass eine »bedeutende Anzahl« Exemplare makuliert worden, der Absatz stets »sehr unbedeutend« gewesen und noch 150 Exemplare vorrätig seien (29. November 1828). Von diesem geringen Vorrat wurden im Jahre 1830 noch 97 Exemplare eingestampft, und von den 53 übriggebliebenen waren dreizehn Jahre später (1843) »noch genug für die Nachfrage vorhanden«.163 So stand es mit dem Erfolg seines Hauptwerks nach einem Vierteljahrhundert!

      In die Mitte aller dieser Widerwärtigkeiten war noch ein höchst unwürdiger, ärgerlicher und nachteiliger Rechtshandel gefallen. Eine bejahrte Näherin, die im Vorraum seiner Wohnung sich unbefugterweise aufgehalten und auf sein Verbot nicht gewichen war, hatte er unter gröblichen Schimpfreden hinausgeworfen, wobei die Frau zu Boden gefallen war und einigen Schaden erlitten hatte. Ihre Klage war in erster Instanz


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