Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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war von Lurgan Sahib erzogen; und E. 23. durch die Art seiner Tätigkeit kein schlechter Schauspieler. Statt des verängstigten zitternden Hausierers lehnte da in der Ecke mit auf dem Sitz gekreuzten Beinen ein mit Asche beschmierter, gelbstreifig bemalter Saddhu, aus dessen geschwollenen Augen (Opium wirkt schnell auf leeren Magen) List und Frechheit leuchtete. Kims braunen Rosenkranz trug er am Halse und ein ärmliches Stück geblümten Kattuns um die Schultern. Das Kind versteckte sein Gesicht an des erstaunten Vaters Brust.

      »Schau auf, Prinzlein! Wir reisen mit Zauberern, aber Dir werden sie nichts tun. O, weine nicht … Wozu heilt man heute ein Kind, wenn man es morgen durch Furcht töten will?«

      »Das Kind wird Glück haben in seinem ganzen Leben, denn es hat einer wunderbaren Heilung beigewohnt. Als ich noch ein Kind war, machte ich schon Menschen und Pferde aus Ton.«

      »Das tat ich auch schon,« piepte das Kind. »Und Sir Banas kommt in der Nacht hinten in unsere Küche und macht sie lebendig.«

      »Du also fürchtest Dich vor nichts, he, Prinzlein?«

      »Ich fürchte mich, weil mein Vater sich fürchtete. Ich fühlte seine Arme beben.«

      »Oh, furchtsames Hühnchen!« sagte Kim, und der beschämte Jat lachte. »Ich habe den armen Hausierer geheilt. Er muß nun seinen Verdienst und seine Rechnungsbücher im Stich lassen und drei Nächte an der Wegseite sitzen, um der Bosheit seiner Feinde Herr zu werden. Die Sterne sind gegen ihn.«

      »Je weniger Wucherer, desto besser, sage ich. Aber Saddhu oder nicht Saddhu, er soll mir den Stoff um seine Schultern bezahlen.«

      »So? Aber das da auf Deiner Schulter ist Dein Kind, das vor noch nicht zwei Tagen dem Scheiterhaufen verfallen war. Noch eins muß ich Dir sagen. Ich machte diese Wunderheilung in Deiner Gegenwart, weil die Not groß war. Ich änderte des Kranken Leib und Seele. Aber, o Mann von Jullundur, wenn Du jemals bei irgendeiner Gelegenheit Dich dessen entsinnst, was Du hier gesehen, sei es bei den Ältesten unter dem Dorfbaum oder in Deinem eigenen Hause oder in Gegenwart Deines Priesters, wenn er Dein Vieh segnet, so soll eine Seuche unter Deine Büffel kommen, und eine Flamme auf Dein Dach, und Ratten in Deine Korntenne und der Fluch der Götter über Deine Felder, daß sie verdorren vor Deinen Füßen und hinter Deiner Pflugschar.« Diesen Teil einer Verwünschung hatte Kim in den Tagen seiner Unschuld von einem Fakir am Taksali-Tor aufgeschnappt.

      »Höre auf, Heiliger! Aus Barmherzigkeit, höre auf!« rief der Jat. »Verfluche meinen Haushalt nicht. Ich sah nichts. Ich hörte nichts. Ich bin Deine Kuh.« Und er streichelte Kims nackten Fuß, der rhythmisch den Boden klopfte.

      »Aber da es Dir erlaubt wurde, mir beizustehen mit ein bißchen Mehl und ein bißchen Opium und solchen Kleinigkeiten, die anzunehmen ich Dir die Ehre erwies, so werden die Götter Dir dies vergelten durch einen Segen –« den Kim endlich, zu des Mannes unendlicher Erleichterung erteilte, und den er von Lurgan Sahib gelernt hatte.

      Der Lama starrte hierbei aufmerksamer durch seine Brillengläser als er es bei der Verkleidung getan.

      »Freund der Sterne,« sprach er, »Du hast große Weisheit erworben. Hüte Dich, daß sie nicht Stolz gebiert. Kein Mann, der das Gesetz vor Augen hat, wird übereilt von etwas reden, das er gesehen, oder das ihm begegnet ist.«

      »Nein – nein – wahrlich nicht,« rief der Bauer, voller Angst, daß der Meister es noch schlimmer machen könnte als der Schüler.

      E. 23. mit offenem Munde, lag im Banne des Opiums, der für einen erschöpften Asiaten Fleisch, Tabak und Medizin zugleich ist.

      So, schweigend in Mißverständnis und Angst, erreichten sie Delhi zur Zeit, als die Lampen angezündet wurden.

      Kapitel 12.

       Inhaltsverzeichnis

      »Ich habe wieder Mut gefaßt,« sprach E. 23, unter dem Schutz des Treibens auf dem Bahnsteig. »Hunger und Angst verwirrten mich, sonst hätte ich an solche Rettung denken müssen. Ich hatte Recht. Sie sind auf der Jagd nach mir. Du hast mein Leben gerettet.«

      Ein Trupp gelb behoster punjabischer Polizisten unter Führung eines schwitzenden, hastigen jungen Engländers, teilte die um die Wagen sich drängende Menge. Hinterher schritt bedächtig, unauffällig wie eine Katze, eine kleine, fette Person, die aussah, wie ein Advokaten-Schreiber.

      »Schau, der junge Sahib liest von dem Papier ab. Meine Personal-Beschreibung ist in seiner Hand,« sagte E. 23. »Sie gehen von Wagen zu Wagen wie Fischer, die einen Teich mit dem Netz ausfischen.«

      Als die Prozession ihre Abteilung erreichte, zählte E. 23. seine Perlen mit beständigem Schaukeln seines Oberkörpers, während Kim ihn verspottete, daß er in der Trunkenheil seine geringelte Feuerzange, das Abzeichen des Saddhu, verloren habe. Der Lama, tief in Betrachtung versunken, starrte vor sich hin und der Bauer, verstohlen blinzelnd, suchte seine Sachen zusammen.

      »Nichts hier als ein Haufen heiliger Bagage,« sagte der Engländer mit lauter Stimme und schritt weiter unter einem unzufriedenen Gemurmel; denn eingeborene Polizei bedeutet für den Eingeborenen Erpressung.

      »Die Schwierigkeit nun,« flüsterte E. 23, »liegt darin, eine Drahtung zu senden, um den Ort anzugeben, wo ich den Brief, den zu finden ich ausgeschickt wurde, verborgen habe. In dieser Verkleidung kann ich nicht auf das Telegraphenamt gehen.«

      »Ist es nicht genug, daß ich Deinen Kopf gerettet habe?«

      »Nicht wenn die Arbeit unvollendet bleibt. Hat der Arzt kranker Perlen Dir niemals so gesprochen? Da kommt ein anderer Sahib! Ah!«

      Dies war ein ziemlich großer Distrikt-Polizei-Inspektor, von gelblicher Gesichtsfarbe – begürtet, behelmt, mit blanken Sporen und allem sonstigen Zubehör, der seinen dunklen Schnurrbart zwirbelte. »Was für Narren sind diese Sahibs von der Polizei!« sagte Kim belustigt.

      E. 23. blickte flüchtig unter seinen Lidern hervor. »Gut bemerkt,« murmelte er mit gänzlich veränderter Stimme. »Ich will einmal Wasser trinken. Bewahre mir meinen Platz auf.«

      Er stolperte hinaus, dem Engländer fast in die Arme und wurde in plumpem Urdu deshalb ausgescholten.

      »Tum mut? Bist Du betrunken? Du mußt nicht um Dich stoßen, als gehörte die Delhi-Station Dir allein, mein Freund.«

      E. 23., ohne eine Miene zu verziehen, antwortete mit einem Strom der schmutzigsten Schimpfwörter, was Kim natürlicher Weise sehr belustigte, es erinnerte ihn an die Trommlerjungen und Barackenfeger in Umballa in der schrecklichen Zeit seines ersten Schulunterrichts.

      »Mein gutes Närrchen, Mickle – jao!« kauderwelschte der Engländer. »Geh zurück in Deinen Wagen.« Schritt für Schritt, ehrerbietig rückwärts gehend, kletterte der gelbe Saddhu in seinen Wagen und mit gedämpfter Stimme verfluchte er den Polizei-Inspektor bis in die fernste Nachkommenschaft, fluchte beim Stein der Königin – hier sprang Kim beinahe empor – fluchte bei dem Schreiben unter dem Königin-Stein und bei einer Sammlung von Göttern von ganz fremden Namen.

      »Ich verstehe nicht, was Du sagst,« – der Engländer wurde rot vor Zorn – »aber es muß ein Stück der verdammtesten Frechheit sein. Marsch da, heraus mit Dir!«

      E. 23. schien nicht zu verstehen und zeigte mit ernster Miene seine Fahrkarte vor, die der Engländer ihm ärgerlich aus der Hand riß.

      »Oh, zoolum! Welche Gewalttätigkeit!« grollte der Jat aus seinem Winkel. »Noch dazu für so einen kleinen Spaß.« Er hatte bei des Saddhus Zungenfertigkeit gelächelt. »Deine Zaubermittel tun heute keine gute Wirkung, Heiliger.«

      Der Saddhu folgte dem Mann von der Polizei, bittend und schmeichelnd. Der große Haufe der Reisenden, mit Bündeln und Kindern beschäftigt, hatte diesen Vorfall nicht beachtet. Kim schlüpfte hinter dem Saddhu hinaus, denn es war ihm durch den Kopf geschossen, daß er vor drei Jahren, nahe bei Umballa, Zeuge war, wie dieser selbe dumme jähzornige Sahib derbe Anzüglichkeiten gegen eine alte Dame


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