Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг

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Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг


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Da wäre es noch besser gewesen, ihnen die Gurgel flott abzuschneiden.«

      Als er sich wieder zeigte, klagte er über Kopfschmerz, war niedergeschlagen und fürchtete, in seiner Trunkenheit indiskret geredet zu haben. Er liebte die englische Negierung: sie war die Quelle aller Wohlfahrt und Ehre, und sein Zerr in Rampur war derselben Meinung. Hierauf verspotteten ihn die beiden und wiederholten seine früheren Reden, bis der arme Babu, aus seiner Verschanzung herausgetrieben, mit geziertem Lächeln und schlauem Blinzeln sich gezwungen sah – die Wahrheit zu sprechen. Als er später Lurgan diese Geschichte erzählte, bedauerte dieser lebhaft, nicht an Stelle der stumpfsinnigen Kulis gewesen zu sein, die, mit Strohmatten über den Köpfen, im Wasser platschend auf gutes Wetter warteten. Alle ihre Sahibs, rauh gekleidete Männer, die jedes Jahr freudig wieder in ihre auserwählten Nester hier oben kamen, hatten Diener und Köche, die oft Bergleute waren. Diese Sahibs reisten ohne jedes Gefolge. Deshalb waren sie arme Sahibs, die nicht wissen, was sich gehört: denn Kein Sahib, der seine fünf Sinne hat, würde sich von einem Bengalen beraten lassen. Aber der Bengale wußte mit ihrer Sprache umzuspringen und hatte ihnen Geld gegeben. An selbstverständliche schlechte Behandlung durch Leute ihrer eigenen Farbe gewöhnt, vermuteten sie irgendwo eine Falle und hielten sich bereit, fortzulaufen, sobald die Gelegenheit sich bot.

      Durch die reine, köstlich nach frischer Erde riechende Luft leitete der Babu den Weg abwärts, stolz an der Spitze der Kulis und in Demut hinter den Fremden gehend. Seine Gedanken waren viele und verschiedene und würden seine Gefährten ungemein interessiert haben. Er war ein angenehmer Führer, stets beflissen, auf die Schönheiten des Gebietes seines königlichen Herrn aufmerksam zu machen. Er bevölkerte die Berge mit allem, was seine Gefährten zu morden wünschten – mit Thär, Steinbock, Schraubenhornziege und – Bären, so viel es ihnen beliebte. Er redete über Botanik und Ethnologie mit unschuldigster Verkehrtheit, und sein Schatz von einheimischen Legenden – er war fünfzehn Jahre hindurch Vertrauens-Agent des Staates, mußte man bedenken – war unerschöpflich.

      »Dieser Kerl ist wahrhaftig ein Original,« sagte der Größere der beiden Fremden.

      »Er repräsentiert im Kleinen das Indien des Übergangs,« sagte der Russe, »das monströse Zwittertum von Ost und West. Wir verstehen mit Orientalen umzugehen.«

      »Er hat sein eigenes Vaterland verloren und kein neues gewonnen. Er haßt seine Eroberer gründlich. Höre, er vertraute mir in letzter Nacht« – usw.

      Unter dem gestreiften Sonnenschirm strengte Hurree Babu Kopf und Ohr an, dem rasch gesprochenen Französisch zu folgen, und hatte daneben beide Augen auf ein Zelt voll von Karten und Dokumenten gerichtet – extra groß und doppelt bedeckt mit geöltem roten Leinen. Er wollte nicht gerade stehlen. Er wollte nur wissen, was zu stehlen wäre, und – wenn es gestohlen wäre – wie damit fortzukommen. Er dankte allen Göttern von Hindostan und Herbert Spencer, daß einige Wertsachen zu stehlen vorhanden waren.

      Am zweiten Tage stieg der Weg steil aufwärts zu einem grasbedeckten Gebirgsvorsprung, und hier, ungefähr am Sonnenuntergang, trafen sie einen alten Lama – die Fremden nannten ihn einen Bonzen – der mit gekreuzten Beinen vor einer geheimnisvollen, mit Steinen niedergehaltenen Karte saß, die er einem jungen Manne, augenscheinlich ein Neophit von besonderer, wenn auch ungewaschener Schönheit, erklärte. Der gestreifte Sonnenschirm war schon weithin in Sicht gewesen, und Kim hatte vorgeschlagen, auszuruhen, bis – er sie erreichte.

      Hurree Babu, erfinderisch wie der gestiefelte Kater, rief, auf die Gruppe weisend: »Ah! Da ist eminent heiliger Mann dieser Gegend. Vermutlich Untertan meines königlichen Herrn.«

      »Was macht er da? Es ist höchst sonderbar.«

      »Er erklärt ein heiliges Bild – ganz Handarbeit.« Die Nachmittags-Sonne, die schon niedrig stehend, das Gras goldrot färbte, floß auch über die unbedeckten Köpfe der beiden Männer. Die verdrossenen Kulis, froh der Unterbrechung, standen still und warfen ihre Ladung ab.

      »Schau,« sagte der Franzose, »es ist wie ein Bild bei dem Ursprung einer neuen Religion – der erste Lehrer und der erste Schüler. Ist er ein Buddhist?«

      »Von irgend einer untergeordneten Art,« meinte der andere. »In den Bergen leben keine wahren Buddhisten. Aber betrachte die Falten seines Gewandes. Und seine Augen – wie unverschämt! Es ist, als wollten sie uns fühlen lassen, wie unreif wir noch sind!« Der Sprecher schlug ungeduldig gegen ein hohes Gestrüpp.

      »Bis jetzt haben wir noch nirgendwo unsere Spur hinterlassen; das, siehst Du, quält mich.« Er blickte finster auf des Lamas friedliches Gesicht und die monumentale Ruhe seiner Haltung.

      »Habe Geduld. Wir werden beide unsere Spur noch hinterlassen – wir – unreifes Volk. Zeichne doch inzwischen sein Bild ab.«

      Der Babu trat würdevoll heran. Seine Haltung und ehrerbietige Sprache stand wenig im Einklang mit seinem Blinzeln gegen Kim.

      »Heiliger, dies sind Sahibs. Meine Medizin half ihnen gegen Rheumatismus, und ich gehe mit nach Simla, um ihre Genesung zu überwachen. Sie wünschen, Dein Bild Zu betrachten.«

      »Die Kranken zu heilen, ist wohlgetan,« sprach der Lama. »Dies ist das Rad des Lebens, dasselbe Bild, das ich Dir in der Hütte zu Ziglaur zeigte, als der Regen fiel.«

      »Und Dich es erklären zu hören.« –

      Des Lamas Augen leuchteten auf bei der Aussicht auf neue Zuhörer. »Es ist gut, den höchst Vortrefflichen Weg zu demonstrieren. Haben sie Kenntnis des Hindi, so wie der Hüter der Bildnisse?«

      »Ein wenig, vielleicht.«

      Der Lama bog den Kopf zurück und, einfach wie ein Kind, das sich in ein neues Spiel vertieft, begann er mit voller Stimme die Anrufung, die der Doktor der Theologie der Lehre voraus gehen läßt. Die Fremden lauschten, auf ihre Alpenstöcke gelehnt. Kim, demütig am Boden hockend, sah nach dem roten Sonnenlicht auf ihren Gesichtern und dem Ineinanderfließen und Schwinden ihrer langen Schatten. Sie trugen unenglische Leder-Gamaschen und sonderbare Gürtelriemen, die ihn dunkel an die Bilder in einem Buch der Bibliothek von St. Xavier erinnerten: »Abenteuer eines jungen Naturforschers in Mexiko,« war der Titel. Ja, sie sahen ähnlich aus wie der köstliche M. Sumichrast der Erzählung und durchaus nicht wie so »hoch gewissenloses Volk« laut Hurree Babus Einbildungskraft. Die erdfarbenen Kulis hockten stumm und ehrerbietig in angemessener Entfernung, und der Babu, dessen leichtes Gewand wie eine Feldfahne im feuchten Winde flatterte, stand da mit der Miene des glücklichen Besitzers.

      »Das sind die Leute,« flüsterte Hurree Kim zu, als das Ritual fortschritt und die beiden Weißen dem Strohhalm folgten, der von der Hölle zum Himmel und wieder rückwärts wies. »Alle ihre Bücher sind in dem großen Zelt mit der rötlichen Decke – Bücher, Berichte und Karten – und ich sah einen Königsbrief, den entweder Hilás oder Benár geschrieben hat. Sie bewahren ihn sehr sorgsam. Sie haben nichts zurückgesendet von Leh oder Hilás; das ist sicher.«

      »Wer ist bei ihnen?«

      »Nur die Bettel-Kulis. Sie haben keine Diener. Sie sind so verschlossen. Sie kochen ihr Essen selbst.«

      »Aber was habe ich zu tun?«

      »Warte ab und sieh. Nur, wenn mir etwas Menschliches begegnet, so weißt Du, wo die Papiere sind.«

      »Diese Sache läge besser in Mahbub Alis Hand, als in eines Bengalen,« meinte Kim verächtlich.

      »Es gibt mehr Wege zum Liebchen hinaufzugelangen, als an der Wand hinaufzuklettern.«

      »Seht hier die Hölle, für Habsucht und Geiz bestimmt. Auf der einen Seite die Begierde, auf der anderen Seite die Ungeduld.« Der Lama wurde warm bei seinem Vortrag, und einer der Fremden zeichnete ihn in dem rasch schwindenden Licht.

      »Jetzt ist’s genug,« sagte der Mann plötzlich in brüsker Weise. »Ich kann ihn nicht verstehen, aber ich will das Bild haben. Er ist ein größerer Künstler als ich. Frage ihn, ob er es verkaufen will.«

      »Er sagt »Nein, Sar,« berichtete der Babu. Der Lama würde eben so wenig seine Karte einem zufällig getroffenen Fußwanderer überlassen haben, als ein Erzbischof die heiligen Gefäße


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