Philosophische und theologische Schriften. Nicolaus Cusanus

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Philosophische und theologische Schriften - Nicolaus Cusanus


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wer könnte einen festen Glauben haben, und dabei nicht auf die Verheißungen Christi hoffen? Wer nicht glaubt, er werde das ewige von Christus den Glaubenden verheißene Leben erhalten, wie kann der an Christus glauben, und ihn für die Wahrheit halten? Wer auf die Verheißungen nicht zweifellos hofft, wie wird der für Christus in den Tod gehen, wenn er nicht auf die Unsterblichkeit hofft? Wer dagegen glaubt, daß Christus die nicht verläßt, die auf ihn hoffen, sondern ihnen die ewige Seligkeit verleiht, der hält es für etwas Geringes, um einer solchen Vergeltung willen alles für Christus zu leiden.

      So groß ist die Kraft des Glaubens; sie macht den Menschen Christus ähnlich (christiformem); er verläßt die Welt, entzieht sich der Befleckung des Fleisches, wandelt in Furcht auf den Wegen Gottes, folgt mit Freuden den Fußstapfen Christi, nimmt das Kreuz mit Frohlocken auf sich, im Fleische wandelnd, ist er ganz Geist; die Welt ist ihm der Tod für Christus, der Tod, der ihn zu Christus führt, ist ihm Leben. Wie edel ist doch ein Geist, in dem Christus durch den Glauben wohnt! Welch eine wunderbare Gabe Gottes, daß wir uns auf unserer Pilgerschaft im gebrechlichen Leibe durch die Kraft des Glaubens zur Macht über alles, was Christus nicht ist, erheben können! Wer stufenmäßig, durch Ertötung des Fleisches sich zur Einheit mit Christus erhebt und in einer so tiefgehenden Einigung, als es nur immer in diesem Leben möglich ist, in ihn aufgegangen ist (in ipsum absorbeatur), der erhebt sich über alles Sichtbare, ja über alles in der Welt, und erlangt die komplette Vollkommenheit der menschlichen Natur.

      Das ist die Vollkommenheit der Natur, die wir durch Christus in Ertötung des Fleisches und der Sünde, umgestaltet zu seinem Bilde erlangen können, nicht aber jene eingebildete Vollkommenheit durch Magie, die den Menschen zu einem gewissen höhern Wesen durch die Tätigkeit der auf uns einwirkenden (höhern) Geister mittelst des Glaubens sich erheben läßt, so daß die Zauberer in der Kraft dieser Geister, mit denen sie sich durch den Glauben vereinigen, verschiedene undenkbare Dinge im Feuer, Wasser, in Kenntnis der Harmonien, in Verwandlungen, im Erraten verborgener Dinge etc. verrichten. Es ist klar, daß das alles nur Trug und Täuschung ist, ohne Leben und Wahrheit. Die Zauberer sind durch Bündnisse und Verträge mit den bösen Geistern dergestalt gebunden, daß sie, was sie im Glauben festhalten, auch tatsächlich durch Huldigungen und Gebete beweisen, die sie statt Gott, dem sie allein gebühren, den bösen Geistern, als hätten diese die Macht, ihre Bitten zu erhören, mit größter Verehrung darbringen. Sie erlangen bisweilen durch den Glauben das erbetene flüchtige zeitliche Gut, durch ihre Vereinigung mit dem bösen Geiste, mit dem sie, getrennt von Christus, auch in dem Straforte werden ewig vereinigt bleiben müssen. Gepriesen sei Gott, der durch seinen Sohn uns der Finsternis einer so großen Unwissenheit entrissen hat, daß wir nun wissen, alles sei Irrtum und Betrug, was immer durch einen andern Mittler als Christus, der die Wahrheit ist, und in einem andern Glauben, als den an Jesus vollbracht wird. Denn es ist nur Ein Herr Jesus, der Macht hat über alles, allen Segen uns zuwendet und alle unsere Unvollkommenheit im Übermaße ergänzt.

      ZWÖLFTES KAPITEL

      Von der Kirche

      Obwohl das Verständnis über die Kirche Christi schon aus dem Bisherigen gewonnen werden kann, so will ich doch, damit dem Werke nichts fehle, noch ein kurzes Wort beifügen.

      Da der Glaube in den verschiedenen Menschen graduell verschieden ist, so gelangt kein Mensch zum Glauben in der höchsten Potenz so wenig als zur größten Liebe. Wäre in einem Erdenpilger der höchste Glaube, der keine Steigerung zuläßt, so müßte er zugleich der lebendige Inbegriff des Glaubens (comprehensor fidei) sein. So kann auch die schlechthin größte Liebe in keinem Liebenden sein, er sei denn zugleich der Geliebte. Daher finden sich der schlechthin größte Glaube und die größte Liebe in keinem als in Jesus Christus, welcher Erdenpilger (viator) und Inbegriff des Glaubens, liebender Mensch und geliebter Gott zugleich war. Nun ist aber in dem Größten alles eingeschlossen, weil es alles umfaßt. Der Glaube Jesu Christi schließt daher allen wahren Glauben, die Liebe Christi alle wahre Liebe in sich, wobei jedoch immer verschiedene Gradunterschiede bleiben. Da diese alle unter dem Größten und über dem Kleinsten sind, so kann niemand, wenn er auch in Wirklichkeit, soviel an ihm liegt, den größten Glauben hat, zum schlechthin größten Glauben Christi gelangen, durch den er Christus als Gott und Menschen vollständig erfaßte, so wie auch niemand Christus so sehr lieben kann, daß diese Liebe keine Steigerung zuließe, weil Christus die Liebe (amor et caritas) und deshalb ins Unendliche liebenswürdig ist. Niemand kann in diesem oder dem zukünftigen Leben Christus so lieben, daß er selbst Christus der Gottmensch58 würde; denn alle, die entweder in diesem Leben durch Glauben und Liebe, oder im andern durch unmittelbares Erfassen und Genießen mit Christus vereinigt sind, sind es nicht in der Art59, daß sie nicht noch inniger vereinigt sein könnten, unbeschadet der graduellen Verschiedenheit, so daß ohne diese Vereinigung niemand aus und durch sich besteht, so wie durch dieselbe niemand seine graduelle Verschiedenheit verliert.

      Diese Vereinigung nun ist die Kirche oder die Gemeinschaft vieler in Einem, gleichwie viele Glieder an einem Körper sind, jedes mit einem besonderen Range (gradus), wo ein Glied nicht ein anderes und jedes Glied durch den Körper mit dem andern vereinigt ist, und keines ohne den Körper Leben und Bestand hat, wiewohl am Körper ein Glied nicht alle Glieder in sich faßt, außer mittelst des Körpers. Die Wahrheit unseres Glaubens kann daher während unserer irdischen Pilgerschaft nur im Geiste Christi bestehen, unbeschadet der Stufenordnung der Gläubigen, so daß sich eine Verschiedenheit bei voller Übereinstimmung in dem einen Jesus gestaltet (ut sit diversitas in concordantia in uno Jesu). Und scheiden wir durch die Auferstehung aus der streitenden Kirche, so können wir wieder nur60 durch Christus auferstehen, so daß auch die triumphierende Kirche (in ihm) eine Einheit ist, in der jeder seinen eigentümlichen Rang behauptet. Dann wird die Wahrheit unseres Fleisches nicht mehr in sich, sondern in der Wahrheit des Fleisches Christi, die Wahrheit unseres Leibes nur in der Wahrheit des Leibes Christi, die Wahrheit unseres Geistes in der Wahrheit des Geistes Jesu Christi bestehen, wie die Rebzweige in dem Weinstocke. Es wird die eine Menschheit Christi in allen Menschen, der eine Geist Christi in allen Geistern sein, so daß jegliches in ihm und gleichsam ein Christus aus allen ist61. Wer daher einen aus allen, die Christus angehören, in diesem Leben aufnimmt, nimmt Christus auf, und was einem der Geringsten getan wird, wird Christus getan, gleichwie, wer die Hand Platos verletzt, Plato selbst verletzt, und wer dort im wahren Vaterlande über den Geringsten sich freut, freut sich über Christus, In allem sieht er Jesus und durch diesen Gott. So wird unser Gott durch seinen Sohn alles in allem, jeder im Sohne und durch diesen mit Gott und allen sein; es herrscht volle Freude ohne Mißgunst und Mangel.

      Da Glaube und Liebe, solange wir hienieden pilgern, einer beständigen Steigerung fähig sind, so müssen wir uns Mühe geben, daß die Möglichkeit durch die Gnade unseres Herrn Jesu Christi zur Wirklichkeit gelange, auf daß wir von Tugend zu Tugend, von einer Stufe zur andern weiter schreiten durch den, der der Glaube und die Liebe selbst ist, ohne den wir aus uns als solchen nichts vermögen, da wir alles nur in ihm vermögen. Er allein kann uns geben, was uns fehlt, daß wir am Tage der Auferstehung als gesunde und wertvolle Glieder an ihm erfunden werden. Diese Gnade des Wachstums in Glaube und Liebe können wir sonder Zweifel durch anhaltendes Gebet erlangen, indem wir vertrauensvoll dem Throne dessen uns nähern, der voll Güte ist und kein heiliges Verlangen unbefriedigt läßt.

      Wenn du dies tief im Geiste erwägst, durchströmt dich eine wunderbare geistige Wonne; innerlich verkostest du wie süßen Wohlgeruch die unaussprechliche Güte Gottes, die er dir, hienieden an dir vorübergehend, erweist, die dich einst sättigen wird, wenn seine volle Herrlichkeit erscheint, ich sage: sättigen, ohne satt zu werden (absque fastidio), weil jene unsterbliche Speise das Leben selbst ist. Und wie die Sehnsucht nach dem Leben immer wächst, so wird auch die Speise des Lebens immer genossen, ohne daß sie in die Natur des Genießenden übergeht, denn sonst wäre sie eine uns anwidernde Speise, die uns belästigte und uns das unsterbliche Leben nicht zu geben vermöchte, da sie in sich mangelhaft wäre, weil sie sich in die Natur des Genießenden verwandelte. Unser vernünftiger Geist aber will geistig leben und beständig weiter dringen zu Leben und Freude. Da diese unendlich sind, so werden die Seligen unaufhörlich zur Sehnsucht nach ihnen hingezogen. So finden sie Sättigung, indem sie dürstend aus der Quelle des Lebens trinken, und da


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