Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.im Linnenkleid, welcher sich mit priesterlichem Klaggeheul in das Gemach der vornehmen römischen Dame drängt, das die Eunuchen der grossen Syrischen Göttin soeben verlassen haben. Die letztern bettelten bloss, der im Anubiskostüm auftretende Anführer der Isispriester dagegen darf obendrein drohen und Bussen auflegen für gewisse angenehme Sünden; und gälte es auch ein Bad in der Tiber mitten im Winter – er wird Gehorsam finden, denn die Dame hat einen festen Glauben und meint selber im Schlaf der Isis Stimme zu hören. – Vom zweiten Jahrhundert an erhält dann der Isisdienst wie derjenige der Magna Mater einen höhern Ton und wahrscheinlich auch grössere Würde durch die Teilnahme der Kaiser und der höhern Stände340. Der Unterschied im Vergleich mit der frühern Übung war so gross, dass die Ansicht entstehen konnte, erst Commodus oder Caracalla hätten diesen Kultus nach Rom gebracht. Bei den grossen Prozessionen gibt es fortan Pausae, das heisst Halteplätze, vielleicht mit besonderer baulicher Ausschmückung. Commodus liess einen solchen Festzug in einer Halle seiner Gärten in Mosaik darstellen. Er selber, als Priester geschoren, pflegte bei solchen Anlässen das Bild des Anubis zu tragen und mit dessen Schnauze die nebenan gehenden Isispriester arg auf den Kopf zu treffen. Bei weitem die umständlichste Schilderung einer Isisprozession jedoch, welche für die Opferzüge dieser Zeit überhaupt zum Maßstab dienen kann, gibt Apuleius im letzten Buch seiner Metamorphosen. Die Szene ist in das ausgelassene Korinth verlegt. Der Zug beginnt im heitersten Carnevalsstil, mit den bunten Masken von Soldaten, Jägern, Gladiatoren, prächtig frisierten Frauenzimmern, Magistratspersonen, Philosophen (mit Mantel, Stab, Pantoffeln und Bocksbart), Vogelstellern und Fischern; dann folgt ein zahmer Bär als alte Dame verkleidet auf einem Tragstuhl, ein Affe als Ganymed mit einer Mütze und orangefarbenem Kleidchen, in der Hand einen goldenen Becher, sogar ein Esel, mit angesetzten Flügeln zum Pegasus travestiert, und nebenher laufend ein gebrechliches Männchen als Bellerophon. Nun erst eröffnet sich die eigentliche Pompa; weissgekleidete, bekränzte Frauen, die Toilettedienerinnen der Isis, streuen Blumen und Wohlgerüche und gestikulieren mit Spiegeln und Kämmen; eine ganze Schar beiderlei Geschlechtes folgt mit Lampen, Fackeln und Kerzen, wie zur Huldigung an die Gestirngottheiten; darauf Saitenspieler, Pfeifer und ein weissgekleideter Sängerchor; dann die Flötenspieler des Serapis, eine rituelle Tempelmelodie blasend, nebenein Herolde, um Platz zu schaffen. Sodann kommen die Eingeweihten jedes Standes und Alters, in weissem Linnenkleid, die Frauen mit gesalbtem Haar und durchsichtigem Schleier, die Männer glatt geschoren; die Sistren, die sie rauschend schwingen, sind je nach dem Vermögen von Silber und selbst von Gold. Jetzt erst erscheinen die Priester selbst mit den geheimnisvollen Symbolen der Göttin: Lampe, Altärchen, Palmzweig, Schlangenstab, offner Hand und mehrern Gefässen von besonderer Form; andere tragen die eigentlichen Götter, das Bild des Anubis mit halb schwarzem, halb goldenem Hundskopf, eine aufrecht stehende Kuh, eine mystische Kiste; endlich folgt der Oberpriester, die goldene Urne mit Schlangenhenkeln, welche die Göttin selber darstellte, an die Brust drückend. In dieser Ordnung bewegt sich der Zug aus der Stadt Korinth, wohin der Romanschreiber seine Szene verlegt, ans Meer hinab. Hier wird das bunt mit Hieroglyphen bemalte »Isisschiff« unter vielen Zeremonien mit Wohlgerüchen und Weihgeschenken gefüllt und angesichts der am Strand aufgestellten Heiligtümer den Wellen übergeben; die Inschrift seines Segels »für glückliche Schiffahrt im neuen Jahre« und das anderweitig bekannte Datum des überall von den Römern gefeierten navigium Isidis, der fünfte März, geben die Erklärung des ganzen Festes, welches die Eröffnung des während des Winters geschlossenen Meeres verherrlichen sollte341. Denn gerade in dieser ihrer spätesten, nichtägyptischen Eigenschaft als Herrscherin der See geniesst Isis am Mittelmeer ausdrückliche Verehrung, und die Korinther an ihren beiden schiffreichen Golfen mussten ihr besonders ergeben sein. Die Prozession kehrt in den Tempel zurück, vor dessen Pforte ein Priester von einer hohen Kanzel herab einen Glückwunsch oder Segen spricht über den Kaiser, den Senat, die Ritter, das römische Volk, die Schiffahrt und das ganze Reich; er schliesst mit der Formel λαοι̃ς άφεσις, welche mit dem ite, missa est! des christlichen Gottesdienstes gleichbedeutend ist. Bei dieser ganzen Feier unterscheiden sich die fröhliche und andächtige Menge und die Eingeweihten der Mysterien, von welchen im folgenden Abschnitt die Rede sein wird.
Was bei diesem und andern Anlässen von heiligen Schriftzeichen, teils hieroglyphischer, teils sonstiger geheimer Art erzählt wird, kann in der Tatsache richtig sein; aber der römische, griechische, gallische Isispriester, der diese Schriften verwahrte und vielleicht nachmalen und ablesen konnte, verstand doch sicherlich nichts davon. Ja, weit entfernt, irgendeine tiefsinnige Wissenschaft aus dem priesterlichen Ägypten zu entlehnen, dessen starke Seite ohnedies nicht mehr die Lehre war, nahm Rom selbst die vielgenannten Götter ohne alle theologische Treue in willkürlich verändertem Sinne auf. In betreff der Isis wurde dies bereits bemerkt; ein anderes sprechendes Beispiel ist die Gestalt des Harpokrates, dessen Gebärde (mit dem Finger nach dem Munde) den von Isis Gesäugten andeuten soll; in der trefflichen kapitolinischen Statue aus hadrianischer Zeit findet man nun statt des ägyptischen Götzen einen jungen Amorin, der mit dem Finger auf den Lippen Stille gebietet, als deus silentii. Dagegen musste Anubis, obwohl man ihn für identisch mit Hermes hielt, seinen Hundskopf beibehalten, der sich dann über einem menschlichen Körper mit römischer Draperie sonderbar widerlich ausnimmt.
Einen Inbegriff der Symbole dieses ganzen Kreises gewähren die hie und da vorkommenden bronzenen Hände, welche als Ex-voto's von Wöchnerinnen an die geburtshelfende Isis erkannt worden sind342. Die Finger in schwörender Haltung, die innere wie die äussere Fläche der Hand sind völlig bedeckt mit Attributen, Mysteriengeräten und Brustbildchen der Gottheiten Isis, Serapis, Osiris und Anubis, nur dass letztere als Dionysos und Hermes dargestellt sind. Die Aufzählung jener Symbole gehört nicht hieher; vielleicht entsprachen sie ebensovielen Anrufungen in der Not.
Mit den bisher genannten Fremdgottheiten ist die Mischung der Kulte noch lange nicht erschöpft; manches, was dahin gehört, wird passender erst im folgenden Abschnitt beiläufig behandelt werden. Bisher war nur von den offiziell anerkannten und allgemein verbreiteten sacra peregrina die Rede; dem einzelnen Andächtigen blieb es unbenommen, nach Wunsch die Bilder und Symbole aus allen Landen und Religionen massenweise um sich zu häufen. Wie verschieden und dabei wie bezeichnend war hierin die Subjektivität der beiden ungleichen Vettern, Elagabal und Alexander Severus! Ersterer trägt seine semitischen Götzen, die Palladien Roms und die Steine des Orest aus dem Dianentempel von Laodicea mechanisch auf einen Haufen zusammen; wie der schwarze Stein von Emesa mit dem Bilde der Urania von Karthago vermählt wird, so heiratet der kaiserliche Priester selbst die oberste Vestalin; ja, er soll die Absicht ausgesprochen haben, sein Zentralheiligtum auch zum Vereinigungspunkt für den Gottesdienst der Samaritaner, der Juden und der Christen zu machen. Alle Götter sollten seines grossen Gottes Diener sein, alle Mysterien sich in dem Priestertum desselben konzentrieren. Alexander Severus dagegen feiert von allen Religionen die Stifter als Ideale der Menschheit und stellt ihre Bilder in seiner Hauskapelle zusammen, wo nun Abraham und Christus Platz fanden neben Orpheus als vorgeblichem Gründer der hellenischen Mysterien und Apollonius von Tyana als neuphilosophischem Wundertäter; auch die besten unter den frühern Kaisern343 waren daselbst aufgestellt, wie er ihnen denn noch ausserdem auf dem Forum des Nerva kolossale Statuen setzte; eine zweite Kapelle enthielt die Statuen Virgils, Ciceros, Achills und anderer grosser Männer; der edle unglückliche Fürst sucht sich aus dem Besten, was er kennt, einen neuen Olymp zusammen. Was aber im Kaiserpalast zu Rom im Grossen geschah, wiederholte sich gewiss mannigfach im Kleinen. Manche der Edelsten hätten gerne dem Christentum die ihnen zugänglichen Seiten abgewonnen; noch begieriger aber mochte der gemeine Aberglaube zu den christlichen Mysterien aufblicken, mit welchen es ja eine besondere Bewandtnis haben musste, weil sie ihren Bekennern eine so merkwürdige Haltung im Leben und im Sterben mitteilten. Es ist schwer, sich dieses aus Abscheu und Lüsternheit gemischte Gefühl mancher Heiden lebendig vorzustellen, und eine unmittelbare Kunde davon ist kaum vorhanden, wenn man nicht die Geschichte vom samaritanischen Zauberer Simon344 dahin rechnen will. Von der philosophischen Annäherung