Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
Читать онлайн книгу.symbolischem Ausdruck. Bei der zunehmenden Unfähigkeit des fortschreitenden Erzählens, welches dem Relief wesentlich ist, teilt man nachgerade den Sarkophag durch Säulchen mit Bogen in so viele Felder, als Personen oder Geschichten sind. Die Darstellung wird über der Vielheit bald gänzlich ärmlich und kindisch ungeschickt.
Als weitere Aufgabe blieb der Skulptur noch das Bildnis, als Statue oder als Büste, besonders als Halbfigur in Relief übrig. Man findet an Denksteinen und Sarkophagen nicht selten jene gemütlichen Darstellungen von Mann und Frau in einer Nische, Hand in Hand geschlungen; es erscheint dabei nicht unwesentlich, dass wie auf den Münzen der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts der ganze Oberleib mit abgebildet ist. Eigentliche Büsten sind sehr selten, so dass wir zum Beispiel die grossen illyrischen Kaiser fast nur aus den Münzen kennen. Von Bildnisstatuen hat man zwar mannigfache Kunde502, allein mit Ausnahme einiger zu Ehren Constantins errichteten ist kaum etwas davon erhalten, und diese lassen uns der schweren, verdrehten Formen halber kaum bedauern, was aus dieser Zeit verlorengegangen ist – Wie das Material, so wurde in andern Fällen die Kolossalität der Hauptgegenstand der Bewunderung. Schon die Wirkung grosser Monolithen an sich wurde bedeutend überschätzt; war man bereits längst an das Herschleppen ägyptischer Obelisken gewöhnt, hatte noch Elagabal von einem aus Theben herbeizuführenden Steinblock geträumt, welcher eine Wendeltreppe enthalten und seinem Hauptgötzen zum Fussgestell dienen sollte503, so liess jetzt Diocletian für seine Thermen die ungeheuern Granitsäulen von fünfzehn Fuss Umfang aus dem Orient holen, und Constantin transportierte den grössten aller Obelisken einstweilen von Heliopolis nach Alexandrien, von wo ihn später Constantius nach Rom brachte504. Das grösste bekannte Stück Porphyr, eine Säule von hundert Fuss, musste dann zu Konstantinopel die Statue des neuen Stadtgründers tragen. Diesen kubischen Maßstab legte das dritte und vierte Jahrhundert auch gerne an die Schöpfungen der Plastik. Alexander Severus liess eine Menge riesengrosser Statuen505 in Rom aufstellen; von allen Enden her trieb er die Künstler für diese Arbeiten zusammen. Gallienus liess sich als Sonnengott abbilden, vorgeblich in einer Höhe von etwa 200 Fuss506; die Lanze in seiner Hand sollte stark genug werden, dass ein Kind im Innern derselben hinaufklettern konnte, Pferde und Wagen sollten im Verhältnis gebildet werden und das Ganze auf steiler Basis den höchsten Punkt Roms, den Esquilin, krönen. Das Werk blieb aber, wie billig, unvollendet. Massiger waren die beiden Marmorstatuen des Kaisers Tacitus und seines Bruders Florianus507 zu Terni, jede von dreissig Fuss, die bald nach der Errichtung vom Blitz völlig zerschmettert wurden. – Seit den Riesenstatuen des Phidias, seit den hundert Sonnenkolossen von Rhodus waren Götter und Menschen oft in weit übermenschlichem Maßstab dargestellt worden ohne Schaden für die Kunst; wenn aber in einer Zeit sonstigen Verfalls die Zeichnung und Modellierung schon im Kleinen ihren Aufgaben nicht mehr gewachsen ist, so bildet sie im Grossen vollends monströs und verderbt das Auge ganzer Generationen, weil sie sich mit ihren Giganten ihm überall aufdrängt. Dieser grosse Aufwand für Bildnisstatuen hat übrigens seine besondere Bedeutung, die im Zusammenhang steht mit den Schicksalen der Malerei.
Diese hat ein inneres Gesetz oder wenigstens eine Erfahrung aufzuweisen, wonach auf Perioden der idealistischen Darstellungsweise eine realistische folgt, entweder weil jene die Formen der Natur noch nicht genug ergründet, sondern sich mit dem Allgemeinen begnügt hat, oder weil der Kreis ihrer notwendigen Schöpfungen durchlaufen ist und weil man im derben Naturalismus neue Mittel der Wirkung aufzufinden hofft. Eine solche Richtung entwickelt dann auch die ihr verwandten Nebengattungen der Malerei, vor allem das Genre, zu selbständigem Leben. Etwas dieser Art war auch in der antiken Kunst erfolgt; schon seit der Blütezeit gab es Genrestatuen und Genrebilder in Menge; ganze Schulen hatten sich durch engern Anschluss an die Wirklichkeit charakterisiert – allein das ganze Streben ging im Grunde doch dahin, der letztern neue Seiten des Schönen abzugewinnen, und so hielt sich das Interesse an der Einzelerscheinung immer auf einer gewissen Höhe. Sollte nun nicht im dritten Jahrhundert die Zeit eines wirklichen Naturalismus, eines völlig durchgeführten Kolorits, eines Eingehens auf täuschende Lebenswirklichkeit nahe gewesen sein? Die Analogien dazu zum Beispiel in der Literatur fehlen wenigstens nicht ganz, wie wir sehen werden.
Allein die Hauptvoraussetzung jener ausgebildeten Genremalerei, der feine, scharfe Natursinn, war nicht im Zunehmen, sondern in rascher Abnahme begriffen; längst hatte man es über dem Luxus des Materials und über der Sucht nach Dekoration im Grossen versäumt, ihm die gebührende Ehre anzutun. Die wenigen erhaltenen Wandmalereien mythologischen Inhaltes lassen eine rohe Wiederholung der ältern Motive und eine gänzliche Verkümmerung und Erstarrung des ehemals so zierlichen Arabeskensystems erkennen. Die christlichen Katakombenmalereien haben etwas Gewinnendes durch die Einfachheit und Anspruchlosigkeit der Darstellung, auch sind sie als frühste Urkunden der Typen heiliger Personen überaus merkwürdig, aber in Gruppierung und Durchführung des einzelnen herrscht bereits grosse Ungeschicklichkeit oder ältere Reminiszenz. Der neue christliche Bilderkreis verbreitet wohl ein Abendrot über die antike Kunst, allein mit dem neuen Inhalt kam kein frischer Gehalt mehr. Rasch wurde das Mosaik zu gewaltigen Programmen des siegreichen Glaubens in Anspruch genommen, über alle verfügbaren Räume der Kirche breitete es die heiligen Gestalten und Geschichten aus, mit Verkennung der architektonischen wie der malerischen Gesetze, wobei man sich nur wundern muss, dass so viele relativ ausgezeichnete Arbeiten bis in das sechste Jahrhundert zum Vorschein kamen. Kirchlicher Wert und Vollständigkeit des Gegenstandes bilden neben der Pracht der Ausführung die einzigen Rücksichten von Belang. Von einer persönlichen Freude des Künstlers an seinem Werke konnte da kaum mehr die Rede sein; die Kunst war einem ausser ihr liegenden, nicht mit ihr und durch sie aufgewachsenen Symbol dienstbar geworden, der Künstler aber, selbst bei bedeutendem Talent, der namenlose Exekutant eines Allgemeingültigen, wie einst in Ägypten. In den Miniaturen der Handschriften, soweit sie unmittelbar oder aus spätem Kopien bekannt sind, wird man nicht selten durch glückliche Allegorien und gute Einfalle überrascht, welche beweisen, dass die nichtoffizielle Kunst allerdings noch subjektive Lebenskräfte besass; ja, es sind in den Bildern eines heidnischen Kalenders aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts einzelne wahre Genrefiguren mit ihrer barocken Tracht und Umgebung erhalten508. Aber die Gesamtrichtung ging unwiderruflich nach einer ganz andern Seite hin.
Wenn indes in irgendeiner Beziehung von einem Sieg des Realismus509 die Rede sein soll, so könnte man denselben in dem starken Überhandnehmen der Bildnismalerei seit dem dritten Jahrhundert finden. Wir sahen bereits, wie das Kolossalporträt eine Hauptaufgabe der Bildhauerei geworden war; auch an den Sarkophagen hatte die Hauptfigur des Mythus in der Regel die Züge des Verstorbenen erhalten. Allein nach allem zu schliessen ging die Neigung der Zeit in der Malerei viel weniger auf lebenswahre Darstellung der Charaktere als vielmehr auf das sogenannte Zeremonienbild aus, welches den einzelnen oder die ganze Familie in genauer Amtstracht und feierlicher Stellung, etwa mit symbolischen Zutaten, verherrlichen sollte. Bei den Herrschern verstand sich eine derartige Auffassung von selbst, und die Privatleute folgten nach. Wie sehr dabei das Kostüm wesentlich war, erhellt aus jener Tafel im Palast der Quintilier510, welche den Kaiser Tacitus fünfmal in verschiedenem Aufzug (Toga, Chlamys, Harnisch, Pallium, Jagdkleid) vorstellte. Kein Wunder, wenn auch auf Münzen und Grabmälern nicht mehr der Kopf allein, sondern der ganze Oberkörper mitgegeben wird, in dessen Bekleidung jetzt Rang und Würde ausgedrückt liegen. Die beiden Tetricus liessen in ihrem Palaste auf dem Cœlischen Berge ein Mosaikbild machen, auf welchem Aurelian in ihrer Mitte abgebildet war, wie er von ihnen die Zeichen der Huldigung, Szepter und Eichenkranz, empfing511. Im Palast zu Aquileia befand sich an der Wand eines Speisesaales ein Familienbild, welches das Verhältnis der Häuser