Tante Lisbeth. Оноре де Бальзак
Читать онлайн книгу.wüsste, dass ich wirklich einen Schatz habe, würde sie mich auslachen.«
»Ich verspreche es dir.«
Die beiden gelangten gerade in dem Augenblick an die Tür des Damenzimmers, als die Baronin ohnmächtig wurde; aber der Schrei, den Hortense darüber ausstieß, genügte, um Adeline wieder zu sich zu bringen. Lisbeth lief nach Riechsalz. Als sie damit zurückkam, fand sie die Tochter in den Armen der Mutter. Die Baronin suchte sie mit den Worten zu beruhigen: »Es ist nichts; es sind nur die Nerven. Da kommt dein Vater«, fügte sie hinzu. Sie hatte ihn an seiner Art zu klingeln erkannt. »Sag ihm ja nichts davon!«
Adeline erhob sich, um ihrem Gatten entgegenzugehen und ihn in den Garten zu führen, wo sie ihm noch vor Tisch von dem vereitelten Heiratsplan berichten, ihn über seine Zukunftspläne befragen und ihm einige Ratschläge geben wollte.
Der Baron von Hulot bewahrte noch immer seine parlamentarische napoleonische Haltung. Man kann die »Kaiserlichen« leicht erkennen an ihrem soldatischen Wesen, an ihrer Art, sich zu kleiden, an der Gewohnheit, den Rock bis oben zuzuknöpfen, an den schwarzen Seidenkrawatten und an dem ganzen selbstbewussten Auftreten, dem man unbedingtes Herrentum ansieht, das sich die Umgebung des Kaisers in den so häufigen und wechselvollen Lagen angeeignet hatte. Nichts verriet das hohe Alter des Barons. Seine Augen waren noch so scharf, dass er ohne Glas las; sein hübsches ovales Gesicht, das ein vielleicht allzu dunkler Bart schmückte, war von frischer roter Farbe infolge von vielen kleinen Äderchen in der Haut. Sein durch einen Gürtel gehaltener Bauch vermehrte, wie Brillat-Savarin sagt, seine Würde. Sein uraristokratisches und höchst leutseliges Wesen nahmen jeden sogleich für diesen alten Schwerenöter ein, mit dem Crevel so manchen lustigen Abend verlebt hatte. Er war einer von den Männern, deren Augen beim Anblick einer hübschen Frau aufleuchten, die jeder Schönen zulächeln, selbst denen, die nur vorübergehen und nie wiederkehren.
»Hast du eine Rede gehalten, lieber Hektor?« fragte Adeline, als sie seine sorgenvolle Stirn bemerkte.
»Nein«, antwortete Hektor, »aber ich bin todmüde. Stundenlange Reden, ohne dass es zur Abstimmung gekommen wäre. Nichts als Wortgeplänkel! Wie Kavallerieattacken, die nicht durchstoßen! Man hat das Wort an die Stelle der Tat gesetzt, und die Leute, die an Taten gewöhnt sind, haben wenig Freude daran. Ich habe das auch zum Marschall beim Abschied gesagt. Na, man hat sich lange genug am Regierungstische gelangweilt; hier wollen wir vergnügt sein ... Aha, die Wildkatze! Guten Tag, Wildkatze!«
Dann umarmte und küsste er seine Tochter, neckte sie und zog sie auf seine Knie, indem er ihren Kopf auf seine Schulter legte, um ihr schönes goldiges Haar an seinem Gesichte zu fühlen.
Er ist müde und verstimmt, dachte Frau Hulot, und nun muss ich ihm die Laune gleich noch mehr verderben.
»Bleibst du heute Abend bei uns?« fragte sie.
»Nein, Kinder. Nach Tisch Verlass ich euch wieder. Wenn der Tag nicht meinem Bruder, meinen Kindern und der Wildkatze gehörte, so hättet ihr mich überhaupt nicht zu sehen bekommen.«
Die Baronin nahm die Zeitung, überflog den Theaterplan und legte das Blatt wieder hin. Unter der Opernrubrik hatte sie »Robert der Teufel« gelesen. Josepha, die seit einem halben Jahre die Italienische mit der Französischen Oper vertauscht hatte, sang die Alice. Dieses stumme Spiel entging dem Baron nicht; er sah seine Frau scharf an. Adeline senkte den Blick und trat hinaus in den Garten, wohin er ihr folgte.
»Na, was hast du, Adeline?« fragte er, indem er sie um die Taille fasste und fest an sich drückte. »Weißt du nicht, dass ich dich mehr liebe als ...?«
»Mehr als Jenny Cadine und Josepha?« unterbrach sie ihn mutig.
»Wer hat dir denn das gesagt?« fragte der Baron, indem er seine Frau losließ und unwillkürlich einige Schritte zurückprallte.
»Ich habe einen anonymen Brief bekommen, den ich verbrannt habe. Darin stand, dass Hortenses Heirat an der Lage, in der wir uns befänden, gescheitert sei. Mein lieber Hektor, als deine Frau hätte ich nie etwas gesagt. Ich kannte dein Verhältnis mit Jenny Cadine. Habe ich mich je darüber beklagt? Aber als Hortenses Mutter bin ich dir Offenheit schuldig.«
Nach einem Augenblick des peinlichsten Schweigens, während dem man die Herzen schlagen hören konnte, breitete Hulot die Arme aus, drückte seine Frau an sich, küsste sie auf die Stirn und sagte mit der ganzen Übertreibung momentaner Begeisterung: »Adeline, du bist ein Engel, und ich bin ein schlechter Mensch!«
»Nein, nein!« rief die Baronin und legte ihm rasch die Hand auf den Mund, um zu hindern, schlecht von sich selbst zu sprechen.
»Na ja. In diesem Augenblick könnte ich Hortense keinen Pfennig mitgeben. Ich bin sehr unglücklich. Aber da du mir dein Herz geöffnet hast, kann ich dir auch die Sorgen beichten, die mich fast erdrücken. dass dein Onkel Fischer in Geldverlegenheiten ist, das ist auch meine Schuld; er hat mir nämlich eine Wechselbürgschaft von fünfundzwanzigtausend Francs geleistet! Eines Weibes wegen, das mich betrügt, das in meiner Abwesenheit über mich lacht, mich einen angestrichenen alten Kater nennt! – Ach, es ist entsetzlich, dass es mehr Geld kostet, einem Laster zu frönen als eine Familie zu ernähren! Und doch kann man nicht widerstehen. Ich könnte dir in diesem Augenblick versprechen, niemals wieder zu dieser abscheulichen Jüdin zurückzukehren; aber wenn sie mir nur zwei Zeilen schreibt, so eile ich doch wieder hin, wie man unter dem Kaiser ins Gefecht ging.«
»Quäle dich nicht, Hektor!« sagte die arme verzweifelte Frau und vergaß ihre Tochter über den Tränen in ihres Mannes Augen. »Siehst du, ich habe noch meine Brillanten. Rette damit vor allem meinen Onkel!«
»Deine Brillanten sind heute kaum zwanzigtausend Francs wert. Das würde Vater Fischer gar nichts nützen. Behalte sie darum für Hortense! Morgen rede ich mit dem Marschall!«
»Armer Freund!« rief die Baronin, ergriff ihres Mannes Hände und küsste sie.
Das war die ganze Auseinandersetzung! Adeline bot ihm ihre Brillanten an, und er schenkte sie Hortense. Dieser Verzicht schien ihr erhaben, und nun war sie ganz widerstandslos.
Er ist der Herr. Er könnte mir alles nehmen. Aber er lässt mir meine Brillanten. Er ist ein Gott! So dachte diese Frau, die sicherlich mit ihrer Sanftmut mehr erreicht hatte als eine andere durch Zorn und Eifersucht.
Der Menschenkenner weiß, dass wohlerzogene, aber lasterhafte Menschen gewöhnlich viel liebenswürdiger sind als Tugendbolde. Da sie immer ein schlechtes Gewissen haben, so nehmen sie gleichsam einen Vorschuss auf die Nachsicht der andern; sie sind gegen die Fehler ihrer Richter duldsam, und so gelten sie für prächtige Menschen. Natürlich gibt es auch unter den Tugendsamen reizende Leute; aber meist dünkt sich die Tugend an sich schon vollkommen genug und spart sich jeden Aufwand von Liebenswürdigkeit. Übrigens sind alle tugendhaften Leute – von den Heuchlern spreche ich hier nicht – ein wenig argwöhnisch; sie kommen sich auf dem großen Markte des Lebens gleichsam übervorteilt vor und machen gern spitze Bemerkungen nach der Art der unverstandenen Seelen.
Der Baron, der sich den Ruin seiner Familie vorzuwerfen hatte, nahm seine Zuflucht zu all den reichen Hilfsquellen seines Geistes und seiner verführerischen Urbanität gegenüber seiner Frau, den Kindern und der Tante Lisbeth. Als er seinen Sohn und Cölestine mit dem kleinen Hulot kommen sah, überschüttete er seine Schwiegertochter mit den artigsten Schmeicheleien. Daran war die eitle Cölestine nicht sonderlich gewöhnt; sie war zwar ein reiches, aber höchst unbedeutendes Wesen von recht alltäglichem Aussehen. Der Großvater nahm den kleinen Kerl, küsste ihn und fand ihn süß und entzückend. Er unterhielt sich mit ihm in der Kleinkindersprache und weissagte, dass diese Krabbe einmal größer sein Großvater werden würde; auch seinem Sohne sagte er ein paar angenehme Worte und gab dann das Kind wieder der Kinderfrau, einer dicken Bäuerin aus der Normandie. Cölestine wechselte mit der Baronin einen Blick, der deutlich ausdrückte: Was für ein herrlicher Mensch! Es war klar, dass ihn Cölestine fortan gegen ihres eigenen Vaters Angriffe in Schutz nahm.
Nachdem der Baron den liebenswürdigen Schwiegervater und den gemütlichen Großpapa gespielt hatte, ging er mit seinem Sohn in den Garten, wo er ihm in einigen erfahrungsreichen Bemerkungen vor Augen führte, wie man sich in der Kammer in einem so schwierigen