Mutter aller Schweine. Malu Halasa

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Mutter aller Schweine - Malu Halasa


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Liebling, komm her«, und tätschelt ihm den Rücken, als er auf den Stuhl neben ihr klettert.

      Beide Kinder, noch in Schlafanzügen, haben sich das Gesicht gewaschen. Salim stopft sich Brot und Joghurt in den Mund, während Mansur Laila anbettelt, ihn zu füttern.

      »Du bist doch schon ein großer Junge«, ärgert ihn Salim.

      »Bin ich nicht …« Mansurs Stimme verliert sich in einem Keuchen.

      Laila beruhigt ihn, nimmt ein Stück gekochtes Ei auf den Löffel und schiebt es in seinen eigensinnigen Mund. Bevor das Gestichel wieder anfängt, warnt sie: »Eure neue Tante schläft noch!«

      Die Jungen sprechen leiser. Ihre Söhne mögen den Gast. Die Geschenke, die Muna von den Verwandten aus Übersee mitgebracht hat, haben sie aufgerissen, und es beeindruckt sie, eine echte, lebende Amerikanerin kennenzulernen, wie Abby aus CSI. Augenblicke später hat Salim die Warnung seiner Mutter vergessen und fuchtelt seinem Bruder mit einer Gabel unter der Nase herum. Das Gekabbel bringt sofort Fadhma an den Tisch. Sie umarmt Mansur und redet gleichzeitig Salim gut zu, bis beide Brüder versprechen, sich zu benehmen. Während sich die Kinder in Fadhmas Zuwendung sonnen, überlegt Laila kurz, warum die beiden mit ihren Sorgen eigentlich nie zu ihr kommen. Sie vermutet, dass sie Fadhma näherstehen, weil die ihnen nachgibt. Für ihre Mutter – und Laila kultiviert das tatkräftig – empfinden sie vor allem Respekt, gewachsen eher aus Angst denn aus Liebe.

      »Seht doch nur, was ihr eurer Dschadda für einen Ärger macht!«, sagt sie zu ihren Söhnen. Ob die Jungen ihre Großmutter drangsalieren, ist ihr gleichgültig. Doch eine gewisse Darbietung formeller Höflichkeit ist geboten, egal wie leer sie sein mag.

      »Ich bin doch nicht würdig, Umm Salim«, antwortet Fadhma. Im stillen Konflikt zwischen den beiden ist diese schlichte Aussage ein Angriff über zwei Flanken. Sie weiß, dass falsche Demut Laila reizt, und indem sie ihre Schwiegertochter »Mutter Salims« nennt, reduziert Fadhma sie wirkungsvoll von einer Person zu einer Funktion.

      Gebieterisch blickt Laila durch Fadhma hindurch zum umfunktionierten Zwanzig-Liter-Butterschmalzkanister auf der Anrichte neben der Spüle. Er ist mit dem letzten kostbaren Abwaschwasser gefüllt und steht dort seit drei Wochen. »Wehe, dieser Laster kommt heute nicht«, beschwert sie sich, entnervt vom Chaos ringsum. Es ginge auch anders.

      Letzte Woche musste sie nicht ein solches Auge auf die Jungen haben; sie aßen schnell, zogen sich an und gingen zum Spielen mit ihren Freunden nach draußen, bevor sie sich mit ihrer Mutter auf den Weg zur Schule machten. Jetzt zanken sie und spielen mit dem Essen. Laila hat auch bemerkt, dass die Jungen, wenn es Zeit wird loszugehen, ungewöhnlich still werden. Sie fragt sich, ob sie den Grund ihres Unglücks wohl ermittelt hätte, ohne die beiden zu bespitzeln.

      Nach Munas Ankunft gestern Abend hörte Laila von der Küche aus Mansur auf der hinteren Terrasse heulen: »Die anderen mögen mich nicht mehr.« Statt hinzugehen und zu fragen, was los sei, verbarg sie sich hinter dem schweren Vorhang an der Terrassentür.

      Salim ließ eine glänzende neue Spielzeugpistole sinken, ein Geschenk von einer seiner amerikanischen Tanten, und erwiderte: »Na und? Mir haben sie auch gesagt, dass sie mich hassen.«

      Während Laila die beiden beobachtete, wusste sie, dass ihr jüngerer Sohn nicht verstehen würde, wie jemand irgendetwas anderes als Bewunderung für seinen älteren Bruder empfinden konnte.

      »Was?«, fragte Mansur ungläubig.

      Salim, seinem Alter voraus, nahm ein Taschentuch aus einer Schachtel zwischen den Kissen, wischte seinem jüngeren Bruder die Nase ab und legte dem Sechsjährigen behutsam den Arm um die Schulter. In diesem Moment wurde Lailas Kummer nur noch überwogen vom anhaltenden Zorn auf ihren Ehemann.

      Abrupt steht sie vom Tisch auf. »Beeilt euch!«, befiehlt sie ihren Söhnen und verlässt die Küche. Ihre Schritte werden vorsichtiger, sobald sie ihre Schlafzimmertür öffnet. Dahinter schläft in einer hölzernen Wiege Fuad, der jüngste ihrer drei Söhne. Sie streicht ihm eine verschwitzte Locke aus der Stirn. Der Kleine, noch keine zwei Jahre alt, hat wegen eines übersäuerten Magens den Großteil der vergangenen Nacht wach verbracht; das Familienessen zu Munas Ehren hatte ihn etwas zu sehr begeistert. Laila macht sich fertig. Sie wirft noch einen letzten Blick auf das schlafende Kind und schließt die Tür hinter sich.

      Im Flur ist es totenstill. Auch Samiras Tür ist verschlossen, die Zimmerbewohnerinnen schlafen noch. Ganz leise hört Laila jemanden im Wohnzimmer – zweifelsohne Fadhma, die sich mal wieder bei ihrem toten Ehemann beschwert. Laila findet die Jungen im Kinderzimmer vor, wo sie still warten, bereit für die Schule. Salim und Mansur starren zu ihr auf.

      »Yalla«, flüstert sie, »lasst uns gehen.«

       3

      In der Schlachterei ist Hussein bei der Fleischlagerung absolut gewissenhaft. Er besitzt zwei Kühlschränke, einen für erlaubtes Fleisch und einen anderen, sehr viel größeren, für verbotenes. Als halal und haram sind die Kühlschränke nicht gekennzeichnet. Selbst folgt er zwar keinen Ernährungsvorschriften aus religiösen Gründen, doch er möchte verantwortungsbewusst handeln – auch wenn seine Vorkehrungen nur ihm bewusst sind. Außer ein paar Innereien ist der Halal-Kühlschrank so gut wie leer. Alles frische Hammel- und Ziegenfleisch verkauft er direkt von den Fleischerhaken im Schaufenster. Der andere Kühlschrank ist randvoll, bereit für das Wochenende. Heute Abend wird Hussein im Schutz der Dunkelheit noch mehr Schinken und Würste holen, doch zu Ladenschluss am Sonntag wird auch das letzte bisschen verkauft sein.

      Soweit genügend Wasser vorhanden ist, werden die Räume der tristen Schlachterei täglich sauber gespritzt, aber häufig verstopft eine fettige Schmiere die Abflüsse und sie sondern einen unangenehm durchdringenden, fauligen Geruch ab. Hussein stellt den Gasbrenner an und setzt einen Topf Wasser auf. Im Hinterzimmer hört er Khaled, seinen Mitarbeiter, arbeiten. Der Junge murmelt ein Gebet. Kurz darauf scharren hektisch Hufe über den Fliesenboden, dann erklingt ein Spritzgeräusch, das sich in kaum vernehmbares Gluckern auflöst, als Blut, satt und suppig, in einen verzinkten Eimer abfließt. Mehrere dumpfe Schläge – der Kopf und die Hufe werden abgetrennt –, dann ein Geräusch, als würde ein alter, fettiger Teppich entzweigerissen – Khaled zieht die Haut ab. Mit einem flüssigen Klatschen quellen die Gedärme heraus, seidig und milchig. Hussein stellt sich vor, wie sein Gehilfe durch den Haufen wühlt, wie ein Hexer auf der Suche nach Weissagungen, und die Delikatessen heraussucht: Leber, Nieren und Dünndarm. Mit ein paar schnellen, tiefen Atemzügen pustet der Junge die Lungen auf, die althergebrachte Methode, um die Gesundheit eines Tieres zu überprüfen. Der Gehilfe kehrt nach vorne in den Verkaufsraum zurück, legt den Schafskadaver auf die lange Holztheke, wischt seine blutigen Hände an der schmuddeligen Schürze ab und grinst blöd seinen Chef an.

      Hussein ignoriert ihn und wählt aus der breiten Palette abgegriffener Werkzeuge an der Wand ein Hackebeil. Ein Tier zu zerlegen, hat etwas zutiefst Befriedigendes, jeder knochenzerschmetternde Hieb etwas unwiderruflich Endgültiges. Mit jedem Schwung des Hackebeils spürt Hussein, wie sich seine Stimmung verbessert. Bumm! Das bringt den jugendlichen Missetäter zur Einsicht über die Schändlichkeit seiner rücklichtzerschmetternden Sitten. Zack! Das ist für den Wasserlaster. Krach! Laila. Der nächste Hieb soll für Samira sein und all den Ärger, den sie ihnen macht, doch in letzter Minute überlegt Hussein es sich anders und erteilt den Schlag abermals als persönlichen Beitrag zum Kampf gegen die Jugendkriminalität. Er arbeitet methodisch, trennt Bein von Lende, Schenkel von Brust, und lässt mit jedem Schlag seine Frustration heraus.

      Er wählt zwei schöne Keulen aus seinem Werk und hängt sie ins Schaufenster. Schon sammeln sich erste Fliegen auf den Fleischbergen, von denen geleeweiches Fett auf die Theke tropft. Plötzlich klingelt die Glocke über der Fliegengittertür und kündigt den ersten Kunden des Tages an. Hussein ringt sich ein einladendes Lächeln ab.

      »Frau Habasch, wie schön, Sie zu sehen. Was darf’s heute sein? Wir hätten köstliches Lammfleisch.«

      Die Frau des Bürgermeisters ist eine der wichtigsten Personen der kleinen Stadt. Sie ist mit einem ihrer Vettern


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