Marie Grubbe. Jens Peter Jacobsen

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Marie Grubbe - Jens Peter Jacobsen


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trat von dem Fenster zurück, setzte sich nachdenklich an den Tisch und begann zu schreiben:

      »Meinen gar freundlichen Gruß vorerst im Namen des Herrn, liebe Ane Marie, gute Schwester und Freundin, Gott bewahre Dich allzeit und sei bedankt für alles Gute. Ich habe beschlossen, Dir zu schreiben pour vous congratuler, alldieweil Deine Niederkunft glücklich gewesen ist und Du nun munter und bei guter Gesundheit bist. Liebe Schwester, mir geht es gut, und ich bin sowohl munter als auch gesund. Die Muhme lebt ja in viel Größe, und hier sind oft zahlreiche Gäste, die meisten sind Kavaliers vom Hofe, und außer einigen alten Frauen kommen nur Mannsleute hierher. Es sind viele unter ihnen, die unsere Mutter sel. gekannt haben und sie ob ihrer Schönheit und mancherlei mehr rühmen. Ich sitze immer mit den Fremden zu Tisch, aber niemand spricht mit mir, außer Ulrik Frederik, wovon ich am liebsten verschont wäre, sintemal er immer mehr für Schikane und Raillerie als für vernünftige Konversation ist. Er ist noch sehr jung und hat nicht das beste Lob und besucht wohl Herbergen als auch Bierstuben und dergleichen. Nun weiß ich kaum weiter etwas Neues, als daß wir heute Assemblee haben und daß er auch mit dabei ist. Jedesmal, so ich Französisch spreche, lacht er und sagt: es sei hundert Jahre alt, was ja wohl auch der Fall sein kann, sintemal Herr Jens noch ganz jung war, als er auf Reisen ging; im übrigen erteilt er mir viel Lob, dieweil ich es so gut zusammensetzen kann, er sagt, keine Hofdame könne es besser, aber das sind, glaube ich, Komplimente und ich mache mir nichts daraus. Seit geraumer Zeit habe ich von Tjele nichts vernommen. Die Muhme schimpft und wird jedesmal böse, wenn sie von der Enormität spricht, nämlich, daß unser lieber Vater mit der lebt, mit der er lebt, mit einem Frauenzimmer von so niedriger Extraktion. Ich kränke mich oft darüber, was jedoch nichts nützt. Lasse Du nun Stycho diesen Brief nicht sehen, aber grüße ihn von Herzen.

      September 1657.

      Deine liebe Schwester

      Marie Grubbe.

      Der wohlgeborenen Frau, Frau Ane Marie Grubbe, Stycho Höeghs auf Gjordslev Gemahlin, meiner guten Freundin und Schwester freundlichst zugeschrieben.«

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      Man hatte sich von Tische erhoben und war in den Saal gegangen, wo Lucie das Goldwasser herumreichte. Marie war in eine Fensternische geflüchtet und wurde von der faltigen Gardine halb versteckt. Ulrik Frederik ging zu ihr hin, verneigte sich übertrieben ehrerbietig vor ihr und sagte mit einem äußerst ernsthaften Gesicht, es tue ihm leid, daß er bei Tische so entfernt von Mademoiselle gesessen habe. Wie er so sprach, legte er seine kleine, braune Hand auf das Fensterbrett. Marie sah ihn an und wurde rot wie tropfendes Blut.

      »Pardon, Mademoiselle, ich sehe, Ihr werdet ganz rot vor Zorn, daß ich mir erlaube, Euch meine schuldigst untertänige Reverenz zu machen. Es ist nun wohl auch zu dreist, zu fragen, womit ich so jämmerlich gewesen bin, Euch zu erzürnen?«

      »Ich bin fürwahr weder erzürnt noch rot.«

      »Es gefällt Euch, diese Couleur weiß zu nennen? Bien? Es sollte mich nur verlangen zu wissen, wie Ihr die Couleur benennet, die die sogenannte rote Rose hat?«

      »Aber könnet Ihr denn nie ein vernünftiges Wort sagen?«

      »Ja – laßt mich sehen! – ja, ich muß bekennen, daß es mir wirklich schon vorgekommen ist – aber nur selten.

      Doch Chloë, Chloë zürne nicht!

      Toll brennet deiner Augen Licht

      Mich, wie das Hundsgestirn die Hunde,

      Und Worte schäumen mir vom Munde,

      Dem Geifer gleich der Wasserscheu ...«

      »Ja, das könnt Ihr wohl sagen!«

      »Ach, Mademoiselle, Ihr kennt nur wenig von Amors Macht! – Werdet Ihr es glauben? es gibt Nächte, wo ich mich liebeskrank nach dem Silkegaard hinabschleiche, mich über die Mauer von Christen Skeels Garten schwinge, und da stehe ich wie eine Statue zwischen duftenden Rosen und starre zum Fenster in Eurer Kammer hinauf, bis die schmächtige Aurora ihre rosigen Finger durch meine Locken gleiten läßt.«

      »Ah, Monsieur! ich vermeine, Ihr hättet im Namen fehlgegriffen, als Ihr Amor nanntet; Evan hättet Ihr füglich sagen sollen – und mag sein, daß man leichtiglich irregeht, wenn man bei nächtlicher Weile umherschwärmet; mitnichten seid Ihr in Skeels Garten gewesen, Ihr waret bei »Mogens in Cappadocia« unter Römern und Bouteillen; und habet Ihr Euch nicht regen können und waret still wie eine Statue, da sind es nimmermehr Liebesgedanken gewesen, so bewirket haben, daß Ihr Eure Beine nicht vom Fleck bewegen konntet.«

      »Ihr tut mir schweres Unrecht; geschiehet es hin und wieder einmal, daß ich in die Häuser der Weinküper komme, da ist es nicht des Pläsiers oder der Lustigkeit halber, es ist ganz allein, um den nagenden Kummer zu vergessen, der mich erstickt.«

      »Ah!«

      »Ihr trauet mir nicht, Ihr habet keinen Glauben an die Beständigkeit meiner Amour – Himmel! sehet Ihr das östliche Schalloch auf St. Nikolaj? Drei Tage habe ich da gesessen und auf Euer holdes Antlitz herabgestarret, wie Ihr an Eurem Nährahmen saßet.«

      »Wie ungeschickt Ihr doch seid! Ihr könnet fast nie Euren Mund auftun, ohne daß man Euch auf loser Rede ertappen kann; niemals habe ich an meinem Nährahmen nach Nikolaj hinaus gesessen. Kennet Ihr den Reim:

      Schwarz war die Nacht und kühl,

      Der Kobold dem Mann in die Hände fiel.

      Zum Kobold sprach der Mann:

      ›Willst frei du sein, sag an,

      Willst heim du in dein Reich,

      So lehre mich sogleich

      Ohne Lug,

      Ohne Trug

      Das Wahrste, was dir bekannt.‹

      ›Hör!‹ sprach der Kobold und schwieg wie gebannt.

      Der Mann gab ihn frei, und der Kobold entschwand.

      Niemand kann den Kobold anklagen,

      Weil er eine Lüge tät sagen.«

      Ulrik Frederik verbeugte sich ehrerbietig vor ihr und ging, ohne ein Wort zu sagen.

      Sie sah ihm nach, wie er über den Estrich dahinschritt; ja, sein Gang war hübsch; seine seidenen Strümpfe waren so schimmerndweiß und saßen so stramm, es war weder Kniff noch Falte darin; die Partie unten am Knöchel war so schön! und der lange, schmale Schuh – es war so ergötzlich, ihn anzusehen; – sie hatte nie zuvor bemerkt, daß er eine kleine rosenrote Narbe an der Stirn hatte.

      Sie guckte verstohlen auf ihre Hände nieder, verzog den Mund ein wenig – es schien ihr, als seien die Finger zu kurz.

      Drittes Kapitel

      Der Winter kam. Es wurden harte Zeiten für die Tiere des Waldes und die Vögel des Feldes; es wurden kärgliche Weihnachten innerhalb lehmverstrichener Wände und der Spanten der Ewer. Die Westküste war übersäet von Wracken; da waren vereiste Schiffsrümpfe, zersplitterte Masten, zertrümmerte Boote und tote Schiffe. Reichtum lag da und rollte in der Brandung, ward zu nutzlosen Trümmern zerrieben und zermalmt, sank, trieb weg oder wurde im Sande begraben; denn Sturm und arge See und mörderliche Kälte hielten an, so daß Menschenhänden kein Zugreifen möglich war. Himmel und Erde verschwammen in eins in dem stiebenden Frostschnee; er wälzte sich herein über Armut und Lumpen, durch undichtes Fachwerk und zerbrochene Luken, zwängte sich hinein unter Dachfirste und Türen zu Wohlstand und verbrämten Mänteln. Bettler und verirrte Wanderer erfroren im Schutz von Gräben und Deichen, der arme Mann starb vor Kälte auf seinem Strohlager, und dem Vieh des Reichen erging es kaum besser.

      Da legte sich der Sturm, und es ward stiller, klingender Frost. Es wurden teure Zeiten für Reiche und Länder, Winterbuße folgte der Sommertorheit


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