Antisemitismus. Achim Bühl

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Antisemitismus - Achim Bühl


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nicht vorkomme. Ich erachte es für meine Pflicht, jetzt, wo ein solcher Fall gerade vor Gericht verhandelt wird, Euer Hochwohlgeboren zu verständigen, daß ich nach Verfassung meiner obigen Schrift in den Besitz eines durch die Jerusalemer Unternehmung des Moses Montefiore noch im Jahre 1868 hinausgegebenen solchen hebräischen Werkes gelangt bin, auf dessen Seite 156a geschrieben ist, daß das Vergießen des Blutes einer nicht jüdischen Jungfrau für die Juden eine überaus heilige Handlung, daß das so vergossene Blut dem Himmel sehr angenehm und den Juden Gottes Erbarmen verschaffe. Dies ist ein kurzer Auszug der ganzen Stelle, welche ich wortgetreu binnen kurzem der Oeffentlichkeit übergeben werde. Auf die Wahrheit des Obigen bin ich, wenn es nothwendig ist, bereit, hier vor Gericht auch einen Eid zu leisten.« (Kopp 1886: 16)

      Eisenmenger blieb für Rohling der große Lehrmeister und so folgte er ihm bedingungslos auch bei dessen mörderischen Anklagen und abscheulichsten Behauptungen, indem er betonte, es sei deshalb so schwer Belege für den „jüdischen Ritualmord“ zu erbringen, da es sich um eine von den Rabbinern mündlich tradierte Geheimlehre handele.

      Obwohl die Leiche des Bauernmädchens kurze Zeit darauf im Fluss gefunden und Tod durch Ertrinken diagnostiziert wurde, ließ sich die emotionale Erregung der Volksmassen nicht eindämmen, zumal die Akteure der Kampagne an ihrer Version festhielten, die auf die Vertreibung der örtlichen Juden zielte. Als sämtliche jüdischen Angeklagten im August 1883 freigesprochen wurden, entwickelte sich die „Affäre von Tiszaeszlár“ zu einer „Affäre Rohling“. Der Prager Kanonikus war während des Prozesses von einem Rabbiner der Falschaussage bezüglich des Talmuds sowie des Meineids bezichtigt worden, was Rohling dazu verleitete, Anzeige zu erstatten. Im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung zeigte es sich, dass Rohling das Hebräische nicht beherrschte und außerstande war, den Talmud im Original zu lesen. Rohling verlor daraufhin seine Lehrerlaubnis für katholische Theologie. Seine Bewunderer hielt dies jedoch nicht davon ab, ihm die Treue zu halten. Die „Affäre von Tiszaeszlár“ illustriert, dass der Antisemitismus massenhysterischen Charakter annahm und die Antisemiten sich mitnichten von rationalen Argumenten überzeugen ließen. In Österreich-Ungarn schreckte das Bündnis aus Klerikalen und Konservativen nicht einmal davor zurück, die mittelalterliche Ritualmordlegende zu revitalisieren und zum Gegenstand offizieller Prozesse zu machen. Die antisemitischen Parlamentsabgeordneten, die hinter der Kampagne steckten, wussten sehr wohl, was sie taten, insofern sie die Affäre zur Stärkung ihrer Parlamentsposition zu nutzen gedachten. Nicht nur in der Doppelmonarchie war der Antisemitismus zu einem Instrument geworden, um die Wählergunst zu gewinnen. Der politische Antisemitismus erwies sich zunehmend als gefährliche Spielart im Kontext parlamentarischer Systeme.

       1.8Pogrome im zaristischen Russland

      Unter den von Franz Kafka (1883–1924) verfassten und von ihm zur Verbrennung vorgesehenen Schriften befand sich auch seine Erzählung Odessaer Ritualmordprozess gegen Beilis. Anklänge dieser verbrannten Schrift finden sich noch in Kafkas unvollendeter Erzählung Der Process, wenn beispielsweise der Angeklagte starr danieder liegt und sein Körper von Nadeln zerstochen wird. Es handelt sich hierbei um die inversive Projektion eines Bildes des 13-jährigen Jungen Andrei Juschtschinski, der auf einem antisemitischen Flugblatt abgebildet mit geschlossenen Augen im Totenhaus liegt und an dessen Schläfenseite feine Einstiche erkennbar sind. Bei der „Beilis-Affäre“ handelte es sich um einen Ritualmordprozess des Jahres 1911. Anlass bildete die Ermordung eines Kiewer Jungen, den man nachdem er vermisst wurde schließlich in einer Höhle fand und dessen Körper zahllose Stichwunden aufwies. Teile der russischen Rechten und Konservativen beabsichtigten den Fall zu nutzen, um gegen die geplante Abschaffung judenfeindlicher Gesetze wie der „Maigesetze“ sowie des sogenannten „Ansiedlungsrayons“ zu opponieren. Bei den „Maigesetzen“ handelte es sich um ein ganzes Bündel antijüdischer Maßnahmen, die 1882 nach dem Attentat auf Alexander II. (1818–1881) erlassen wurden und welche die Freizügigkeit der Juden einschränkten. Die antisemitische Stimmung im damaligen Russland belegt der Tatbestand, dass die Ermordung des Zaren, für welche die Untergrundorganisation Narodnaja Wolja die Verantwortung trug, in verschwörungstheoretischer Manier den Juden angelastet wurde. Die Geschichte des Ansiedlungsrayons geht auf einen Ukas von Katharina II. (1729–1796) zurück, die im Jahr 1791 festlegte, dass Juden nur im äußersten westlichen Teil des Russischen Reiches leben und arbeiten durften. Beim Ansiedlungsrayon handelte es sich um diejenigen russischen Gebiete, die durch die polnischen Teilungen Ende des 18. Jh.s an das russische Kaiserreich gefallen waren. Das Gebiet erstreckte sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer. Da alle russischen Juden mit wenigen Ausnahmen zwangsweise hier zu leben hatten, stieg ihre Anzahl im dortigen Raum bis zum Ende des 19. Jh.s auf knapp fünf Millionen, was einem Bevölkerungsanteil von 12 Prozent entsprach.

      Die Verbindung des russischen Innenministeriums zu den örtlich agierenden Kräften verdeutlicht in der Beilis-Affäre der Tatbestand, dass die Absetzung des lokalen Polizeiinspektors, der seine Ermittlungen auf eine kriminelle Bande konzentrierte, von der zentralen Obrigkeit gedeckt wurde. Der Weg war auf diese Weise frei, um den Fall in Richtung eines Ritualmordprozesses zu wenden, was schließlich zur Anklage gegen den Juden Mendel Beilis im Jahre 1913 führte, obwohl keine Beweise vorgelegt werden konnten. Die Anklage agierte mittels eines katholischen Priesters, der als vermeintlicher „Talmud-Experte“ wie einst Rohling sich des Hebräischen im Verlauf des Prozesses als nicht mächtig erwies. Zwar wurde Beilis durch diesen Fauxpas sowie wegen fehlender Beweise freigesprochen, der Urteilsspruch hielt jedoch die Behauptung aufrecht, es habe sich um einen „jüdischen Ritualmord“ gehandelt. Hierzu trug ein antisemitisches Gutachten des Medizinprofessors Iwan Sikorskyj (1842–1919) bei, welches die geläufigen Narrative der Ritualmordlegende reproduzierte und mit medizinischen Bemerkungen verknüpfte. So behauptete der russische Mediziner, dass die langsame Entblutung des Körpers nur dem Zwecke der Blutentnahme gedient haben könne und heizte so bewusst die Atmosphäre auf. Sikorskyj zählte zu den organisierten nationalistischen Kräften Russlands, welche die Liberalisierung der zaristischen Judenpolitik mit aller Macht zu verhindern versuchten.

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