Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo

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Der Glöckner von Notre Dame - Victor Hugo


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daß die Arbeit mit dem Handel, die Geistlichkeit mit dem Adel vermählt war, und daß die zwei glücklichen Paare gemeinsam einen prächtigen Golddelphin hatten, den sie nur mit der Schönsten zu verbinden beabsichtigten. Sie zogen also durch die Welt, auf der Suche nach dieser Schönheit, und nachdem sie nach und nach die Königin von Golkonda, die Prinzessin von Trapezunt, die Tochter des Groß-Kans von der Tartarei u.s.w. u.s.w. verworfen hatten, waren Arbeit und Geistlichkeit, Adel und Handel nach dem Justizpalaste gekommen, um sich auf der Marmorplatte niederzulassen, und vor einem verehrungswürdigen Publikum so viele Sittensprüche und Maximen auszukramen, wie man damals bei der Facultät der freien Künste, in den Prüfungen, wo die Meister ihre Doctorhüte erlangten, Trugschlüsse, Determinationen, Redefiguren und Disputationen an den Mann bringen konnte.

      Alles das war wahrhaftig sehr schön.

      In dieser ganzen Menschenmenge jedoch, über welche die vier Erscheinungen um die Wette Fluten von Gleichnisreden ausschütteten, gab es kein aufmerksameres Ohr, kein klopfenderes Herz, kein unstäteres Auge, keinen gereckteren Hals, als Auge, Ohr, Hals und Herz des Autors, des Dichters, dieses braven Peter Gringoire, welcher kurz zuvor dem Entzücken nicht hatte widerstehen können, den beiden hübschen Mädchen seinen Namen zu nennen. Er war nicht weit von ihnen entfernt hinter seinen Pfeiler zurückgekehrt, und dort hörte, sah und verschlang er. Der wohlwollende Beifall, mit welchem der Vortrag seines Prologs aufgenommen worden war, tönte noch in seinem Innern nach, und er war ganz von jener Art verzückter Betrachtung hingerissen, mit welcher ein Autor seine Gedanken, einen nach dem andern, von den Lippen des Schauspielers in die Stille eines ungeheueren Auditoriums fallen hört. Würdiger Peter Gringoire!

      Es thut uns leid, es zu sagen, aber diese erste Verzückung wurde sehr bald gestört. Kaum hatte Gringoire seine Lippen an den berauschenden Becher der Freude und des Triumphes gelegt, als ein Wermuthstropfen hineinfiel.

      Ein zerlumpter Bettler, welcher nicht hatte einsammeln können, weil er mitten im Gedränge sich befand, und der zweifelsohne in den Taschen seiner Nachbarn keine hinreichende Entschädigung gefunden hatte, war auf den Gedanken gekommen, irgend einen sichtbaren Platz zu suchen, um die Blicke und Almosen auf sich zu lenken. Er hatte sich deshalb während der ersten Verse des Prologes mit Hilfe der Pfeiler, welche sich an der Gesandten-Tribüne befanden, auf das Karniß geschwungen, welches den untern Theil derselben begrenzte; und da hatte er sich niedergelassen, um Aufmerksamkeit und Mitleiden der Menge durch seine Lumpen und eine scheußliche Wunde am rechten Arme auf sich zu ziehen. Uebrigens sprach er kein Wort.

      Das Stillschweigen, welches er beobachtete, ließ den Prolog ohne Störung vorübergehen, und keine merkliche Unordnung wäre eingetreten, wenn das Unglück nicht gewollt hätte, daß der Student Johannes von der Höhe seines Pfeilers den Bettler und seine Firlefanzereien gesehen hätte. Ein tolles Lachen packte den jungen Taugenichts, welcher, unbesorgt darum, das Schauspiel zu unterbrechen und die allgemeine Aufmerksamkeit zu stören, frech ausrief:

      »Seht da den Elenden, der um ein Almosen bittet!«

      Wer je einmal einen Stein in eine Froschpfütze geworfen, oder eine Flinte auf einen Vogelschwarm abgefeuert hat, kann sich einen Begriff von der Wirkung machen, welche diese unpassenden Worte bei der allgemeinen Stille hervorbrachten. Gringoire fuhr zusammen, wie von einem elektrischen Schlage getroffen. Der Prolog blieb stecken, und alle Köpfe wendeten sich heftig nach dem Bettler um, der, ohne die Fassung zu verlieren, in diesem Zwischenfalle gute Gelegenheit zu einer Ernte erblickte, und mit schmerzlicher Miene und halbgeschlossenen Augen zu rufen anfing:

      »Eine milde Gabe, wenn's beliebt!«

      »Ei aber ... bei meiner Seele,« versetzte Johannes, »das ist Clopin Trouillefou. Holla, Freund, deine Wunde genirte dich wohl am Beine, daß du sie auf den Arm gelegt hast?«

      Bei diesen Worten warf er mit der Geschicklichkeit eines Affen ein kleines Silberstück in den schmierigen Filz, den der Bettler mit seinem kranken Arme hinhielt. Der Bettler nahm das Almosen und die beißenden Worte unbeirrt hin, und fuhr mit kläglicher Stimme fort: »Gebt mir ein Almosen, ich bitte!«

      Dieser Zwischenfall hatte die Hörerschaft sehr zerstreut; und eine ziemliche Anzahl Zuschauer, Robin Poussepain und alle Studenten an der Spitze, klatschten diesem sonderbaren Duett lustig Beifall, welches, mitten im Prolog, der Student mit seiner kreischenden Stimme und der Bettler in seinem beharrlichen Klagetone eben improvisirt hatten.

      Gringoire war sehr mißgestimmt. Nachdem er sich von seiner ersten Bestürzung erholt hatte, ermannte er sich und rief den vier Personen auf der Bühne zu: »Fahret fort, zum Teufel, fahret fort!« ohne auch nur sich gemüßigt zu fühlen, einen verächtlichen Blick auf die zwei Störenfriede zu werfen.

      In diesem Augenblicke fühlte er sich am Saume seines Oberkleides gezogen; er wandte sich nicht ohne eine gewisse Uebellaune um, mußte aber, wenn auch widerwillig, lachen. Es war der hübsche Arm der Gisquette la Gencienne, welche über das Geländer hinweg auf diese Weise seine Aufmerksamkeit reizte.

      »Mein Herr,« sagte das junge Mädchen, »werden die da fortfahren?«

      »Gewiß,« entgegnete Gringoire von dieser Frage ziemlich beleidigt.

      »In diesem Falle, Herr,« fuhr sie fort, »habt Ihr wohl die Güte, mir zu erklären ...«

      »Was sie sagen werden?« unterbrach sie Gringoire. »Nun gut! hört nur zu!«

      »Nein!« sagte Gisquette, »aber was sie bis jetzt gesprochen haben.«

      Gringoire that einen Satz, wie ein Mensch, dessen offene Wunde man berührt.

      »Daß dich die Pest, du dummes, vernageltes Ding!« murmelte er zwischen den Zähnen.

      Von diesem Augenblicke an hatte es Gisquette bei ihm vollständig verdorben.

      Indessen hatten die Schauspieler seinem energischen Befehle Folge geleistet, und das Publikum, welches sah, daß sie wieder zu sprechen anfingen, hatte begonnen zuzuhören; viele Schönheiten waren ihm aber bei der Art Zusammenlöthung der zwei Theile des so schändlich unterbrochenen Stückes verloren gegangen. Gringoire machte die bittere Bemerkung ganz in der Stille. Dennoch war die Ruhe nach und nach wiederhergestellt; der Student schwieg, der Bettler zählte einiges Geld im Hute, und das Stück hatte seinen Fortgang genommen.

      Es war in der That ein sehr schönes Werk, aus dem man, wie uns bedünkt, noch heute mit kleinen Aenderungen sehr wohl Nutzen ziehen könnte. Die Erfindung des Stückes war, wenn auch nach den Regeln der Kunst ein wenig lang und dürftig, einfach; und Gringoire bewunderte vor dem lauteren Heiligthume seines geistigen Richterstuhles deren Dursichtigkeit. Wie man sich wohl denken mag, waren die vier allegorischen Gestalten ein wenig ermüdet von ihrem Zuge durch die drei Welttheile, ohne Gelegenheit gefunden zu haben, sich ihres Golddelphines angemessen entledigen zu können. Nun kam eine Lobrede auf den wunderbaren Fisch, mit tausend feinen Anspielungen auf den jungen Bräutigam Margarethens von Flandern, der damals höchst jämmerlicherweise in Amboise eingeschlossen war, und sich wohl nicht träumen ließ, daß Arbeit und Geistlichkeit, Adel und Handel soeben seinetwegen eine Fahrt durch die Welt gemacht hätten. Besagter Delphin also war jung, schön, tapfer und vor allem – herrlicher Ursprung aller königlichen Tugenden! – er war der Sohn des Löwen von Frankreich. Ich erkläre, daß dieses kühne Gleichnis bewunderungswürdig ist, und daß die Naturgeschichte des Theaters, an einem Tage, der für verblümte Rede und königliches Hochzeitsgedicht bestimmt ist, nicht irgendwie an einem Delphine Anstoß nimmt, welcher der Sohn eines Löwen ist. Das sind eben die seltenen und pindarischen Vermengungen, welche den Enthusiasmus zeigen. Nichtsdestoweniger, um auch noch etwas Tadel unter das Lob zu mischen, hätte der Dichter diesen schönen Gedanken in etwa zweihundert Versen aussprechen können. Es ist wahr, daß das Schauspiel, nach Anordnung des Herrn Oberrichters von zwölf Uhr mittags bis um vier Uhr dauern sollte, und nothwendigerweise wohl etwas gesagt werden mußte. Außerdem hörte man geduldig zu.

      Auf einmal, mitten in einem Streite zwischen Frau Handel und Frau Adel, im Augenblicke, wo Meister Arbeit folgenden wunderbaren Vers sprach:

      »man in Wäldern ein stolzeres Thier« –

      öffnete sich ganz zur Unzeit die Thür zu der reservirten Tribüne,


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