Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek

Читать онлайн книгу.

Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek


Скачать книгу
der ihm das Recht absprach, im Restaurant am Fenster zu sitzen. Dann fing er an, die Droschke für einen Zug zu halten, neigte sich hinaus und schrie tschechisch und deutsch auf die Straße: »Nimburg, umsteigen!«

      Schwejk zog ihn zurück, und der Feldkurat vergaß den Zug und begann verschiedene Tierstimmen nachzuahmen. Am längsten verweilte er beim Hahn, und sein Kikeriki scholl siegreich aus der Droschke.

      Eine Zeitlang war er sehr lebhaft und unruhig und versuchte aus der Droschke zu fallen, wobei er die Leute, an denen die Droschke vorbeifuhr, Gassenbuben schimpfte. Dann warf er das Taschentuch aus der Droschke und schrie, man möge halten: er habe das Gepäck verloren. Hierauf begann er zu erzählen: »In Budweis gabs einen Tambour. – Er hat geheiratet. – In einem Jahr ist er gestorben.« Er fing zu lachen an: »Ist das nicht eine gute Anekdote?«

      Während der ganzen Fahrt verfuhr Schwejk mit dem Feldkuraten mit rücksichtsloser Strenge.

      Bei den verschiedenen Versuchen des Feldkuraten, einen kleinen Scherz zu vollführen, so wie etwa aus der Droschke zu fallen oder den Sitz abzubrechen, versetzte ihm Schwejk eins nach dem andern in die Rippen, was der Feldkurat mit ungewöhnlicher Stumpfheit hinnahm.

      Nur einmal machte er den Versuch, sich aufzulehnen und aus der Droschke zu springen, indem er erklärte, er fahre nicht mehr weiter, er wisse, daß sie statt nach Budweis nach Bodenbach kommen würden. Binnen einer Minute liquidierte Schwejk seine Empörung vollständig und zwang Katz in seine frühere Lage auf den Sitz zurück, wobei er darauf achtete, ihn nicht einschlafen zu lassen. Das Feinste, was er dabei vorbrachte, war: »Schlaf nicht, du Krepierl!«

      Der Feldkurat bekam plötzlich einen Anfall von Melancholie und begann zu weinen, während er Schwejk fragte, ob er eine Mutter gehabt habe.

      »Ich bin allein auf der Welt, Leutl!« schrie er aus der Droschke, »nehmt euch meiner an!«

      »Mach mir keinen Schkandal«, ermahnte ihn Schwejk, »hör auf, sonst wird jeder sagen, daß du dich besoffen hast.«

      »Ich hab nichts getrunken, Kamerad«, antwortete der Feldkurat, »ich bin ganz nüchtern.«

      Aber auf einmal stand er auf und salutierte: »Melde gehorsamst, Herr Oberst, ich bin besoffen.

      Ich bin ein Schwein«, wiederholte er rasch hintereinander in verzweifelter, aufrichtiger Hoffnungslosigkeit.

      Und zu Schwejk gekehrt, bat und bettelte er hartnäckig: »Werfen Sie mich doch aus dem Automobil hinaus! Warum wollen Sie mich mitnehmen?«

      Er setzte sich nieder und brummte: »Um den Mond herum bilden sich Räder. – Glauben Sie an die Unsterblichkeit der Seele, Herr Hauptmann? Kann ein Pferd in den Himmel kommen?«

      Er fing laut zu lachen an, aber bald darauf wurde er traurig und apathisch und schaute Schwejk an, wobei er bemerkte: »Erlauben Sie, mein Herr, ich habe Sie schon irgendwo gesehen. Waren Sie nicht in Wien? Ich erinner mich an Sie aus dem Seminar.«

      Eine Zeitlang unterhielt er sich damit, lateinische Verse zu deklamieren: »Aurea prima satast aetas, quae vindice nullo.«5

      »Weiter gehts nicht!« sagte er, »werfen Sie mich hinaus! Warum wollen Sie mich nicht hinauswerfen? Es wird mir nichts geschehn.

      Ich will auf die Nase fallen«, erklärte er mit entschiedener Stimme.

      »Lieber Herr«, fuhr er wieder bittend fort, »teurer Freund, geben Sie mir eine Ohrfeige.«

      »Eine oder mehrere?« fragte Schwejk.

      »Zwei.«

      »Hier sind sie …«

      Der Feldkurat zählte laut die Ohrfeigen, die er bekam, wobei er glückselig zu sein schien.

      »Das tut wohl«, sagte er, »wegen dem Magen, es fördert die Verdauung. Geben Sie mir noch eins übers Maul.«

      »Herzlichen Dank!« rief er, als Schwejk ihm schnell willfahrte, »ich bin vollständig zufrieden. Zerreißen Sie mir die Weste, ich bitt Sie.«

      Er äußerte die merkwürdigsten Wünsche. Er wünschte, Schwejk solle ihm ein Bein ausreißen, ihn ein bißchen würgen, ihm die Nägel schneiden oder die Vorderzähne ziehen.

      Er äußerte Märtyrerwünsche und verlangte, Schwejk möge ihm den Kopf abreißen und in einem Sack in die Moldau werfen.

      »Mir würden die Sternchen um den Kopf gut stehen«, sagte er mit Begeisterung, »ich könnt ihrer zehn brauchen.«

      Dann begann er von den Rennen zu sprechen und ging schnell zum Ballett über, bei dem er sich auch nicht lange aufhielt.

      »Tanzen Sie Csárdás?« fragte er Schwejk, »kennen Sie den Bärentanz? So …«

      Er wollte in die Höhe springen und fiel auf Schwejk, der zu boxen anfing und ihn dann auf den Sitz legte.

      »Ich will etwas!« schrie der Feldkurat, »aber ich weiß nicht was. Wissen Sie nicht, was ich will?« Er ließ den Kopf in völliger Resignation hängen.

      »Was gehts mich an, was ich will«, sagte er ernst, »und Sie, Herr, gehts auch nichts an. Ich kenne Sie nicht. Was unterstehn Sie sich, mich zu fixieren? Können Sie fechten?«

      Er wurde für eine Minute kampflustig und machte den Versuch, Schwejk vom Sitz zu werfen.

      Dann, als Schwejk ihn beruhigt hatte, wobei er ihn ohne Scheu sein physisches Übergewicht fühlen ließ, fragte der Feldkurat: »Haben wir heut Montag oder Freitag?«

      Er war auch neugierig, ob gerade Dezember oder Juni sei, und bezeugte eine große Fähigkeit, die verschiedensten Fragen zu stellen: »Sind Sie verheiratet? Essen Sie gern Gorgonzola6? Habt ihr zu Haus Wanzen gehabt? Hatte euer Hund die Hundeseuche?«

      Er wurde mitteilsam. Er erzählte, daß er für die Reitstiefel die Peitsche und den Sattel schuldig sei, daß er vor Jahren Tripper gehabt und ihn mit Hypermangan kuriert habe.

      »Zu etwas anderem war weder Zeit noch Rat«, sagte er rülpsend, »kann sein, daß es Ihnen bitter scheint. Aber sagen Sie, eah, eah, was soll ich machen, eah? Sie müssen mirs schon verzeihn.

      Autotherm«, fuhr er fort, indem er vergaß, wovon er vor einer Weile gesprochen haue, »heißen Gefäße, die Getränke und Speisen in ihrer ursprünglichen Wärme erhalten. Was halten Sie davon, Herr Kollege, welches Spiel ist gerechter: Färbl oder Einundzwanzig?

      Wirklich, ich hab dich schon irgendwo gesehn!« rief er, indem er versuchte, Schwejk zu umarmen und mit den Lippen voller Speichel zu küssen, »wir sind zusammen in die Schule gegangen.

      Du guter Kerl, du«, sagte er sanft, während er seinen eigenen Fuß streichelte, »wie du gewachsen bist, seit ich dich nicht gesehn hab. Die Freude, daß ich dich seh, wiegt alle Leiden auf.«

      Er geriet in Dichterlaune und hub an, von der Rückkehr glücklicher Gesichter und heißer Herzen zum Sonnenglanz zu sprechen.

      Dann kniete er nieder und begann zu beten: »Gegrüßt seist du, Maria«, wobei er aus vollem Halse lachte.

      Als sie vor seiner Wohnung hielten, war es sehr schwer, ihn aus der Droschke zu bekommen.

      »Wir sind noch nicht an Ort und Stelle!« schrie er, »helft mir! Man entführt mich! Ich will weiterfahren!« Er wurde im wahren Sinne des Wortes aus der Droschke gezogen wie eine gekochte Schnecke aus dem Gehäuse.

      Einen Augenblick lang schien es, als würde er in Stücke gerissen, denn er verfing sich mit den Füßen hinter dem Sitz.

      Er lachte laut, weil er sie angeschmiert hatte. »Ihr zerreißt mich, meine Herren.«

      Dann wurde er durch den Hausflur über die Treppe zu seiner Wohnung geschleppt und in der Wohnung wie ein Sack aufs Kanapee geworfen. Er erklärte, daß er das Automobil nicht zahlen werde, weil er es nicht bestellt habe, und es dauerte über eine Viertelstunde, bevor man ihm erklärte, daß es sich um eine Droschke handle.

      Auch


Скачать книгу