Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek
Читать онлайн книгу.auf die Uhr und unterbrach Schwejks Rede: »Es ist schon spät, ich muß mich ausschlafen. Morgen hab ich wieder Dienst. Sie können den ganzen Tag damit verbringen, einen Stallpinscher zu finden.«
Er ging schlafen, und Schwejk legte sich in der Küche aufs Kanapee und las noch die Zeitungen, die der Oberleutnant aus der Kaserne mitgebracht hatte.
Da schau her, sagte sich Schwejk, den Sultan hat Kaiser Wilhelm mit der Kriegsmedaille ausgezeichnet, und ich hab noch nicht mal die Kleine Silberne.
Er wurde nachdenklich und sprang in die Höh. »Fast hätt ich vergessen …«
Schwejk ging ins Zimmer, wo der Oberleutnant bereits fest schlief und weckte ihn: »Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, ich hab keinen Befehl wegen der Katze.«
Und der verschlafene Oberleutnant drehte sich im Halbtraum auf die andere Seite, brummte: »Drei Tage Kasernenarrest!« und schlief weiter.
Schwejk verließ still das Zimmer, zog die unglückliche Katze unter dem Kanapee hervor und sagte ihr: »Hast drei Tage Kasernenarrest, abtreten!«
Und die Angorakatze kroch wieder unter das Kanapee.
IV
Schwejk schickte sich gerade an auszugehen, um nach einem Stallpinscher Umschau zu halten, als eine junge Dame klingelte und Oberleutnant Lukasch zu sprechen wünschte. Neben ihr standen zwei große Koffer, und Schwejk sah noch auf der Treppe die Mütze eines Dienstmannes, der die Stiege hinunterschritt.
»Er is nicht zu Haus«, sagte Schwejk hart, aber die junge Dame stand bereits im Vorzimmer und gebot Schwejk kategorisch: »Tragen Sie die Koffer ins Zimmer!«
»Ohne die Erlaubnis vom Herrn Oberlajtnant gehts nicht«, sagte Schwejk, »der Herr Oberlajtnant hat befohlen, daß ich nie was ohne ihn machen soll.«
»Sie sind verrückt«, rief die junge Dame, »ich bin zum Herrn Oberleutnant zu Besuch gekommen.«
»Davon is mir nichts bekannt«, antwortete Schwejk, »der Herr Oberlajtnant is im Dienst, er kommt erst in der Nacht zurück, und ich hab den Befehl bekommen, einen Stallpinscher zu finden. Von keinen Koffern und von keiner Dame weiß ich nichts. Jetzt sperr ich die Wohnung zu, ich möcht also bitten, daß Sie freundlichst weggehn. Mir is nichts gemeldet worn, und keine fremde Person, die ich nicht kenn, kann ich hier nicht in der Wohnung lassen. So wie einmal, wie sie bei uns in der Gasse beim Zuckerbäcker Beltschizky einen Menschen eingelassen ham, und er hat den Kleiderkasten aufgebrochen und is weggelaufen.
Ich mein damit nichts Schlimmes von Ihnen«, fuhr Schwejk fort, als er sah, daß die junge Dame ein verzweifeltes Gesicht machte und weinte, »aber auf keinen Fall können Sie hierbleiben, das sehn Sie doch ein, weil mir die ganze Wohnung anvertraut is und ich für jede Kleinigkeit verantwortlich bin. Deshalb forder ich Sie nochmals in aller Liebenswürdigkeit auf, Sie solln sich nicht anstrengen. Solang ich keinen Befehl vom Herrn Oberlajtnant bekomm, kenn ich nicht mal meinen Bruder. Es tut mir wirklich leid, daß ich mit Ihnen so sprechen muß, aber beim Militär muß Ordnung sein.«
Inzwischen hatte sich die junge Dame ein wenig erholt. Sie entnahm ihrem Täschchen eine Visitkarte, schrieb mit einem Bleistift ein paar Zeilen, legte die Karte in ein reizendes kleines Kuvert und sagte niedergeschlagen: »Tragen Sie das zum Herrn Oberleutnant, ich werde hier inzwischen auf Antwort warten. Hier haben Sie fünf Kronen für den Weg.«
»Draus schaut nichts heraus«, sagte Schwejk, durch die Unnachgiebigkeit des unverhofften Gastes beleidigt, »lassen Sie sich die fünf Kronen, sie liegen hier am Sessel, und wenn Sie wolln, kommen Sie mit zur Kaserne, warten Sie auf mich, ich geb Ihren Brief ab und bring Antwort. Aber daß Sie derweil hier warten, geht auf keinen Fall.«
Nach diesen Worten zog er die Koffer ins Vorzimmer, und mit den Schlüsseln rasselnd, wie der Beschließer eines Schlosses, sagte er bedeutungsvoll bei der Tür: »Wir sperren!
Die junge Dame trat hoffnungslos auf den Gang, Schwejk versperrte die Tür und ging voraus. Die Besucherin trippelte wie ein Hund hinter ihm her und holte ihn erst ein, als Schwejk sich in einer Trafik Zigaretten kaufte.
Sie ging nun neben ihm und bemühte sich, ein Gespräch anzuknüpfen: »Werden Sies sicher abgeben?«
»Natürlich, wenn ichs gesagt hab.«
»Und werden Sie den Herrn Oberleutnant finden?«
»Das weiß ich nicht.«
Sie gingen wieder schweigend nebeneinander, bis Schwejks Begleiterin nach langer Weile wieder das Wort ergriff: »Sie glauben also, daß Sie den Herrn Oberleutnant nicht finden werden?«
»Das glaub ich nicht.«
»Und wo, glauben Sie, könnte er sein?«
»Das weiß ich nicht.«
Damit war das Gespräch für eine Weile beendet, bis es wieder durch eine Frage der jungen Dame in Schwung gebracht wurde.
»Haben Sie den Brief nicht verloren?«
»Bis jetzt hab ich ihn nicht verloren.«
»Sie werden ihn also bestimmt dem Herrn Oberleutnant abgeben?«
»Ja.«
»Und werden Sie ihn finden?«
»Ich hab schon gesagt, ich weiß nicht«, entgegnete Schwejk, »ich wunder mich, daß Leute so neugierig sein können und immerfort dieselbe Sache fragen. Das is so, wie wenn ich auf der Straße jeden zweiten anhalten und fragen möcht, der wievielte is.«
Damit war der Versuch, sich mit Schwejk zu verständigen, endgültig beendet, und der weitere Weg in die Kaserne verlief in völligem Schweigen. Erst als sie bei der Kaserne standen, forderte Schwejk die junge Dame auf zu warten und knüpfte mit den Soldaten im Tor ein Gespräch über den Krieg an. Die junge Dame schien darüber eine ungeheure Freude zu haben, denn sie ging nervös auf dem Trottoir auf und ab und blickte recht unglücklich drein, als sie sah, daß Schwejk seine Erörterungen mit einem Gesicht fortsetzte, das so dumm war wie jenes, das man auf einer Photographie sehen konnte, die in dieser Zeit in der »Chronik des Weltkriegs« veröffentlicht wurde: »Der österreichische Thronfolger im Gespräch mit zwei Fliegern, die einen russischen Aeroplan abgeschossen haben.«
Schwejk setzte sich auf eine Bank beim Tor und legte dar, daß an der Front in den Karpaten die Angriffe des Heeres gescheitert seien, daß jedoch auf der anderen Seite der Kommandant von Przemyśl, General Kusmanek, nach Kiew gekommen sei, daß wir in Serbien elf Stützpunkte aufgegeben hätten und daß die Serben es nicht lange aushalten würden, unseren Soldaten nachzulaufen.
Dann verstrickte er sich in eine Kritik der einzelnen bekannten Schlachten und machte die großartige Entdeckung, daß sich eine von allen Seiten umschlossene Abteilung ergeben müsse.
Als er genug gesprochen hatte, schien es ihm angezeigt, herauszugehen und der verzweifelten Dame zu sagen, daß er gleich kommen werde, sie solle warten. Dann ging er hinauf in die Kanzlei, wo er den Oberleutnant Lukasch fand, der gerade einem Leutnant eine Aufgabe aus der Schützengrabentechnik löste und ihm auseinandersetzte, er könne nicht zeichnen und habe keine Ahnung von Geometrie.
»Sehn Sie, so soll man das zeichnen. Wenn wir zu einer gegebenen geraden Linie eine senkrechte Linie skizzieren sollen, müssen wir sie so fällen, daß sie mit ihr einen rechten Winkel bildet. Verstehn Sie? So werden Sie die Schützengräben richtig und nicht zum Feind führen. Sie bleiben sechshundert Meter von ihm entfernt. Aber wie Sie es gezeichnet haben, stoßen Sie unsere Position in die feindliche Linie und stehen mit Ihrem Schützengraben senkrecht über dem Feind, und Sie brauchen einen großen Winkel. Das ist doch ganz einfach, nicht wahr?«
Und der Leutnant in Reserve, in Zivil Kassierer einer Bank, stand ganz verzweifelt über diesen Plänen, verstand nicht das geringste und atmete erleichtert auf, als Schwejk an den Oberleutnant herantrat.
»Melde gehorsamst, Herr Oberlajtnant, eine Dame schickt Ihnen diesen Brief und wartet auf Antwort.« Dabei zwinkerte er bedeutungsvoll und vertraulich.