Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

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Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю


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Saint-Dominique, Ecke der Rue Belle Chasse.«

      Bei diesen Worten schreckte Rudolf zusammen, denn einer seiner besten Freunde, der Marquis von Harville, der seit einiger Zeit in Schwermut verfallen war, wohnte in der genannten Straße. War es die Marquise, die auf solche Art ihrem Verderben entgegenrannte? Schöpfte ihr Gemahl Argwohn gegen sie? War etwa diese Untreue seiner Frau der Wurm, der an seinem Herzen nagte? Aber Rudolf kannte doch die Personen, die den Umgang der Marquise bildeten, und besann sich nicht, je einen Menschen darunter gesehen zu haben, auf den das ihm von der Pförtnerin gegebene Signalement des Kommandanten paßte. Konnte nicht auch die Dame, von der jetzt die Rede war, sich in der Rue Saint-Dominique einen Fiaker genommen haben, ohne dort zu wohnen? Was waren sonst für Beweise dafür vorhanden, daß es die Marquise sei? Und doch war es Rudolf nicht möglich, sich eines gewissen Argwohns zu entledigen.

      »Seitdem, wie gesagt,« schwatzte die Frau weiter, »haben wir weder den schönen jungen Herrn noch die Dame wiedergesehen; aber nun muß ich doch mal nach meinem Essen sehen; ich habe ein Huhn auf dem Feuer, und mit meinem Alfred ist nicht zu spaßen, wenn er heimkommt und sein gutes Stück Fleisch nicht im Schmortopfe findet.«

      Während Frau Pipelet sich ihren häuslichen Angelegenheiten widmete, spukten Rudolf allerhand trübe Gedanken im Kopfe herum. Die Dame, die nun zum drittem Male in dem Hause, dessen Verwaltung Pipelets führten, erwartet wurde, war sicher über den unvorsichtigen Schritt, zu dem sie sich hatte verleiten lassen, in letzter Stunde heftig erschrocken und zauderte noch immer, sich zu einem Stelldichein zu begeben. Schließlich mochte sie aber dem unwiderstehlichen Drange nachgegeben haben, war unter Tränen bis an die Tür des Hauses gefahren, wo sie ihren schmachtenden Liebhaber treffen sollte, hatte aber in dem Augenblicke, als sie sich für ihr ganzes Leben unglücklich machen wollte, noch einmal ihr Gewissen schlagen hören und war der Schande abermals entflohen. Und um wessen Willen setzte sie sich ihr aus? Warum nahm sie also solche Gefahr auf sich? Rudolf kannte die Welt und das menschliche Herz. Nach den flüchtigen Andeutungen der Pförtnersfrau meinte er über den Charakter des Seladons, der die Wohnung im ersten Stocke gemietet hatte, völlig im klaren zu sein. Aber Rudolf kannte doch auch die Frau des Marquis, und zwar als eine Dame von Geist, Gemüt und Geschmack. Rudolf wußte, daß ihr Ruf nie auch nur durch den leisesten Hauch getrübt worden war. Er konnte sich unmöglich denken, daß sie hinter diesem Abenteuer stecken solle. – Als die Pförtnerin wieder sichtbar wurde, fragte Rudolf, wer denn eigentlich im zweiten Stocke wohne? – »Eine Frau Burette, die sich ihr Brot auf recht bequeme Weise, durch Kartenlegen nämlich, verdient. Es kommen die vornehmsten Leute zu ihr, und sie läßt sich horrend bezahlen. Uebrigens ist die Wahrsagerei nicht ihr einziges Geschäft.« – »So? Und was treibt sie weiter?« – »Sie gibt Geld auf Pfänder. Mit dem Gesetz verträgt sich das freilich nicht; aber wenn die Menschen immer bloß tun wollten; was gesetzlich erlaubt ist, da könnten wohl gar viele die Hände in den Schoß legen. Das wenigstens ist meine Meinung. Die Burette gibt aber niemals einen Schein aus der Hand, und so hat die Polizei eben gar keine Beweise wider sie in der Hand und muß es sich gefallen lassen, daß sie von der Frau verlacht wird. Ich wünschte Sie könnten einmal sehen, was alles zu der Frau hingeschleppt wird.« – »Treibt die Person etwa noch andere Geschäfte?« – »Nein, nicht daß ich wüßte ... Darüber weiß freilich niemand Bescheid, was sie in einem kleinen Stübchen vornimmt, zu welchem kein Mensch Zutritt hat außer Rotarm und einem alten einäugigen Weibe, das den Spitznamen Eule führt.«

      Rudolf sah die Frau verwundert an, die sich aber dadurch nicht beirren ließ, sondern meinte: »Ein possierlicher Name, nicht wahr?« – »Allerdings. Kommt die Frau oft her?« – »Jetzt hat sie sich sechs Wochen lang nicht sehen lassen, vorgestern war sie aber wieder da. Sie geht ein bißchen lahm.« – »Und was hat sie bei dieser Frau Burette – so nannten Sie sie doch? – zu tun?« – »Ja, wer kanns wissen? Ich habe bloß bemerkt, daß beide – Rotarm sowohl als die Eule – wenn sie in das Stübchen eintreten, immer ein Paket unterm Arme haben, aber keines wieder mit hinausnehmen. Ganz geheuer ists in dem Stübchen nicht, denn immer riechts nach Schwefel, wenn sie drin sind, und fortwährend hört mans dann blasen, als wenn x Blasebälge arbeiteten. Ich denke mir, die Frau Burette hat allerhand Hexenwerk vor. Das denkt auch Herr Bradamanti, der oben im dritten Stock wohnt. O, das ist ein gar gelehrter Herr, dieser Bradamanti! Ein Italiener von Geburt, aber einer, der sich auf alle Kräuter versteht und den Menschen die Zähne auszieht wie das Donnerwetter, auch mit einem Haarwasser handelt, das an jeder Stelle des menschlichen Körpers einen richtigen Pelz hervorzaubert, sobald es, heißt das, genau nach Vorschrift angewandt wird, die nun freilich etwas sehr kompliziert sein soll. Er schneidet auch Hühneraugen und versteht, kranke Magen auszupumpen, und allerhand schöne Künste noch. Seit etwa vier Wochen hat Rotarm ihm seinen lahmen Jungen in die Lehre gegeben, um ihm Zucht und Sitte beizubringen, denn Rotarm hat alles Ernstes Bange, daß der Junge, wenn er ihn weiter so verwildern läßt, noch einmal am Galgen baumelt. Und so unrecht mag er damit wohl auch nicht haben, denn der Junge ist tatsächlich boshaft wie ein Affe und spielt dem ehrlichen Bradamanti manchen Teufelsstreich. Und Bradamanti hat schließlich auch Ursache, den Vorsichtskommissarius zu spielen, denn hin und wieder wird er auch von Mädchen aufgesucht, die unter den Folgen eines zu liebevollen Herzens zu leiden haben ...«

      Die Pförtnersfrau raunte Rudolf ein paar Worte ins Ohr, die ihm ein gewisses Gruseln verursachten ... »Das sind ja recht garstige Geschichten,« sagte er, »die Sie da erzählen,« und blickte sich entsetzt um, als ob auf dem Hause ein böser Fluch laste ... »Sind denn solche Schandtaten wirklich möglich?« sagte er halblaut vor sich hin, »und kann ein Mensch dabei so ruhig und gleichgiltig bleiben wie diese alte Frau, wenn sie einem solch gräßliche Dinge mitteilt?« Und wieder dachte er des Briefes an den Scharlatan, der auf so geringwertiges Papier mit verstellter Hand geschrieben und dessen Adresse zum Teil verwischt war. In den Tränen, die darauf gefallen waren, meinte er den Schlüssel zu einem grausigen Drama zu wittern, und eine Ahnung schien ihm zu sagen, daß die über den Italiener im Umlauf befindlichen schrecklichen Gerüchte des triftigen Grundes nicht entbehrten!

      Zweites Kapitel. Herr Pipelet, der Pförtner.

      Der Leser möge dessen eingedenk bleiben, daß sich die Ereignisse, von denen hier die Rede ist, im Jahre 1838 zutrugen. Als eine Figur dieser Zeit mag er sich auch den Mann vorstellen, mit dem wir uns jetzt befassen müssen. Ernst und bedächtig tritt er in die Stube herein, der Mann mit der Riesennase, dem Riesenschmerbauch und dem Pachuner-Gesicht, das an die alten Nußknacker Alt-Nürnbergs erinnert, der den Namen Pipelet trägt und nun wohl an sechzig Jahre zählen mag. Sein Haupt ist bedeckt mit einem breitkrempigen Hute, den das hohe Alter rostrot gefärbt hat. Der alte grüne Frack, den er trägt, hat ein paar Riesenschöße, die vor Speck glänzen, und Klappen, die so starr von Schmutz geworden sind, daß sie richtig vom Leibe abstehen.

      Der Mann grüßte Rudolf zwar freundlich, aber in die Freundlichkeit war herber Wermut gemischt. – »Du, Alfred,« sagte die Frau, »der Herr will die Stube mit dem Kabinett oben im vierten Stock mieten, wir haben auf dich gewartet und unterdes ein Gläschen von dem Besten da genippt.« – Diese Liberalität gewann Rudolf das Herz des Biedermanns auf der Stelle. Die Rechte an den Vorderrand seines rostfarbenen Hutes legend, sagte er mit einer eines Schulkantors nicht unwürdigen Baßstimme: »Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir alles zur vollsten Zufriedenheit verrichten werden, was unsers Amtes als Pförtner des Hauses ist, in welches Sie als Mieter einzuziehen die löbliche Absicht haben.« Darauf machte er eine Pause und setzte hinzu: »Bloß eins muß ich mir ausbedingen: Maler dürfen Sie nicht sein.« – »Warum nicht? Haben Sie schon mal einen Maler im Hause gehabt?« – »Leider, leider,« erwiderte Pipelet, »obendrein einen, der Cabrion hieß, der mir zugesetzt hat wie – na, wie ein Henker! Aber jetzt – jetzt gehört ihm meine Verachtung, meine maßlose Verachtung.« Und Pipelet ballte bei der Erinnerung an den Menschen, der ihn aufs Blut drangsaliert hatte, beide Fäuste.

      »War es der letzte Mieter der Wohnung, um die wir beide handeln?« fragte Rudolf. – »Nein. Nach ihm hat ein netter Mensch in der Wohnung gehaust: ein junges Kerlchen namens Germain, François Germain, und vor Germain hat Cabrion drin gewohnt. Aber an den, Herr, denke ich, so lange ich lebe. Das war ein Kerl, der einen ins Narrenhaus bringen konnte.« – Und in heftiger


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