Notarzt Dr. Winter 2 – Arztroman. Nina Kayser-Darius

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Notarzt Dr. Winter 2 – Arztroman - Nina Kayser-Darius


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an dem sich alle drei beteiligten. Erstaunt sah Esther, daß Mareike auch temperamentvoll ihre Meinung vertreten und richtig aus sich herausgehen konnte. Sieh mal einer an, dachte sie, sie ist gar nicht so sanft und still, wie ich immer dachte. Sie hat auch andere Seiten.

      Und John Tanner? Auch ihn hatte sie bisher noch nie so erlebt. Er war ihr sonst immer eher ernsthaft vorgekommen, aber heute lachte er mehrmals aus vollem Herzen. Schließlich hörte Esther auf, sich darüber Gedanken zu machen, und sie genoß es, sich mit den beiden zu unterhalten.

      Schon lange, so kam es ihr vor, hatte sie kein so interessantes Gespräch mehr geführt.

      *

      Als Mareike nach Hause kam, wirbelten noch immer tausend Gedanken durch ihren Kopf. Wie schön das Leben sein konnte, wenn man mit Menschen zusammen war, mit denen man sich gern unterhielt, die gut zuhören konnten und die über vieles, was in der Welt passierte, nachdachten. Ach, wenn sie doch nur einmal so mit Robert hätte reden können! Aber sobald sie es versuchte, lächelte er nur herablassend und sagte: »Zerbrich dir darüber nicht deinen hübschen Kopf, Mareike, das tun andere schon zur Genüge.«

      Als sie das Haus betrat, spürte sie sofort, daß etwas nicht in Ordnung war.

      Im nächsten Augenblick teilte ihr eins der Mädchen leise mit, Herr Sandberg habe einen Zusammenbruch erlitten, der Arzt sei bereits bei ihm gewesen.

      Die fröhliche Stimmung, die Mareike bis eben noch erfüllt hatte, verflog sofort. Sie eilte die Treppe hinauf in den ersten Stock und stand im nächsten Augenblick am Bett ihres Mannes, dem es sichtlich nicht gutging. Er war sehr blaß und atmete schwer. Das hinderte ihn jedoch keineswegs daran, sie böse anzufunkeln und zu sagen: »Niemand wußte, wo du warst. Ich liege hier seit Stunden und muß mich von Dienstboten versorgen lassen, während sich meine Frau Gott weiß wo herumtreibt!«

      »Aber Robert!« sagte sie erschrocken. »Ich war im Reitstall, das wußtest du doch.«

      »Ich habe dort angerufen, und man sagte mir, du seist bereits wieder fort. Das ist schon Stunden her.«

      »Ich habe mit einer Bekannten noch ein Glas Wein getrunken«, stammelte sie. »Ich konnte doch nicht wissen…«

      »Dein Platz ist hier!« sagte er herrisch.

      »Bei mir. Und nicht bei irgendwelchen Bekannten von irgendwelchen Reitclubs. Wie oft soll ich dir noch sagen, daß du endlich erwachsen werden sollst!«

      Sie sagte nichts mehr, es hatte ohnehin keinen Zweck. Er würde nur immer wütender werden, das wußte sie. Sie konnte es ihm nicht recht machen. Wäre sie hier gewesen, hätte er einen anderen Grund gefunden, um sie zu tadeln.

      »Was ist passiert?« fragte sie leise.

      »Schön, daß du dich auch schon dafür interessierst«, sagte er mit beißendem Spott. »Irgend so ein hergelaufener junger Arzt in einer Klinik hat mir erklärt, ich sei knapp an einem Schlaganfall vorbeigekommen.«

      »Was?« fragte sie entsetzt. »Welcher Arzt denn? Und in welcher Klinik bist du gewesen?«

      »Müller hat sich eingebildet, er müsse mich sofort in eine Klinik bringen«, antwortete ihr Mann mürrisch. »Er hat mich in die Kurfürsten-Klinik gebracht, und dort in der Notaufnahme hat sich so ein junger Schnösel wichtig gemacht.«

      Er schnaubte bei der Erinnerung daran, was er sich alles hatte anhören müssen, obwohl er nach wie vor zugeben mußte, daß ihn die ruhige Souveränität des jungen Arztes sehr beeindruckt hatte. Aber das wußte seine Frau nicht, und sie würde es auch nie erfahren.

      »Und was hat er gesagt, dieser Arzt?« fragte Mareike.

      »Nichts, was ich nicht längst weiß«, antwortete Robert Sandberg. »Wenig Alkohol, viel Bewegung, gesunde Ernährung, kein Stress – kurz gesagt, lauter dummes Zeug. Wir leben hier schließlich nicht auf einer Insel der Glückseligkeit. Ich kann die Welt nicht ändern, ich muß sie so nehmen, wie sie ist.«

      »Etwas könntest du schon ändern«, wagte sie einzuwenden. »Beim Essen und beim Alkohol zum Beispiel…«

      Eine steile Zornesfalte erschien auf seiner Stirn, und sie schwieg erschrocken. »Jetzt fang du nicht auch noch damit an!« rief er erbost. »Mir reicht’s für heute. Und jetzt laß mich allein, ich bin müde.«

      Sie zögerte, aber der Blick, mit dem er sie ansah, war so hart und kalt, daß sie tat, was er wünschte. »Gute Nacht, Robert«, sagte sie leise und ging aus dem Zimmer.

      *

      John Tanner arbeitete an einem Auftrag, den er von einem Museum bekommen hatte. Er restaurierte ein Gemälde aus dem siebzehnten Jahrhundert. Die Arbeit war knifflig und erforderte viel Geduld und handwerkliches Geschick. Normalerweise liebte er solche Aufgaben, aber heute schien es ihm, als habe er zwei linke Hände. Nichts wollte ihm gelingen, für alles brauchte er ewig lange Zeit.

      Stirnrunzelnd sah er auf das, was er bisher geschafft hatte. Es war fast nichts! Woran lag das nur? Sonst arbeitete er in den frühen Morgenstunden am besten, aber heute flogen seine Gedanken hierhin und dorthin, und diese Unkonzentriertheit rächte sich bitter. Dabei hatte er einen Termin, zu dem er die Arbeit abgeschlossen haben mußte. Er konnte es sich nicht leisten, herumzutrödeln.

      Erneut beugte er sich über das Bild. Die blonde Frau dort in der Ecke – hatte sie nicht Ähnlichkeit mit Mareike Sandberg? Er unterdrückte einen Fluch. Wenn er nicht endlich aufhörte, an sie zu denken, dann würde er mit seiner Arbeit nie fertig werden.

      Sie war eine reiche und schöne Frau, und verheiratet war sie auch. Warum nur konnte er nicht aufhören, an sie zu denken? Sie war für ihn völlig unerreichbar, und es wurde allerhöchste Zeit, daß er sich das klarmachte. Aber sein Herz spielte nicht mit. Sein Herz wollte träumen! Ende der Woche würden sie sich vermutlich sehen im Reitstall, sie hatte erwähnt, daß sie am Freitag dort sein wollte…

      Und allein, daß sie das getan hatte, brachte ihn nun fast um den Verstand. Warum hatte sie den Tag erwähnt? Sein Herz sagte: ›Weil sie dich sehen will‹, aber sein Verstand wußte, daß das unmöglich war. Er war kein Mann für eine Frau wie sie. Und sie war keine Frau für ein Abenteuer. Sie hatte, seit sie verheiratet war, sicherlich niemals einen anderen auch nur angesehen, während man von ihrem Mann ganz andere Geschichten hörte.

      Aber das ging ihn nichts an. Nie jedenfalls hatte Mareike Sandberg zu erkennen gegeben, daß sie mehr in ihm sah als einen Mann, der zufällig Pferde genauso liebte wie sie.

      Pferde… Er stieß einen lauten Seufzer aus. Eigentlich war er in diesem teueren Club völlig fehl am Platze, er konnte mit den meisten Leuten, die dort verkehrten, überhaupt nichts anfangen. Das war nicht seine Welt. Und wenn er nicht zufällig für den Besitzer des Clubs vor zwei Jahren eine sehr aufwendige Restaurierungsarbeit übernommen hätte – der Mann hatte eine sagenhafte Kunstsammlung in seiner Wohnung –, dann wäre er niemals in diesen Club gelangt. Aber damals war John mit seinem Auftraggeber irgendwann einmal auf die einzige Leidenschaft zu sprechen gekommen, die er außer seiner Arbeit noch hatte, und das waren Pferde.

      Schließlich hatte er die Arbeit abgeschlossen, und der Clubbesitzer war außerordentlich zufrieden gewesen. Mit Recht, fand John noch heute. Er hatte sich wirklich sehr viel Mühe gegeben, und er war auch gut dafür bezahlt worden. Aber nicht nur das: eines Tages hatte John eine Mitgliedskarte für den teuren Reitclub zugeschickt bekommen, ohne auch nur einen Cent dafür bezahlt zu haben. Sein Auftraggeber hatte also ihr Gespräch über Pferde nicht vergessen.

      Ja, so etwas gab es auch noch, selbst heute, wo doch die Menschen angeblich nur an sich selbst dachten.

      Aber ganz so war es offensichtlich doch nicht. Und wenn er nicht durch diesen Zufall in den teuren Club geraten wäre, hätte er Mareike Sandberg sicherlich niemals kennengelernt. Sie lebten einfach nicht in der gleichen Welt.

      Er konnte sich noch gut an seine Gedanken erinnern, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er hatte sie für eine von diesen schönen, verwöhnten Ehefrauen gehalten, die nichts anderes taten, als mit Freude das Geld ihrer Männer auszugeben.

      Unwillkürlich


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