Der kleine Fürst Classic 39 – Adelsroman. Viola Maybach

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Der kleine Fürst Classic 39 – Adelsroman - Viola Maybach


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ich leben möchte – jedenfalls nicht in seinem jetzigen Zustand.«

      Baron Friedrich, Sofias Mann, stimmte ihr zu. »Er hätte es längst modernisieren lassen sollen, man kann da einiges machen. So düster, wie es ist, muss es nicht bleiben.«

      Konrad, Annas sechzehnjähriger Bruder, mischte sich ein. »Wieso waren wir eigentlich noch nie dort? Ludwig kommt ja ab und zu her, selten genug, aber immerhin. Wir dagegen sind noch nie bei ihm gewesen.«

      »Er empfängt überhaupt keinen Besuch, das weiß doch jeder«, erklärte Anna altklug. »Er ist am liebsten allein. Warum eigentlich, Mama?«

      »Frag ihn selbst«, antwortete Sofia, »wenn du es wissen willst.«

      »Ich traue mich nicht«, erklärte Anna zum Erstaunen ihrer Eltern, denn ängstlich war ihre Tochter wahrhaftig nicht. »Er ist immer sehr nett zu uns, aber ich habe ihn schon mal erlebt, als er zornig geworden ist. Da hat ihn ein Fotograf belästigt – ehrlich, in der Haut des Fotografen hätte ich nicht stecken wollen. Ludwig hat zum Fürchten ausgesehen, um ein Haar wäre er auf den Mann losgegangen – zumindest hat er so ausgesehen.«

      »Er wünscht nun einmal nicht, dass in den Medien über ihn berichtet wird«, stellte Sofia fest, »und diesen Wunsch sollte man dann auch respektieren. Es gibt genügend andere mehr oder weniger prominente Menschen, die sich über ihr Bild in der Zeitung freuen.«

      »Ruf Lucie an und lad sie ein«, schlug der Baron vor. »Am besten zusammen mit Ludwig. Vielleicht kann sie ihn ja überreden, uns auch mal wieder mit einem Besuch zu erfreuen. Er hat sich lange nicht mehr sehen lassen.«

      Sofia versprach, das zu tun, dann wandte sich das Gespräch anderen Themen zu.

      *

      »Durchlaucht?« Samuel Johnson, Butler auf Schloss Greifenstein und einer der wenigen Menschen, die der junge Fürst in seiner Nähe duldete, wartete, bis Ludwig aufsah, bevor er fortfuhr: »Die gnädige Frau ist eingetroffen. Sie hatten ja gesagt, dass Sie sie selbst in Empfang nehmen wollen. Das Taxi hat soeben das Tor passiert.«

      »Danke, Sam«, sagte Ludwig und erhob sich. »Dann wollen wir mal.«

      Er verließ sein Arbeitszimmer und eilte die breite Treppe hinunter, um die breite Flügeltür zu öffnen, vor der genau in diesem Augenblick ein Taxi hielt. Ihm entstieg eine lebhafte junge Frau, die mit dem Ausruf: »Ludwig!« und ausgebreiteten Armen auf ihn zustürzte.

      Er schloss seine Cousine Lucie von Rethmann in die Arme. Als Kinder waren sie unzertrennlich gewesen. Vor allem Lucie, das Einzelkind, hatte sich nach Geschwis­tern gesehnt und sie in Ludwig und seiner Schwester gefunden. Er verdrängte den Gedanken schnell.

      Lucie schob ihn von sich und betrachtete ihn aufmerksam. Dann nickte sie, als hätte sie gefunden, was sie gesucht hatte. »Es wurde Zeit, dass ich komme«, stellte sie fest.

      Er ging auf diese Worte nicht ein, sondern erwiderte: »Du siehst gut aus, Lucie. Das Leben im Indischen Ozean bekommt dir.« Lucies helle Haut war sanft getönt, ihre hellbraunen Haare ringelten sich in kleinen Löckchen um ihren Kopf. Sie trug sie ziemlich kurz geschnitten, was ihr ein sehr mädchenhaftes Aussehen verlieh, ein Eindruck, der durch ihre zierliche Figur noch unterstützt wurde.

      Sie lachte und hakte sich bei ihm unter, nachdem sie zuvor Samuel Johnson begrüßt hatte. Gleich darauf betraten sie das Schloss. »Natürlich bekommt mir das Leben dort gut«, erklärte Lucie. »Ich bin von Licht und Wärme umgeben, das vertreibt dunkle Gedanken.« Unwillkürlich erschauerte sie und ließ ihre Augen durch die Eingangshalle von Greifenstein wandern. »Hier dagegen …«, murmelte sie. »Ich vergesse immer wieder, wie düster und kalt dieses Gemäuer wirkt, Ludwig. Wie hältst du das nur aus?«

      »Es ist das Schloss meiner Familie«, erklärte er steif. »Ich bin hier aufgewachsen, Lucie – ich kann mich nicht davon trennen.«

      »Das musst du doch auch gar nicht!«, rief sie. »Aber lass mehr Luft und Licht herein, dazu brauchst du doch bloß ein paar von den zugemauerten Fensteröffnungen wieder aufzubrechen. Das war sowieso eine schwachsinnige Idee von einem deiner Vorfahren, ich möchte mal wissen, warum er das hat …«

      Er unterbrach sie mit den Worten: »Vielleicht mache ich das ja irgendwann!«

      Sie begriff, dass sie behutsamer vorgehen musste und nickte daher nur zustimmend. Er bat sie in den Salon, der am freundlichsten wirkte, doch Lucie empfand die Atmo­sphäre auch hier als bedrückend, was sie freilich für sich behielt. Ludwig, ihren gut aussehenden, immer fröhlichen Cousin gab es schon seit Jahren nicht mehr. Aber wie sollte sie ihm klarmachen, dass es niemandem half, wenn er sich hier vergrub?

      »Lucie?« Ludwig sah sie fragend an.

      »Entschuldige, ich war in Gedanken«, erklärte sie. »Was wolltest du wissen?«

      »Wie lange du bleiben kannst. Und ob du von hier aus noch andere Besuche machen willst.«

      »Nach Sternberg möchte ich gern, aber sonst …« Sie schüttelte den Kopf. »Sonst habe ich nichts vor.«

      »Sternberg«, sagte er nachdenklich. Er sah auf, als sein Butler mit dem Tee hereinkam. »Danke, Sam, wir bedienen uns schon selbst.«

      »Haben Sie sonst noch Wünsche, Durchlaucht?«

      »Im Augenblick nicht, vielen Dank. Oder hättest du gern noch etwas, Lucie?«

      »Nein, alles ist schön so, wie es ist. Danke, Sam.«

      »Sternberg«, wiederholte der junge Fürst, als sie wieder allein waren. »Wenn du hinfährst, begleite ich dich vielleicht.«

      Lucie lächelte erfreut. »Das wollte ich dir vorschlagen, aber da ich deine Abneigung gegen Besuche kenne, war ich nicht sehr zuversichtlich, muss ich gestehen.« Sie rührte nachdenklich in ihrer Tasse. »Wie geht es Christian eigentlich, Ludwig? Ich konnte ja leider nicht zur Beerdigung seiner Eltern kommen. Er ist erst fünfzehn, meine Güte …«

      »Ja, der kleine Fürst«, murmelte Ludwig.

      »Ach, heißt er immer noch so? Er ist doch aber bestimmt gar nicht mehr klein, oder?«

      »Der Name wird ihm bleiben, Lucie, bis er achtzehn ist und der nächste Fürst von Sternberg wird. Sofia erzählte mir, dass Chris den Namen gern hat, weil er liebevoll gemeint ist. Du fragst, wie es ihm geht. Ich hörte, dass der Junge reifer geworden ist, ernster natürlich auch, dass er aber, dank der Unterstützung durch die Familie seiner Tante, alles relativ gut verkraftet hat.«

      Sofia von Kant war die Schwes­ter von Christians verstorbener Mutter gewesen – nach dem Unfalltod des Fürstenpaares hatten sie und ihr Mann ihren Neffen als drittes Kind in die Familie aufgenommen. Da die Kants schon seit vielen Jahren ebenfalls auf Sternberg lebten, hatte der Junge in seiner gewohnten Umgebung bleiben können.

      »Sternberg ist einer der wenigen Orte, an denen ich mich wohlfühle«, fuhr Ludwig fort. »Da brauche ich mich nicht zu verstellen, ich kann so sein, wie ich bin.«

      »Wieso – kannst du das woanders nicht?«

      Er schüttelte den Kopf. »Heutzutage muss man ja immer gut gelaunt sein, sonst wird man sofort gefragt, was einem fehlt. Ich hasse das, Lucie.«

      Sie begriff, dass sie noch vorsichtiger sein musste als angenommen. Sie hatten einander zwei lange Jahre nicht gesehen, und in diesen Jahren war sein Schmerz nicht kleiner, sondern größer geworden. Damit hatte sie nicht gerechnet. Er wirkte jetzt beinahe verbittert, wie ein deutlich älterer Mann. Niemand wäre bei seinem Anblick auf die Idee gekommen, dass er erst zweiunddreißig war. Er sah eher wie ein Mann von Anfang Vierzig aus. Ein sehr gut aussehender Mann von Anfang Vierzig.

      Dennoch würde sie versuchen, ihn auf die Art und Weise anzusprechen, wie er lebte, seit … seit damals. Es konnte doch nicht angehen, dass er sich weiterhin hier vergrub und einfach zusah, wie sein Leben langsam verrann.

      In ihre Gedanken hinein sagte er: »Es ist etwas Seltsames passiert, Lucie. Möglicherweise heirate ich bald.«

      Vor Überraschung verschüttete sie ein wenig Tee. »Wie


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