Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus
Читать онлайн книгу.ihm die Todesstrafe oder Lynchjustiz geblüht. Burton war bei Weitem nicht der erste, aber einer der bis dahin an zwei Händen abzuzählenden europäischen Christen, die Mut und Unverschämtheit genug besaβen, das Risiko einzugehen, und das Spiel gewannen.
Ein halbes Jahr nach seiner Hadsch, im Frühjahr 1854, befand sich Burton in Aden, dem Gibraltar des Orients, und bereitete einen neuen Trip vor, wiederum im Auftrag der Royal Geographical Society. Sein Plan war, von der gegenüberliegenden Somaliküste über Harar ins östliche Afrika südlich des Äquators vorzudringen, wenn möglich die groβen Seen zu finden, von denen man durch arabische Reisende gehört hatte, und schlieβlich Sansibar zu erreichen. Das Somaliland war bis auf ein paar Handelsplätze an der Küste noch Terra incognita, über Harar gab es nur unbestimmte Nachrichten, man wusste, dass die Stadt ein Stapelplatz für Kaffee und dieser Kaffee noch besser als der von Mokka war. Harar sollte ein Hort strenggläubiger Muslims und islamischer Gelehrsamkeit sein, jede Menge Moscheen besitzen und viele Heilige hervorgebracht oder angezogen haben. Einige Europäer hatten vergeblich versucht, dieses Timbuktu des östlichen Afrikas zu erreichen, den Gerüchten zufolge wurde jeder Franke (Christ), der Harar betrat, getötet. Nach alter Überlieferung hing das Heil Harars davon ab, dass die Stadt von Ungläubigen rein blieb, besonders die Engländer waren verhasst, weil sie dem Sklavenhandel Steine in den Weg legten. Doch nicht Harar, sondern der Weg dorthin erwies sich als Problem.
Das Projekt, bei dessen Ausführung Burton von drei weiteren Offizieren der Ostindischen Kompanie begleitet werden sollte, musste wegen der Feindseligkeit der Eingeborenen und akuter Stammesfehden zunächst aufgeschoben werden. Im Herbst 1854 gingen die Teilnehmer der Expedition dann zur Sondierung des Terrains an verschiedene Stellen der Somaliküste: Lieutenant Herne nach Berbera, wo Lieutenant Stroyan später zu ihm stieβ, Lieutenant Speke, der zuvor in Tibet und im Himalaya herumgestiefelt war, nach Kuyarat, von wo er ins Hinterland zog, Burton selbst nach Zeila, wo er erfuhr, dass zwischen dem Emir von Harar und dem Gouverneur von Zeila, Statthalter des türkischen Paschas von Westarabien, offene Feindschaft ausgebrochen und der Weg nach Harar unpassierbar war. Zeila wies ein Dutzend steinerne Häuser und einige hundert Hütten auf, Burton verbrachte dort 26 eintönige Tage, wartete auf bessere Nachrichten, kaufte Kamele und Maultiere, suchte einen guten Führer und Beschützer, warf sich in die Robe eines arabischen Kaufmanns und zog Ende November mit seinem Tross aus Lastkamelen und Reittieren, Kameltreibern und zwei munteren, wohlbeleibten Köchinnen, die er Scheherazade und Dinharazade nannte, in die somalische Wüste.
Nach 202 englischen Meilen, häufigem Wechsel des Führers je nach Stammesgebiet, einigen Umwegen und Ausweichmanövern, Eifersüchteleien zwischen Angehörigen verschiedener Clans, Verzögerungen wegen Blutfehden, nach vielen Palavern, Schutzgeldzahlungen und Geschenken an verdiente Würdenträger und der ständigen Austeilung von Tabak an aufdringliche Beduinen, nach übergebührlichem Genuss verdorbenen Wassers und einem schmählichen Durchfall ritt Burton am 3. Januar 1855 in Harar ein. Kurz vor Erreichen der Stadt beschloss er, entgegen seiner ursprünglichen Absicht als Europäer aufzutreten, da man ihn wegen seines weiβen Gesichts für einen Türken gehalten hätte und die Türken hier noch schlechter gelitten waren als die Europäer. Von Weitem sah die Stadt wie eine lange dunkle Linie mit zwei Minaretten aus, Burton wurde vom Stadttor zum Palast geleitet, der nichts weiter war als ein groβer, einstöckiger Schuppen aus rohem Stein und roter Tonerde ohne Fenster. Der Emir oder – wie er sich selbst betitelte – Sultan von Harar gewährte Burton eine Audienz, er sah aus wie ein kleiner indischer Radscha, fragte Burton nach dem Grund seines Kommens, Burton antwortete wie auch später in einer Audienz beim Wesir, er sei als Emissär des englischen Gouverneurs von Aden gekommen, die Engländer von Aden wünschten mit dem Sultan von Harar in freundschaftliche Handelsbeziehungen zu treten. Der Emir nahm ihn gnädig auf und wies ihm und seinem Gefolge einen zweiten »Palast« als Wohnhaus an. In den Straβen staunte das Volk Burton an und war überrascht, dass er den Kopf noch auf dem Rumpf trug.
Harar bestand aus langen, steinernen Wohnhäusern mit flachen Dächern, die ärmeren Leute lebten in Hütten wie im Kral, es gab keine Gärten und nur wenige Bäume, die engen Gassen liefen bergauf und bergab und waren voller Schmutzhaufen. Die lange Stadtmauer mit ihren fünf Toren, die abends geschlossen und deren Schlüssel dem Emir ausgehändigt wurden, war einige Jahre zuvor ausgebessert worden, weil durch die Löcher im Mauerwerk des Nachts Hyänen krochen und die Stadt unsicher machten. Die Mauern und Türme waren »ohne alle Kunst« gebaut, so Burton, an Moscheen herrschte kein Mangel, es waren aber nur ganz schlichte, kleine, unauffällige Gebäude ohne Minarette. Das gröβte Bauwerk war die Hauptmoschee, ein langer Schober von ärmlichem Aussehen, dessen zwei Minarette türkische Baumeister aus Mokka und Hodeida errichtet hatten. Harar war stolz darauf, Sitz der Gelehrsamkeit und Heiligkeit zu sein, ganze Scharen bettelhafter Beflissener der Gottesgelehrtheit trieben sich in der Stadt herum und überschwemmten das Land, aber wissenschaftliche Einrichtungen waren nicht vorhanden und Bücher selten und teuer. Die Studenten wurden nur theologisch und natürlich sehr dürftig »abgerichtet«, und der Fanatismus, besonders Christen gegenüber, stand in Blüte. Harar war im Wesentlichen Handelsstadt, doch die Bürger waren ungemein träge und lebten hauptsächlich davon, dass sie die Beduinen betrogen. Nach zehn Tagen Aufenthalt bat Burton den Emir um Entlassung, und als er die Stadt verlassen durfte, fiel eine zentnerschwere Last von ihm. Sobald er in Sicherheit war, legte er ein kleines Wörterbuch der Harari-Sprache an, in der Stadt war er so scharf überwacht worden, dass er es sich nicht hatte erlauben können zu schreiben. Von Burton heiβt es, dass er alle paar Monate ein neues Idiom erlernte und am Ende 29 Sprachen und zwölf Dialekte sprach, die er sich manchmal unter widrigen Umständen angeeignet hatte: Persisch, Hindustani, Amhara-Äthiopisch, Kisuaheli … Sogar die Sprache oder den Dialekt der Affen, die er sich in Indien gehalten und die bei ihm zu Tisch gesessen, hatte er zu verstehen und nachzuahmen gehofft. Spätestens auf seiner Pilgertour nach Mekka hatte er gelernt, nicht mit Federhalter oder Bleistift in der Hand gesehen und beim Schreiben oder Zeichnen ertappt zu werden, um nicht Verdacht zu erregen und als Spion oder Zauberer angesehen und erschlagen zu werden. Nichts machte den Leuten mehr Kopfzerbrechen als die fränkische Gewohnheit, alles auf Papier zu bannen.
Burtons Ausflug nach Harar zeigte, dass dieses kleine Emirat weder ein Hindernis auf dem Weg nach Äquatorialafrika, noch auf dem Höhenflug zum Entdeckerruhm darstellte und nicht permanente irdische Zwischenstation auf dem Weg ins himmlische Paradies bleiben musste. Über Berbera ging Burton zurück nach Aden, zwei Monate später, im April 1855, setzte er wieder nach Berbera über, um eine britische Handelsstation anzulegen und zusammen mit seinen Offizierskollegen von dort über Harar weiter nach Süden vorzustoβen. Berbera war von den Briten offenbar übersehen worden, als sie Aden in Besitz nahmen, Berbera hatte ein viel besseres Klima und wäre jetzt eine blühende Stadt gewesen, so aber war es eine Anhäufung schmutziger Hütten geblieben und wegen der Müllberge »im höchsten Grade ekelhaft«. Seit November herrschte in Berbera Markt, zuletzt war die groβe jährliche Karawane aus Harar mit 3000 Tieren und 3000 Menschen eingetroffen. Wenige Tage nach Ankunft Burtons und seiner Mitstreiter begann der Monsunregen, daraufhin zogen die Karawanen ab, weil nun für den Rückweg kein Wassermangel zu befürchten stand. Mitte April stach das letzte der Kauffahrtschiffe, die von Indien und Arabien zu kommen pflegten, in See, und die 42 Mitglieder der britischen Expedition blieben mit ihren 56 Kamelen allein am Strand von Berbera zurück. Vier Tage später wurden sie nachts von etwa 350 Bewaffneten überfallen.
Lieutenant Stroyan fiel gleich zu Beginn des Kampfes, die anderen drei Offiziere sprangen aus dem Zelt, als es von den Angreifern niedergerissen wurde. Burton schlug sich durch das Gewühl vor dem Eingang, bekam mehr als einen Keulenschlag ab, ein Somali rammte ihm einen Speer in den Mund, es gelang ihm noch, sich abzusondern, als der Tag anbrach, wurde er auf ein kurz vorher eingelaufenes Schiff aus Aden getragen. Lieutenant Herne hatte lediglich ein paar Keulenschläge einstecken müssen, Lieutenant Speke war verwundet und gefangen worden, hatte sich aber befreien können und ans Ufer geschleppt, ein Teil der Mannschaft und der Dienerschaft hatte sich aufs Schiff gerettet. Am Morgen, als die Somali mit der Beute abgezogen waren, fand man Stroyans Leiche, am Vorderkopf wies sie das Zeichen eines fürchterlichen Säbelhiebs auf, am ganzen Leib die Spuren von Keulenschlägen, ein Speer hatte den Unterleib, ein anderer das Herz durchbohrt. Nach diesem Debakel wurde die Expedition abgebrochen, im folgenden Jahr gingen Burton und Speke nach Sansibar und von der Suaheliküste auf die Suche nach den groβen Seen und der Nilquelle,