Luisas Abenteuer. Carola Wegerle
Читать онлайн книгу.bekommen haben. Ich muss eingedöst sein, wie blöd bin ich denn, so kurz vor dem Ziel, denkt sie. Wieso hat sie den letzten Ruck auf dieser verrückten Fahrt nicht mitbekommen? Erst, als einer der zwei Pferdeentführer die Halterungen löste, ein hässliches Metallgeräusch, brutal, und Racker mit seiner Peitsche überreden wollte auszusteigen, wurde sie wach. Kein Wunder, Racker wiehert, was seine Lungen hergeben, und tänzelt in dem engen Viereck, das ihn gefangen hält, als wolle er Samba tanzen. Und plötzlich kommt ein Mann angerannt, der das Gleiche will wie Luisa: den Mann mit der Peitsche ganz entschieden daran hindern, sie einzusetzen. Um ungesehen zu verschwinden, ist es jetzt zu spät, so viel ist Luisa klar, und für eine Begrüßung bleibt keine Zeit: Racker ist wieder so im Stress, dass er klatschnass ist. Der Mann stößt den Peitschentyp energisch weg und tätschelt beruhigend Rackers rechten Hinterschenkel. Luisa klammert sich an sein linkes Vorderbein. Sie bekommt sein Halfter zu fassen.
„Ruhig, ruhig“, sagen beide – eine hohe und eine tiefe Stimme, die Racker zu Luisas Erstaunen beide kennt, denn seine Ohren signalisieren deutlich, dass ihm der Klang vertraut ist. Sehr sicher wirkt der Mann, als er Racker behutsam über die Rampe auf weichen Boden führt. Luisa hilft aus dem Hänger nach.
Das „Ruhig, ruhig“ der beiden scheint Racker tatsächlich zu besänftigen. Doch kaum ist er unten, dreht sich ihr braver Wallach unvermittelt um und trommelt wütend mit den Hinterhufen an den Hänger. Schnell greift der Mann nach dem Halfter.
„Komm, mein Großer, jetzt zeig‘ ich dir erst einmal deine Box. Dort kannst du dich ein bisschen ausruhen.“ Racker schnaubt. Er schüttelt den Kopf. Dann guckt er Luisa an. Sie legt ihm die Hand an den Hals, tätschelt ihn.
„Ich glaube, eine Box ist gut, Racker. Dort reibe ich dich als erstes ab. – Ähm, ich meine, ich wollte ...“ Unsicher blickt sie den Mann an. Der lacht. Und schüttelt den Kopf.
„Sag mal, frierst du nicht ohne Jacke?“ Luisa zuckt mit den Schultern. Aber ihr ist klar, dass er sieht, wie sie vor Kälte schlottert. „Schon.“
Der Mann nimmt einem anderen, der aus einem dunklen Gebäude kommt, eine Abschwitzdecke ab und wirft sie Racker über.
„Jan, da drin hängt doch noch die alte Jacke von Lena.“ Jan guckt irritiert zu Luisa, nickt und verschwindet wieder im Haus.
Der Mann steuert auf ein flaches Gebäude zu, Racker führt er fest am Halfter. Luisa trabt auf der anderen Seite ihres Fuchses mit. Egal, wie merkwürdig diese Situation ist, sie lässt das verwirrte Pferd jetzt nicht allein.
„Sören“, ruft er ihr über Rackers flatternde Mähne hinweg zu. Der Wind ist heftig. Und sehr kalt, und er riecht nach Meer. Salzig. Aufregend. Anders als der Wind, den sie kennt. Und so, dass er einen wegpusten könnte.
„Luisa!“, ruft sie zurück.
Sören? Das ist doch ... Der Vampir! Also, nein, das ist er sicher nicht. Auch wenn er ziemlich dunkle Sachen anhat und – Luisas staunt – superteure Reitstiefel. Er öffnet jetzt das Stalltor, per Fernbedienung. Zwei riesengroße Stahl-, nein, Luisa atmet erleichtert auf, denn sie ist schon ziemlich öko, Holztore schieben sich lautlos auseinander. Ein High Tech-Gestüt.
Aber innen riecht es wie in jedem Stall. Gut. Luisa fühlt sich gleich zu Hause. Stroh, Pferdemist, einfach Pferd – sie könnte diesen Geruch auffressen. Es ist ein großer Stall, bestimmt stehen hier zwanzig Pferde, denkt sie und reißt die Augen auf. Jan hat sie eingeholt. Seine hellblonden Haare stehen strubbelig in alle Richtungen. Er drückt Luisa eine silberne Jacke in die Hand, entriegelt die Boxentür und – sie hält den Atem an -, Racker spaziert hinein, als wäre das sein gewohntes Zuhause. Am Hafer schnuppert er aber nur, und das Wasser beachtet er nicht. Sören nimmt Racker die Decke ab. „Du willst ihn trockenreiben?“, fragt er grinsend.
„Er mag das. Viel lieber als die Decke.“
Jan hat alles mitgebracht, was sie dafür braucht. Der Putzkasten ist ganz neu und scheint auf Racker gewartet zu haben. Warum grinsen denn jetzt alle beide? Das ist ja nicht zum Aushalten! Sie greift nach einem Schweißmesser und frischem Stroh, während Sören die Decke an Jan weiterreicht, der sie betont langsam und sehr akkurat faltet. Luisa spürt, wie eine dickflüssige, ziemlich heiße Wut in ihr hochkocht. Die beiden machen sich über sie lustig, klar. Und gucken auch noch wohlwollend zu, wie sie ihr Pferd trockenreibt. Mein Pferd? Jetzt rutscht die Wut zu einem Klumpen zusammen und bleibt in ihrem Magen hängen. Racker gehört diesem Fiesling. Diesem reichen Fatzke. Und ein Quarter ist so teuer, dass sie sich bestimmt nie im Leben so ein Rassepferd leisten könnte. Sie wird immer nur die Pferde anderer trockenreiben. Aber Racker reibt sie gern trocken. Wenigstens ist sie bei ihm. Sie will immer bei ihm bleiben.
„Wissen deine Eltern, wo du bist?“
Klar, die Frage musste ja kommen.
„Nein“, sagt sie so burschikos wie möglich und reibt einfach weiter. Racker scheint es zu genießen.
„Du bist das Mädchen, das so gut für Racker gesorgt hat, nicht?“
Luisa räuspert sich. Aha, hat Hauser der Rotkopf das dem Herrn doch verklickert. Auf eine Antwort verzichtet sie. Bloß nicht vor dem Kerl in Tränen ausbrechen ...
Er mustert sie ausgiebig. Endlich hört er auf zu grinsen. „Steckt dein Telefon in deiner Jackentasche?“ Luisa reibt ein wenig langsamer und dann in Zeitlupe. „Hmh, ja.“
„Dann sollten wir sie jetzt schnell mal anrufen, nicht?“, meint er. Luisa nickt. Jan nimmt Luisa das Schweißmesser aus der Hand, und sie folgt dem Mann, dem ihr Pferd gehört, mit hängendem Kopf nach draußen. Racker schnaubt leise. „Ich bin gleich wieder da“, sagt sie und hofft, dass das stimmt.
Der Mann zieht sein Handy aus der Jackentasche und reicht es ihr, sehr nachdrücklich, wie Luisa findet. Sie erschrickt: es ist kurz vor zwei! Das Herz bleibt ihr stehen. Was müssen ihre Eltern in den letzten Stunden für eine Angst ausgestanden haben! Sie zögert. Und wenn sie schlafen? Dann sind sie sicher wütend, dass Luisa sie geweckt hat. Aber ...
Der Mann nimmt ihr das Telefon aus der Hand. „Die Nummer“, sagt er nur. Luisas kommt sich sehr blöd vor, als sie ihm Zahl für Zahl die Telefonnummer ihrer Eltern zunuschelt.
Nach dem ersten Klingelton wird abgehoben. „Kestgen“, stellt sich der Mann vor, „Sören Kestgen. Luisa ist hier bei mir, in Neusunderklam – Norddeutschland. – Sie ist mit meinem Pferd mitgefahren. Ja, Racker. Das ist mein Pferd. – Ja, ich kann es mir vorstellen. – Frau Heimann, heute Nacht gehen hier keine Züge mehr. Aber gleich morgen früh bringe ich Ihre Tochter zum Bahnhof in die Stadt und – ja, natürlich kaufe ich ihr eine Karte, ich bitte Sie. Ja.“ Er hält Luisa das Telefon ans Ohr. „Luisa?“, ruft ihre Mutter total aufgelöst. „Luisa, bitte, sag was!“
„Hallo Mama“, sagt sie, weil ihr absolut nichts einfällt, was sie jetzt zu ihrer Mutter sagen könnte.
„Geht es dir gut?” „Ja, Mama, alles in Ordnung, wirklich. – Nein. Papa, äh, ja, Papa. Mach ich. Ja, klar. – Ja.“
Sie drückt das Gespräch weg. „Ich soll Ihnen sagen, dass meine Eltern selbstverständlich für Ihre Unkosten aufkommen. - Äh, eigentlich ich. Ich verdiene nämlich.“
„Ich weiß, bei Herrn Hauser im Reitstall.“
„Nein, dort verdiene ich schon, aber nur die Stunden mit Racker. Ich reite ihn aus, wissen sie.“
„Und wo verdienst du dann?“
Racker wiehert. Seine Stimme würde Luisas über zehn Kilometer erkennen. Über zwanzig, fünfzig Kilometer ...
„Oh bitte, ich will wieder rein zu Racker. Darf ich?“ Der Mann nickt. Sören. Er lässt sie vorangehen. Racker wendet den Kopf, schnaubt. Jans Massage scheint er jedoch zu genießen. Luisa greift nach frischem Stroh.
Sören blickt Jan an. Dann wenden beide sich Luisa zu.
„Jetzt kommt sie, seine ziemlich beste Idee heute“, grinst Jan. Und Sören sagt: „Wir haben ein Gästebett. Frisch bezogen. Aber wir könnten dir auch ´ne Matratze hier