Nacht und Hoffnungslichter. Йозеф Рот

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Nacht und Hoffnungslichter - Йозеф Рот


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Wachmann seinem Titel Ehre und stand vor dem Friedrichspalais. Ich dachte, das wäre eine Ehrenwache. Denn der Wachmann vor dem Friedrichspalais schien mir noch – sagen wir: wachmännischer – als seine Kollegen. Seine weißen Handschuhe hauchten Festlichkeit. Seine Metallknöpfe glänzten Würde. Seine Haltung war die eines Kandelabers. Er war gewiß eine Ehrenwache.

      Aber einmal war der Erzherzog Friedrich weg, und der Wachmann stand dennoch vor dem Palais. Aha! Dachte ich, er bewacht also doch die Schätze!

      Seit der Einführung der Republik ist der Wachmann verschwunden. Zwar sind ja wertvolle Gemälde und Kostbarkeiten geblieben. Aber Friedrich ist fort!

      Der Wachmann war doch eine Ehrenwache. Warum war er aber auch in Friedrichs Abwesenheit auf seinem Posten gestanden? Eben nicht als Ehrenwache, sondern als Bewachungsposten. Denn solange Friedrich Erzherzog war und die Monarchie eine Monarchie, mußte man Schätze bewachen. Jetzt, denkt die Behörde, da der Erzherzog – Friedrich ist und die Monarchie Republik heißt, können sie uns gestohlen werden. Um sich republikanisch zu erweisen, schaffte sie den Ehren- und Bewachungsposten vor dem Friedrichspalais ab. Den Friedrich konnte man noch zur Not bewachen. Die Schätze nicht. Würde man diese bewachen, so würden die Leute glauben, man bewache jenen. Mit Recht: Denn wann hatte man schon in Wien etwas Wertvolleres als einen Friedrich bewacht? Doch nur, nachdem es gestohlen worden war! …

      Josephus

      Der Neue Tag, 28.9.1919

      ZWEI

      Ein Pferd war wieder einmal so unvernünftig gewesen, auf dem holprigsten Pflaster einer engen Gasse zusammenzubrechen. Es lag keuchend und schweratmend da. Sein Fell war naß vom Schweiß, und die Haare bildeten kleine, feuchte Borstenbüschel.

      Rings um den gestürzten Gaul stand das »Volk«; ein Konglomerat aus Schaulust und Arbeitslosigkeit. Das Pferd schielte mit seinem großen triefenden Auge durch die obere Spalte der Scheuklappe verächtlich auf die Menge, die ihm noch seine letzte Stunde verbitterte. Das Volk hatte so etwas wie eine Vision vom Tode: »Dös halt’s nimmer aus!«; »A Stund’ no!«; »Recht hat er!« Ein Philosoph sagte: »Das Gescheiteste, was a Vieh heutzutag’ machen kann, bei die Futterpreise!« In den Mienen der Leute glänzte Bewunderung für das Pferd, das die Weisheit besaß zu krepieren. Ein hagerer Mensch in einem schwindsüchtigen Rock, dessen Hals innerhalb der Grenzen eines blaukarierten Kragens ratlos herumirrte wie ein Federstiel in einem weiten, leeren Tintenfaß, bekam allmählich die Physiognomie des personifizierten Neides. Er machte unbewußt die Todeszukkungen des Pferdes mit und schien jeden Augenblick sich auf das Pflaster hinlegen zu wollen. Die Augen der umstehenden bekamen alle denselben gläsernen Schimmer. Es war schließlich nur ein Augenpaar. Die Augen des Volkes, eines Konglomerats aus Schaulust und Arbeitslosigkeit, aus Hunger und Neid. Die Augen schillerten böse: Der hat’s überstanden. Warum sind wir keine Gäule?

      Als das Pferd schließlich seinen letzten Atemzug getan hatte, zerstreute sich die Menge, traurig, unsagbar traurig. Nicht über den Tod des Tieres, sondern über ihren eigenen Fortbestand.

      Als ich in die nächste Gasse einbog, sah ich ein vor einem Rinnstein zusammengebrochenes Wesen. Sein Gesicht hatte die Züge des Pferdes, das ich soeben sterben gesehen. Aber es war zufällig ein Mensch. Auch »bei die Futterpreise!« im Sterben begriffen. Ringsum war kein Atom von »Volk« zu sehen. Nur ein Hund, der sich mehr zum Rinnstein hingezogen fühlte, schnupperte an dem Knochenhäuflein herum. Ein Mensch war zusammengestürzt. Kein Pferd kümmerte sich um ihn.

      Denn die Pferde sind weise und sterben mitten auf dem holprigen Pflaster. Ein Mensch sucht sich eine stille Straßenecke. Mit Recht: Denn wenn er selbst mitten auf dem Ring stürbe, kein »Volk« würde ihn beneiden. Daß ein Pferd stirbt, selbst »bei die Futterpreise«, ist immer noch eine Sehnswürdigkeit. Aber daß ein Mensch stirbt, ist »bei die Futterpreise« schon selbstverständlich.

       Papier

      Das ist die Materie, die allgegenwärtig und unüberwindbar den Leitartikel wie eine Fahne über dem Jammer unserer Gegenwart schwingt. Letzter Zweck allen Geschehens ist: auf Papier mitgeteilt zu werden. So gewinnt die Mitteilung die Herrschaft über die Geschichte. Die Mitteilung macht Geschichte.

      Der Krieg zeitigte eine besondere Erscheinungsform der Mitteilung: die außerordentliche Mitteilung, im Jargon der großen Zeit »Extra-Ausgabe« genannt. Die »Extra-Ausgabe« bewirkte eine Zeitlang Ereignisse, indem sie sie mitteilte. Dann aber wuchsen die Ereignisse der »Extra-Ausgabe« über den Kopf. Denn eine höhere Macht, das Pressequartier, schuf die Ereignisse, d. h. den Heeresbericht. Und diesen brachte die Extra-Ausgabe, keine außerordentliche mehr, sondern eine ordentliche Mitteilung.

      Dennoch konnten sich die Leute der Macht des Papiers nicht entziehen. Der Ruf »Extra-Ausgabe!« betäubte den Zweifel. Der Glaube an das Papier blieb aufrecht bis zum Zusammenbruch des Pressequartiers und dem ganz unvorhergesehenen Kopfsprung der Geschichte, der es plötzlich eingefallen war, ein Ereignis ohne vorherige Fühlungnahme mit dem Pressequartier zu zeitigen.

      Nun bleibt die Extra-Ausgabe aus. Ich hielt sie für tot, erledigt, aber vorgestern sprang sie wieder, munter und lebendig, mitten im Grabenkorso aus dem Munde eines Kolporteurs unter die Leute. Sie hatte wieder Geschichte gemacht. Sie meldete die Ermordung des Königs von Italien. Und die Leute rissen sich um die Mitteilung. Sie kostete achtzig Heller. Aber der Ruf betäubte den Zweifel. Das Papier, das fünf Jahre lang die Menschen belogen und betrogen, hat seine Macht nicht eingebüßt. Siegreich aus dem Schutt der Vernichtung erhebt sich das Papier auf dem Schwingen der Extra-Ausgabe.

      Josephus

      Der Neue Tag, 6.10.1919

      DIVERGENZEN

      Ohne die Uhr am Stephansplatz wäre ich kein Schriftsteller. Die Stephansturmuhr ist eines meiner unumgänglich notwendigen Schriftstellerrequisiten. Wenn ich schon gar keinen Stoff habe, so gehe ich zu meiner Stephansturmuhr. Sie hat immer irgendeine Liebenswürdigkeit für mich parat in ihrem Uhrgehäuse. Ich besuche sie regelmäßig, ungefähr wie man eine alte Tante besucht, von der man weiß, daß es nicht ganz richtig mit ihr ist, daß sie aber dennoch irgendwelche Leckerbissen im Schrankfach hat.

      Es ist immer irgendwas kaputt an der Stephansuhr. Sehr oft steht sie, manchmal geht sie falsch, fast immer zurück, als sehne sie sich nach vergangenen, guten alten Zeiten. Seit einigen Wochen hat sie eine gar wunderliche Laune: Ihre linke Gesichtshälfte, dort, wo die Ziffern immer so wunderbar springen, kümmert sich einen Schmarrn um die rechte, auf der das Ziffernblatt mit den Zeigern angebracht ist. Künden die Zeiger rechts halb zehn, so sagen die Ziffern links dreiviertel neun. Ich glaube, die gute Tante Stephansuhr weiß ganz gut, was sie will. Als ein Wiener Symbol fühlt sie die Verpflichtung, ein Wiener Symptom zu werden. Sie kündet nicht die Zeiten der Stunde, sondern gleich die der ganzen Zeit. Sie spielt Verordnung und Erfolglosigkeit, Erlaß und Widerruf, Nachricht und Dementi. Sie sagt: Nur nicht alles gleich ernst nehmen in Wien! Es kommt immer ganz anders …

      Josephus

      Der Neue Tag, 8.11.1919

      VERWIRRUNG

      Der Gasautomat ist ein bescheidenes Möbelstück. Er birgt sich im Vorzimmer, hinter der Tür, schwarzlackiert und unscheinbar und nur mit einem Messingstreifen als schüchterner Verzierung an der Stirn.

      Der Gasautomat hat einen Mund. Eine schmale Ritze. Mit diesem Werkzeug pflegte der Automat Sechserln aus Nickel oder Eisen zu verschlingen. Die Köchin machte sich immer im Dunkel des Vorzimmers zu schaffen. Sie suchte den Mund des Gasautomaten. Es war ein zärtliches Verhältnis zwischen der Köchin und dem Gasautomaten.

      Wenn der Automat hungrig war, verdunkelte sich plötzlich das Zimmer. Die Gaslampe begann grünlich-gelb zu schimmern wie einer, dem es schlecht wird. Das feinkarierte Netz im Zylinder wurde mit allen Fäserchen sichtbar wie die Kulisse in der Oper, wenn Gretchens Bild am Spinnrad dahinter erscheint. Die Gesichter der Menschen waren wie von einem überirdischen, seltsam mystisch-grünen Scheinwerfer übertüncht. Selbst der


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