Thomas Morus: Utopia. Thomas Morus
Читать онлайн книгу.Gebirge leicht geschützt wird, der Tribut, den sie dem Mächtigen entrichten, sie von jedem Kriegsdienste befreit, so leben sie behaglich in guten Verhältnissen, mehr glücklich als ritterlich oder berühmt, denn ich vermute, sie sind, außer bei ihren nächsten Grenznachbarn, kaum dem Namen nach bekannt.
Bei ihnen nun müssen die überführten Diebe das Gestohlene dem Eigentümer zurückgeben, nicht, wie in andern Ländern, dem Könige, der, wie sie meinen, gerade so viel Unrecht auf die gestohlene Sache hat, als der Dieb selber. Ist aber die Sache zu Grunde gegangen, so wird der Wert derselben aus dem Besitztum der Diebe dem Bestohlenen bezahlt, alles Übrige lässt man der Frau und den Kindern des Diebes, sie selbst aber werden zu öffentlichen Arbeiten verurteilt, und wenn der Diebstahl nicht unter Anwendung von Gewalt beruht worden ist, wirft man sie weder ins Gefängnis noch in Ketten, sondern sie gehen bei den Arbeiten durchaus frei einher. Die Widerspenstigen und träge sich Gehabenden werden weniger durch Fesseln gehindert, als durch Schläge angetrieben.
Wenn sie die Arbeit wacker fördern, erfahren sie keine Schelt- oder Tadelworte, nur zur Nachtzeit werden sie unter Namensaufruf kontrolliert und in ihren Schlafräumen eingeschlossen. Außer der unausgesetzten Arbeit erleiden sie keinerlei Ungemach. Ihre gute Ernährung erfolgt, da sie in öffentlichen Diensten Arbeit verrichten, von Staatswegen, anderswo anders. Hier und da wird nämlich durch Almosen für sie gesammelt, und obwohl diese Art und Weise einigermaßen unsicher ist, fällt die Beköstigung der Sträflinge immer noch reichlicher als sonst irgendwo aus, da dieses Volk sehr mildtätig ist. Es gibt auch Gegenden, wo ein jeder einen Beitrag zu diesem Zwecke abgibt. An einigen Orten verrichten sie auch keine öffentliche Arbeit, sondern, wenn ein Privatmann Arbeitskräfte braucht, so geht er auf das Forum und mietet sich Leute für den Tag, für einen um ein weniges geringeren Lohn, als ein freier Mann bekäme.
Es ist erlaubt, die Trägheit eines solchen Mannes mit Strafe zu züchtigen. So fehlt es diesen Leuten nie an Arbeit, und außer dass sie ihren Lebensunterhalt verdienen, können sie noch täglich eine Kleinigkeit an den Staatsschatz abgeben. Sie sind alle gleichmäßig in dieselbe Farbe gekleidet; das Haupthaar wird ihnen nicht geschoren, außer ein klein wenig über den Ohren, deren eines ein bisschen gestutzt wird. Speise und Trank darf jeder von seinen Freunden annehmen und ein Kleid seiner Farbe; auf der Annahme wie auf der Schenkung von Geld steht für beide Teile Todesstrafe; nicht minder gefährlich ist es auch für einen Freien aus irgend einem Grunde von einem Verurteilten Geld anzunehmen, sowie für die Sklaven – so werden die Verurteilten genannt – Waffen anzurühren. In jedem Landstrich werden sie durch ein eigenes Zeichen unterschieden, das abzulegen ein todeswürdiges Verbrechen ist, ebenso, wenn einer außerhalb der Grenzen seines Landstriches erblickt oder mit einem Sklaven eines andern Landstriches sprechen gesehen wird. Geplante Flucht wird der wirklichen gleichgerechnet. Mitwisser eines solchen Plans zu sein, bedeutet für einen Sklaven den Tod, für den Freien Sklaverei. Für die Angeber sind Prämien ausgesetzt, Geld für einen Freien, die Freiheit für einen Sklaven und Vergebung und Straffreiheit für beide, so dass die Verfolgung eines bösen Planet nie mehr Sicherheit bringt als Reue über denselben.
Diese Institutionen und Gesetze bestehen hinsichtlich des Diebstahls; wie human und von wie praktischem Nutzen sie sind, ist leicht zu sehen. Die Schärfe des Gesetzes bezweckt nur die Vernichtung der Verbrechen, aber die Schonung der Menschen, die so behandelt werden, dass sie sich bessern müssen und den Schaden, den sie einst angestiftet haben, ihr ganzes Leben lang gut zu machen gehalten sind. Und so wenig Furcht besteht, dass sie in ihren früheren Lebenswandel zurückfallen, dass die Wanderer, die eine Reise irgendwohin vorhaben, sich gar keine sichereren Führer nehmen zu können vermeinen, als diese Sklaven, die sie von einem Landstrich zum andern wechseln. Sie sind nämlich einen Diebstahl zu begehen gerade am wenigsten in der Lage. Waffen dürfen ihre Hände nicht führen, bei ihnen gefundenes Geld würde sofort zum Verräter ihres Verbrechens werden, des Ertappten wartet die sichere Strafe und jede Hoffnung auf Flucht in irgend einer Richtung ist rundweg abgeschnitten.
Wie sollte er seine Flucht bemänteln, er, der in jedem Kleidungsstücke vom ganzen Volke sich unterscheidet, wenn er nicht geradezu nackt davonliefe? Dann wird ihn aber immer noch das abgestutzte Ohr verraten. Auch ist keine Gefahr vorhanden, dass sie eine Verschwörung gegen den Staat verabreden, denn es wäre aussichtslos, auf eine solche zu hoffen, da dazu die Sklaven vieler Landstriche in Bewegung gesetzt und angeworben werden müssten, die von der Möglichst einer Verschwörung so weit entfernt sind, dass sie ja nicht einmal zusammenkommen, mit einander reden oder sich gegenseitig begrüßen dürfen. Und wie sollten sie glauben, sich einander anvertrauen zu dürfen, da sie wissen, dass das Verschweigen einer Heimlichkeit Gefahr drohend, das Verraten derselben ihnen von größtem Nutzen ist? andererseits ist keiner von ihnen der Hoffnung gänzlich bar, durch Gehorsam, geduldiges Ausharren und dadurch, dass sie für die Zukunft eine gebesserte Lebensführung erwarten lassen, sich die Möglichkeit offen zu halten, dereinst die Freiheit wieder zu erlangen. Da kein Jahr vergeht, dass nicht dieser und jener in den vorigen Stand eingesetzt wird, indem ihr geduldiges Abwarten ihnen zur vorteilhaften Empfehlung gereichte. –
Als ich so gesprochen und hinzugesetzt hatte, ich sähe keinen Grund ein, warum es nicht auch in England so gehalten werden könne, und zwar mit viel besserem Erfolge, als jene Art der Justizpflege, die jener Rechtsgelehrte so hoch gepriesen hatte, versetzte dieser, der Rechtsgelehrte nämlich, ein derartiges Verfahren könne in England nie eingeführt werden, ohne den Staat an den Rand des Verderbens zu bringen. Und dazu bewegte er das Haupt hin und her, rümpfte die Lippen und dann schwieg er.
Und alle, die zugegen waren, traten in seine Fußstapfen, d.h. seiner Meinung bei.«
Da sagte der Kardinal: »Es wäre wohl schwer zu sagen, ob dieses System bei uns eingefüllt werden könnte, oder nicht, ohne einen Versuch damit gemacht zu haben. Wenn aber ein Todesurteil gesprochen ist, könnte der Fürst Aufschub desselben gebieten und diese Sitte könnte erprobt werden, nachdem die Privilegien der Asyle aufgehoben worden, dann aber, wenn sich die Sache durch den Erfolg als vorteilhaft herausstellt, wäre es richtig, sie einzuführen, im andern Falle möge die Todesstrafe an denen, die vorher zu ihr verurteilt worden, vollzogen werden; darin liegt nichts, was mehr oder weniger ungerecht wäre, als wenn der Vollzug sofort erfolgt, und daraus erwächst in der Zwischenzeit nicht die geringste Gefahr. Es scheint mir auch, dass gegen die Landstreicher auf dieselbe Weise recht gut vorgegangen werden könnte, gegen die wir bisher so viele Gesetze erlassen haben, ohne doch etwas ausgerichtet zu haben.«
Als der Kardinal das gesagt hatte, was sie, als ich dasselbe vorgebracht hatte, nur geringschätzig ausgenommen hatten, da überhäuften sie es alle mit Lobsprüchen, namentlich aber das von den Landstreichern, weil er das aus sich selbst hinzugefügt hatte.
Ich weiß nicht, ob ich das, was folgte, nicht besser verschwiege, es war nämlich lächerliches Zeug; gleichwohl will ich’s erzählen; es war nämlich so übel nicht und gehörte einigermaßen zur Sache.
Es war ein schmarotzender Spaßmacher zugegen, der den Narren spielen wollte. Aber er spielte ihn so, dass er eher ein solcher im Ernste zu sein schien, und suchte mit so frostigen Witzen Lachen zu erregen, dass öfter über ihn als über seine Witze gelacht wurde. Hier und da aber entschlüpfte ihm doch etwas nicht ganz Albernes, so dass er das Sprichwort wahr machte: auch eine blinde Henne findet manchmal ein Goldkorn.
Als nun einer der Gäste sagte, ich hätte schon ein gutes Mittel gegen die Diebe gefunden, und der Kardinal desgleichen eines gegen die Landstreicher, es erübrige nur noch, dass für Diejenigen von der Allgemeinheit gesorgt werde, die durch Krankheit oder Alter unfähig geworden seien, ihren Lebensunterhalt zu erwerben und daher verarmt wären – da sagte jener: »Überlass das nur mir, ich werde schon auch darin nach dem Rechten sehen, denn ich wünsche sehnlichst, dass diese Menschenklasse mir aus den Augen entschwinde, so haben diese Leute mich gar oft mit ihren Wehklagen gepeinigt, wenn sie mich um Geld anbettelten, obwohl sie mir mit allen ihren Klagemelodien nie einen Heller entlocken konnten. Denn eines von beiden war immer der Fall: entweder ich wollte nichts geben, oder es war mir nicht möglich, weil nichts zum geben da war. Jetzt sind sie denn auch klug geworden. Sobald sie meiner ansichtig werden, gehen sie stillschweigend an mir vorüber, um nicht Zeit und Mühe zu verlieren, da sie von mir nicht mehr zu hoffen haben, als von einem Priester. Ich verordne, dass ein Gesetz entlassen werde, alle diese Bettler