Notarzt Dr. Winter 6 – Arztroman. Nina Kayser-Darius

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Notarzt Dr. Winter 6 – Arztroman - Nina Kayser-Darius


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gewesen sein, weil sie offenbar nichts gegessen und getrunken hat. Aber ich hoffe, daß sie anfängt zu reden, sobald es ihr bessergeht. Vielleicht erfahren wir dann alles, was wir wissen wollen.«

      Er glaubte es nicht, und sie ebensowenig, das sah er ihr an. Aber er sagte nichts mehr.

      Im Augenblick jedenfalls konnten sie nichts tun.

      *

      Lukas Bromberger hatte keinen Blick für Frankfurts neue Hochhäuser. Er wollte so schnell wie möglich nach München zurück, denn dort wartete Felicitas auf ihn. Seine wunderschöne blonde Verlobte, die er zärtlich Feli nannte. Sie waren schon seit zwei Jahren ein Paar und würden in vier Wochen endlich heiraten. Er hatte sie schon öfter gefragt, aber sie hatte nicht so früh heiraten wollen. »Laß uns erst ganz sicher sein, Lukas«, hatte sie jedesmal gesagt. »Wir haben es doch nicht eilig.«

      Er hatte es sehr wohl eilig gehabt, aber das hätte er niemals zugegeben. Noch immer konnte er sein Glück nicht fassen, daß sie sich unter allen Männern dieser Welt ausgerechnet ihn ausgesucht hatte. Lukas litt nicht an mangelndem Selbstbewußtsein, denn er hatte es mit seinen zweiunddreißig Jahren schon weit gebracht. Er hatte eine eigene Agentur für Öffentlichkeitsarbeit, die gut lief, er sah gut aus mit seinen braunen Locken und den warmen braunen Augen, und er war ein allgemein sehr beliebter Mann. Er hielt sich außerdem für jemanden, auf den man sich verlassen konnte.

      Trotzdem fand er, daß er nichts Besonderes war – Feli hingegen war das sehr wohl. Sie war nicht nur schön und klug, sie hatte auch eine Menge Temperament, sie war künstlerisch begabt, darüber hinaus humorvoll und zuverlässig. Lukas fand, daß das eine einmalige Kombination war. Er zumindest kannte keine andere Frau, die so viele positive Eigenschaften hatte wie Feli. Ein Leben ohne sie erschien ihm absolut unvorstellbar.

      Und deshalb war er nicht gern länger von ihr getrennt. Deshalb auch hatte er es mit dem Heiraten so eilig.

      Denn noch immer saß ihm die Angst im Nacken, ein anderer Mann könnte kommen und ihr Herz im Sturm erobern. Ein Mann, der genauso etwas Besonderes war wie Feli.

      Lukas seufzte. Es wäre sehr viel schöner gewesen, wenn er nicht immer diese Angst gehabt hätte, sie zu verlieren. Er war sonst gar nicht so. Er neigte nicht übermäßig zur Eifersucht, und er war auch niemand, der sich viele Gedanken um »ungelegte Eier« machte. Aber wenn es um Feli ging, dann funktionierte sein Gehirn völlig anders als gewöhnlich. Es war offenbar die Liebe, die das bewirkte.

      »Herr Bromberger?«

      Der Auftraggeber, mit dem er sich in einem exklusiven Frankfurter Hotel getroffen hatte, sah ihn fragend an, und Lukas wurde es abwechselnd heiß und kalt. Er hatte dem anderen mindestens eine Minute lang nicht zugehört und dementsprechend nicht die geringste Ahnung, was dieser jetzt von ihm hören wollte. Das war unverzeihlich, schließlich ging es bei dem möglichen Auftrag um eine Menge Geld. Er entschloß sich, die Wahrheit zu gestehen und sein Gegenüber dadurch zu entwaffnen.

      »Entschuldigen Sie bitte, aber Sie wissen vielleicht, daß ich in vier Wochen heiraten werde. Und deshalb passiert es mir in letzter Zeit gelegentlich, daß ich an meine zukünftige Frau denke, wenn ich mich eigentlich auf meine Arbeit konzentrieren sollte. Wenn Sie können, verzeihen Sie mir, daß ich einige Augenblicke lang mit meinen Gedanken woanders war.«

      Auf dem Gesicht des Mannes, der ihm gegenüber saß, erschien ein breites Lächeln. »Kann ich gut verstehen – schließlich war ich auch mal frisch verliebt!« Er wiederholte, was er gesagt hatte, und diesmal antwortete Lukas ausführlich und mit großem Sachverstand.

      Allmählich entspannte er sich wieder. Offenbar hatte er diese gefährliche Situation gemeistert. Jetzt durfte er sich nur keinen weiteren Patzer leisten, dann hatte er den Auftrag sicher in der Tasche.

      *

      »Kein Alkohol, keine Drogen«, stellte Dr. Adrian Winter fest, als die Laborwerte der jungen Patientin vorlagen, die noch immer in der Notaufnahme war. »Aber sie muß stationär aufgenommen werden, denn sie hat sich vielleicht eine Lungenentzündung geholt. Zur Vorsicht muß sie weiter beobachtet werden.«

      »Wir können sie auf die Innere verlegen«, meinte Julia Martensen, »wir haben noch einige Betten frei, und ich kann mich dort weiter um sie kümmern.«

      »Du hast diese Woche Dienst in der Notaufnahme, vergiß das nicht«, sagte Adrian mit gespielter Strenge. »Da wird nicht nebenbei noch heimlich auf der Station nach dem Rechten gesehen.«

      Sie lächelte ihn voller Zuneigung an. »Das mußt ausgerechnet du sagen! Dr. Adrian Winter, der Arzt, der sich noch um Patienten kümmert, wenn sie die Notaufnahme längst verlassen haben.«

      »Schon gut, schon gut«, murmelte er verlegen, »ich sag’ keinen Ton mehr. Aber laß uns bitte noch einmal zu ihr gehen, ob sie jetzt bereit ist, mit uns zu reden. Ihr Fall wird immer rätselhafter. Wenn weder Drogen noch Alkohol im Spiel sind, Julia, was hat sie dann auf dieser Parkbank getan? Sie wirkt doch nicht so, als hätte sie keine Wohnung, in die sie gehen könnte. Warum also war sie unterkühlt, dehydriert und hatte nichts im Magen?«

      »Ich kann es dir auch nicht sagen«, antwortete seine Kollegin. »Kreislaufkollaps, etwas anderes wüßte ich nicht. Komm, wir fragen sie selbst.«

      Wenige Auenblicke später standen sie neben der jungen Frau, die ihnen entgegensah, aber durch nichts zu erkennen gab, daß sie sich erinnern konnte, wer sie waren.

      »Wissen Sie, wo Sie sind?« fragte Julia behutsam.

      »Nein«, antwortete die Patientin, und Adrian atmete auf. Immerhin hatte sie geantwortet, das war schon mal ein Fortschritt.

      »In der Kurfürsten-Klinik in Berlin«, sagte er. »Sie sind hier in der Notaufnahme. Können Sie sich erinnern, wie Sie hierher gekommen sind?«

      Wieder antwortete sie mit: »Nein.« Ihre großen blauen Augen waren jetzt aufmerksam auf die beiden Ärzte gerichtet.

      »Sie sind auf einer Parkbank gefunden worden«, fuhr Julia fort. »Sie waren bewußtlos, und der ältere Herr, der Sie gefunden hat, hat sich Sorgen um Sie gemacht und einen Rettungswagen gerufen.« Sie hatte absichtlich nichts von dem Verdacht auf Drogenmißbrauch gesagt. Adrian war froh darüber.

      »Bitte, sagen Sie uns, wie Sie heißen«, sagte er. »Ich bin Dr. Adrian Winter und leite hier die Notaufnahme. Dies ist meine Kollegin Dr. Julia Martensen, sie ist Internistin. Wir werden Sie auf die Innere verlegen, weil Sie stark unterkühlt waren und wir sichergehen wollen, daß Sie sich keine Lungenentzündung geholt haben.«

      Er bekam keine Antwort.

      »Wie heißen Sie?« wiederholte Julia die Frage.

      »Doris… Doris Willbrandt.« Sie stieß die Worte hervor, als bereiteten sie ihr körperliche Schmerzen.

      »Wen sollen wir benachrichtigen, Frau Willbrandt?« fragte Adrian.

      »Benachrichtigen?« fragte sie verwirrt.

      »Ja, daß Sie hier sind«, erklärte er geduldig. »Ihre Eltern? Ihren Mann? Freunde? Sie werden doch sicher jemandem mitteilen wollen, daß Sie jetzt in einer Klinik sind. Außerdem macht man sich bestimmt bereits Sorgen um Sie.«

      Es war, als lege sich ein Schatten über ihr Gesicht. Sie öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Julia Martensen und Adrian Winter warteten geduldig. Schließlich sagte Doris Willbrandt: »Ich wohne in Hamburg, Sie müssen niemanden benachrichtigen. Das würde nur für Unruhe sorgen. So schlecht geht es mir ja nicht. Ich wollte mir ein paar Tage Berlin ansehen und dann zurückfahren. Kein Grund, meine Familie zu beunruhigen.«

      »Wie Sie wollen«, meinte Adrian nach kurzem Zögern. Kam es ihm nur so vor – oder reagierte sie tatsächlich erleichtert, als er das sagte?

      »Gut«, sagte Julia energisch, »dann schlage ich vor, wir verlegen Frau Willbrandt auf die Innere, und danach sehen wir weiter. Allerdings müssen wir noch herausfinden, warum Sie bewußtlos geworden sind. Das können wir uns nämlich nach wie vor nicht erklären.«

      Diesmal war es ganz eindeutig, daß die Patientin erschrak.


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